Der vom Südost-Passat produzierte 5er Gegenwind, die auf
den Süd-Äquatorialstrom zurückzuführende Gegenströmung und die
teils meterhohen Brecher, die ganzjährig typisch sind für solch
eine überwiegend ungeschützte, über hunderte von Kilometern
sich erstreckende Strandküste, erschienen ihr einfach zu
mächtig, zu gefährlich, zu kräftezehrend, um hier entlang bis
zum ca. 1.000 km entfernt liegenden Nordostende Brasiliens zu
paddeln; zumal die Bedingungen an Land auch kein Urlaubsfeeling
aufkommen lassen würden. Fotos von diesem sandigen
Küstenstreifen sind wohl atemberaubend, wer jedoch die
Nachmittag-, Abend- und Nachtstunden nur maximal 100 m vom
Spülsaum entfernt in einem bloß 3 qm großen Innenzelt
verbringen muss, und dass wochenlang, der betrachtet solch eine
Landschaft sicherlich aus einer anderen Perspektive. Zu denken
ist dabei z.B. an:
• das feucht-heiße Klima, das ein Leben in
einem 2-Personenzelt zur Qual werden lassen kann, auch wenn es
nur von 1 Person belegt wird;
• das Flattern des im 5er Wind stehenden
Zeltes, das des nachts in jeder Wachphase die Befürchtungen
weckt, am nächsten Morgen nicht starten zu können;
• den fliegenden Sand, der nur im Zelt bei
geschlossenem Mückennetz zu ertragen ist;
• die unablässig lärmende Brandung, die
immer wieder zum Thema von Albträumen wird;
• die lästigen Mücken, die sofort angesummt
kommen, sobald der Wind etwas nachlässt, und vor denen Freya
nur dann geschützt ist, wenn sie möglichst gleich nach dem
Anlanden ihr Zelt aufbaut und sich danach darin bis zum Start
am nächsten Morgen verkriecht;
• die tagtägliche Menü-Folge, die nichts mit
einer vollwertigen Ernährung, sondern eher etwas mit
„trocken Brot & Wasser“ zu tun hat.
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Foto: „Gute“ Aussichten!? (Recife) (25.11)
https://plus.google.com/photos/112133179186774955122/albums/6009116721060493633/6081164619556033106?banner=pwa&pid=6081164619556033106&oid=112133179186774955122
Foto: Am Strand von Praia de Carapibus (26.11.)
https://plus.google.com/photos/112133179186774955122/albums/6009116721060493633/6081164674497973026?banner=pwa&pid=6081164674497973026&oid=112133179186774955122
Foto: Am Strand nahe Redonda (6.11)
https://plus.google.com/photos/112133179186774955122/albums/6009116721060493633/6081165103081878498?banner=pwa&pid=6081165103081878498&oid=112133179186774955122
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Alternativplanung
Freya entschloss sich in Anbetracht solcher für das ganze Jahr
typischen Gewässer- & Übernachtungsbedingungen, die Passage
zwischen Humberto des Campos (Sao Luis) und Recife (ca. 1.350
km) auszulassen!
Das ist bemerkenswert für Freya! War es Angst? Fühlte sie sich
trotz eines 175-tägigen Urlaub vom Paddeln noch nicht fit? Oder
litt sie unter dem „Burn out“-Syndrom, welches irgendwann doch
auch mal bei ihr, die nun schon seit August 2011 „rundet“,
auftreten musste? 668 Fahrtentage, 20.910 km südamerikanische
Küste, und das alles erlebt nicht bei „Urlaubs-„, sondern bei
„Expeditionsbedingungen“, hinterlassen unweigerlich ihre
Spuren; denn bis auf die „Gastfreundschaft“, die sie in
Argentinien, Chile, Peru, Ecuador, Kolumbien, Panama,
Venezuela, Trinidad-Tobago, Guyana, Suriname, Frz. Guyana und
zuletzt Brasilien erlebt hatte, wurde ihr nichts
„geschenkt“.
Aber Freya ist immer für eine Überraschung gut. Improvisation
ist ihre Stärke! Resignation kennt sie nicht! Also ließ sie
sich von ihren erst in Sao Luis kennengelernten Freunden wieder
vom Strand abholen und über Sao Luis zum über 1.000
Landstraßenkilometer entfernten Recife bringen. Schon 5 Tage
später, also am 25.10.14, trat sie dann endlich ihren 669.
Fahrtentag an.
Sie startete jedoch nicht in Richtung Südwest zum ca. 4.500 km
entfernt liegenden Buenos Aires, sondern paddelte zurück in
Richtung Nordost zur ca. 350 km entfernt liegenden
Nordostspitze Brasiliens, und zwar bei halbem bis achterlichem
Wind und schwächerer Gegenströmung, um danach dann entlang der
nordöstlichen Küste von Brasilien weiter bis zum ca. 1.000 km
entfernt liegenden Humberto des Campos, der „Endstation“ ihrer
3. Südamerikaetappe, zupaddeln. Freya hofft darauf, dass dieser
nordöstliche Küstenabschnitt dank Wind & Strom von achtern
eher paddelbar ist, zumindest von ihr, die darauf setzt, bis
dahin wieder voll fit & motiviert zu sein. Sollte dieser
Plan realisierbar sein, wollte sie dann von Humberto des Campos
erneut per „Anhalter“ zurück zum Startort ihrer 4. Etappe,
Recife, fahren, um endgültig in Richtung Rio de Janeiro und
schließlich weiter bis Buenos Aires (Argentinien) zu
paddeln.
Freyas Kritiker mögen ihr verzeihen, dass es bei ihrer
Südamerikaumrundung nicht immer ganz so „rund gelaufen“ ist,
aber immerhin hat sie dann – wenn nichts dazwischen kommt – als
erste jeden Küstenabschnitt Südamerikas eigenhändig mit einem
serienmäßigen Seekajak befahren.
German Paddlemachine at Work
Seit dem 25.10.14 ist also Freya wieder unterwegs, um
wenigstens entgegen dem Uhrzeigersinn die ca. 1.350 km lange
Küstenpassage zwischen Recife und Humberto des Campos zu
meistern. Business as usual:
Start: Recife in Richtung NO zur Nordost-Ende Brasiliens bei
seitlichem bis raumen Wind und leichtem Gegenstrom (ca. 391
km):
25.10.14: Tagesetappe: 40 km; Paddelzeit: 08.50-15.40 Uhr
(Zeltübernachtung)
26.10.14: 45 km/Tag / 05.10-14.25 Uhr (Zeltübernachtung)
27.10.14: 55 km/Tag / 05.00-15.35 Uhr (Zeltübernachtung)
28.10.14: 40 km/Tag / 05.00-12.45 Uhr (Tiefseekenterung)
(Zeltübernachtung)
29.10.14: 50 km/Tag / 04.50-15.10 Uhr (Startprobleme inkl.
Kenterungen)(Zeltübernachtung)
30.10.14: Ruhetag (Zeltübernachtung)
31.10.14: 54 km/Tag / 04.45-14.50 Uhr (Anlanden in Natal)
(Yachtclub/Zeltübernachtung)
01.11.14: 49 km/Tag / 04.55-13.35 Uhr (Zeltübernachtung)
02.11.14: 58 km/Tag / 05.00-14.15 Uhr (NO-Ende Brasiliens
umrundet) (Zeltübernachtung)
Weiterfahrt in Richtung NW nach Fortalezza bei achterlichem
bis raumen Wind/Strom ca. 391 km):
03.11.14: 63 km/Tag / 04.45-14.40 Uhr (Seegangsprobleme)
(Zeltübernachtung)
04.11.14: 37 km/Tag / 04.45 – 11.25 Uhr
(Zeltübernachtung)
05.11.14: 44 km/Tag / 04.40 – 12.40 Uhr
(Zeltübernachtung)
06.11.14: 14 km/Tag / 05.00 – 07.30 Uhr
(Zeltübernachtung)
07.11.14: 33 km/Tag / 04.50 – 11.14 Uhr
(Zeltübernachtung)
08.11.14: 49 km/Tag / 05.05 – 13.25 Uhr
(Zeltübernachtung)
09.11.14: 45 km/Tag / 06.55 – 14.30 Uhr (Startprobleme)
(Zeltübernachtung)
10.11.14: 56 km/Tag / 05.00 – 14.45 Uhr
(Zeltübernachtung)
11.11.14: 56 km/Tag / 04.50 – 13.55 Uhr (Anlanden in
Fortalezza) (private Unterkunft)
Wie die Tourendaten zeigen, scheint Freya wieder ihren
Rhythmus gefunden und sich mit den Gewässerbedingungen vor Ort
arrangiert zu haben. Immerhin hat sie schon am 2.11.14 den
nordöstlichsten Punkt Brasiliens erreicht und hinter sich
gelassen. Nun geht es ca. 1.000 km in Richtung NW bis Humberto
des Campos, und zwar „bergab“ d.h. ab dort wird Freya auf
Unterstützung durch Wind & Strom rechnen können. Trotzdem
muss sie jeden Kilometer Paddelschlag für Paddelschlag
erkämpfen. Am 11.11.14 erreichte sie Fortalezza, jenen Ort wo
sie am liebsten im April 2014 ihre 3. Etappe rund Südamerika
beendet hätte. Nun sehen ihr noch ca. 650 km bis Humberto des
Campos bevor.
„Bomb Proof Roll“
Aber diese Daten sagen nichts darüber aus, was sie bislang
tatsächlich erlebte, nämlich frischen raumen Wind sowie
anrollende Brecher, von denen jeder siebte bestrebt war, sie zu
kentern.
Am Dienstag, den 28.10.14, ihrem 672. Fahrtentag, war es dann
soweit. Vier Tage war sie nun schon unterwegs. Es geschah kurz
vor Hochwasser. Die Windsee wurden immer höher (2 Meter) und
der Wind stärker (5-6 Bft.; 20 Knoten). Über Google Earth und
GPS wusste Freya, dass sie sich einem Riff näherte, das einer
Flussmündung vorgelagert war. Hinter dem Riff dürfte der
Seegang weniger heftig sein. Genau dorthin wollte sie paddeln.
Als sie meinte, dass das Riff bald kommen müsste, näherte sie
sich etwas der Küste und hielt Ausschau nach dem irgendwo
hinter den Brechern beginnendem Riff-Eingang. Dass der Seegang
hier noch heftiger wurde, nahm sie dabei in Kauf. Die Aussicht,
bald im geschützteren Bereich paddeln zu können, war aber
einfach zu verlockend. Und da passierte es auch schon. Ein
echter „Kaventsmann“ tauchte so unverhofft auf, dass sie ihn
nicht mehr ausweichen, d.h. ihn weder davonspurten noch
ausbremsen konnte. Die Folge: Sie wurde umgeschmissen …. und
Freya Hoffmeister, die Frau, die 30 verschiedene Varianten von
Grönlandrollen beherrscht, die von sich bislang sagen konnte,
dass sie „bomben sicher“ rollen kann, und die deshalb seit Peru
(Mitte der 2. Etappe) bis Ende der 3. Etappe keine Lenzpumpe
mehr mit sich führte, ja, diese Frau stieg, nachdem sie zweimal
vergeblich versuchte, hoch zu rollen, ja sie stieg aus,
verzichtete aufgrund des rauen Seegangs wiedereinzusteigen und
lies sich stattdessen von Wind & Welle Richtung Strand
treiben. Dank ihrer „Life Line“ verlor sie nicht ihr Seekajak
und dank ihres von alleine Richtung Strand surfenden Seekajaks
surfte sie im Schlepptau mehr oder weniger elegant mit. Ihre
Anmerkung dazu: „Salt water doesn’t tast great!“
So etwas ist Freya noch nie passiert, zumindest nicht seitdem
sie anfing, Inseln bzw. Kontinente zu umrunden. Wohl wurde sie
beim Starten/Anlanden durch die Brandung ab & an mal
umgeschmissen und rutschte wegen des zu niedrigen Wasserstandes
in der Brandungszone aus ihrem Seekajak; auch wurde sie mal
nachts in der Amazonasmündung von der Gezeitenwellen „Pororoca“
auf dem trockengefallen Watt überrascht und dann kilometerweit
stützenderweise „mitgespült“, bis sie dann schließlich aus
ihrem Seekajak geschleudert wurde, als dieses über einen
Wattrücken „stolperte“. Aber solch eine Tiefwasserkenterung mit
anschließender Schwimmpassage, das war für Freya eine
„Premiere“ ganz besonderer Art. Zum Glück war sonst nichts
passiert, nichts beschädigt, nichts verloren gegangen.
The Tour must go on….
…. denn es war noch früh am Morgen und der Fahrtentag hatte
gerade erst begonnen!
Freya nutzte, nachdem sie ihre Ausrüstung wieder klariert
hatte, am Spülsaum die Gelegenheit zu frühstücken; denn das
sonst übliche Frühstück draußen auf dem Wasser war ja wegen des
Seegangs buchstäblich „ins Wasser gefallen“.
Anschließend versuchte sie die anderthalb Kilometer bis zu
jenem geschützten Bereich landseits eines Riffs zu treideln,
den sie eigentlich vom Wasser aus schon angepeilt, jedoch nicht
gefunden hatte. Aber: Wer jemals unter Brandungsbedingungen
sein voll beladenes Seekajak entlang eines Sandstrandes zog,
der weiß, dass das mindestens genauso anstrengend ist, wie das
Strecke-Paddeln in der Brandungszone, nur weitaus gefährlicher.
Schon mancher im Wellenlee ziehender Kanute wurde dabei von
seinem vom Brecher Richtung Strand angespülten Seekajak
überrollt & umgeschmissen und mancher im Wellenluv
ziehender Kanute wurde von seinem vom Brandungssog wieder
hinaustreibenden Seekajak auf dem falschen Bein erwischt. Blaue
Flecken sind dann unvermeidlich und Beinbrüche nicht
auszuschließen!
Deshalb beschloss Freya, noch vor Erreichen des geschützten
Bereichs mit ihrem Seekajak wieder hinaus durch die Brandung zu
paddeln. Der Brandungsstart war jedoch nicht so einfach und
gelang auch erst nach dem dritten Versuch; denn es gab
niemanden, der ihr hätte Starthilfe anbieten können:
1. Versuch: Beim Starten schlug ihr Seekajak
immer wieder quer zu den Brechern. Schließlich gelang es ihr,
mit voll gelaufener Sitzluke fünf, sechs Brecherketten zu
durchfahren, bis ein fetter Brecher sie umschmiss. Nach zwei
Rollversuchen stieg sie aus und schwamm zurück an den
Strand.
2. Versuch: Der Start klappte auf Anhieb,
doch erneut tauchte unterwegs ein mächtiger Brecher vor ihr auf
und drückte sie unter Wasser. Erstaunlicherweise klappte auf
Anhieb die Rolle. Leider surfte sie dann seitwärts zurück hoch
auf den nassen Strand.
3. Versuch: Wieder ging es hinaus. Sie
schaffte es dieses Mal, die auf sie zu rauschenden Brecher erst
dann zu durchfahren, nachdem sie brachen. Überraschenderweise
funktionierte das ohne Kenterung. Und plötzlich befand sie sich
außerhalb der Brandungszone …
Endlich draußen im rauen Seegang angekommen stellte sie fest,
dass das in der Heck-Steuerflosse integrierte verstellbare Skeg
klemmte und nicht herausrutschen wollte. Aber Freya, wäre nicht
Freya, wenn sie solch ein Problem nicht eigenhändig lösen
könnte. Also verließ sie draußen vor dem Riff im rauen bis
brechenden Seegang ihr Cockpit, hangelte sich im Wasser vor zum
Heck, zog das Skeg raus, hangelte sich zurück zum Cockpit,
krabbelte per Cowboy-Wiedereinstieg in ihre Sitzluke und freute
sich, dass sie die erstmals mitgeführte tragbare Handlenzpumpe
erfolgreich einsetzen konnte. - Übrigens, auf „Rentry-and-Roll“
verzichtete sie, weil sie an diesem Tag lange genug kopfüber im
Wasser schwamm. Und zum Thema „Lenzpumpe“ finden wir in Freyas
Blog den folgenden Kommentar:
„God bless the electrical pump … aber das Wasser ist hier warm
und es ist für mich ein interessantes Experiment, eine tragbare
Handlenzpumpe zu benutzen. Bei Kaltwasserbedingungen käme
jedoch für mich nur eine E-Lenzpumpe in Frage!“
Ihr 672. Fahrtentag endet schließlich - anders als ihre
Tourenplanung es vorsah - nach 40 Paddelkilometern schon recht
früh um 12.45 Uhr. Die Gewässerbedingungen schienen ihr jedoch
zu unsicher, um noch an diesem Tag die am Abend zuvor
ausgewählte, geschützt liegende Baia Formosa, die immerhin noch
15 km entfernt war, anzusteuern.
Text: Udo Beier
Link: http://freyahoffmeister.com/2014/10/29/tue-2810-2014-day-672/