01.08.2021 | Thomas Konietzko Blog

Die Anspannung vor den Rennsport-Wettbewerben

#tokoblog (9): Ich muss mich zuallererst entschuldigen, dass ich an manchen Tagen manches schreibe, was schon vorher in meinem Blog erwähnt wurde. Es ist gar nicht so einfach bei all den Eindrücken hier, immer alles einzuordnen.
Blick in die Bootshalle mit der pinken Flotte

Mein Besuch beim letzten Tag der Ruderregatta war wohl doppelt erwähnt. Das liegt aber daran, dass man hier in einem Tunnel lebt. Man ist nur auf die nächsten Aufgaben fokussiert, und verdrängt sofort das, was man die Tage vorher erlebt hat. Man weiß weder welcher Tag heute ist und teilt die Tage nach Höhepunkten ein. In zwei Tagen ist der erste Finaltag im Sprint, sollte wohl der Dienstag sein.

Trotzdem man nur einen sehr begrenzten Bewegungsspielraum hat, jagt ein Meeting das nächste, muss man den ganzen Tag Gespräche führen, Anfragen aus der Heimat und der Presse bedienen und zwischendurch noch die eine oder andere Mail schreiben. Da kann man dann schonmal etwas durcheinanderkommen.

Die Anspannung vor den Sprint Wettbewerben nimmt zu. Gestern hatten wir das Teamleaders Meeting und noch nie bei Olympischen Spielen konnten sich mehr Nationen qualifizieren und haben mehr Boote an den Rennen teilgenommen, wie hier in Tokio. 

Wir haben insgesamt 102 Vorläufe und durch die neue Regelung, dass nunmehr zwei Boote aus einer Nation an den Start gehen können, wenn der oder die Starter im zweiten Boot sich in einer anderen Bootsklasse qualifiziert haben, konnten wir die Anzahl der Boote deutlich erhöhen. 

 

Hintergrund dieser Änderung ist die sehr restriktive Politik des IOC bezüglich verfügbarer Startplätze. Alle Sportarten wollen bei olympischen Spielen dabei sein, jede Sportart mit möglichst vielen Disziplinen und Athleten und doch muss eine solche Veranstaltung für die Ausrichter noch händelbar sein. Die Gesamtzahl aller Sportler in allen Sportarten ist auf ca. 10500 begrenzt. Deshalb haben wir seit den Spielen in Sydney zahlreiche Quotenplätze als Kanusport verloren und dürfen jetzt nicht mehr als 121 Frauen und 121 Männer für die Spiele nominieren. Das führte in Rio dazu, dass die Startfelder sehr dünn waren und in manchen Bootsklassen gerade zwei Vorläufe mit fünf oder sechs Booten stattfanden. Das war nicht sehr attraktiv für die Zuschauer, die viel Geld für ihre Eintrittskarten zahlen mussten. 

Es hat viel Überzeugungsarbeit bedurft, für den Vorschlag zwei Boote pro Nation zu erlauben und eine Mehrheit zu finden. Das kann man nicht einfach beschließen, sondern braucht dafür im ICF Board eine Mehrheit. Die Befürchtung der anderen Kontinente war die, dass unser Sport noch mehr von europäischen Verbänden dominiert wird und die großen Kanu-Nationen aus Europa noch mehr Medaillen gewinnen. Die Sorge ist nicht ganz unbegründet und lässt sich nur lösen, wenn wir als Weltverband mithelfen, Nationen aus anderen Kontinenten stärker zu machen. Das klingt jetzt für den DKV erst mal gefährlich, ist aber die sicherste Möglichkeit unseren Sport langfristig im olympischen Programm abzusichern. 


Meine Einschätzung zum Kanu-Rennsport Team Deutschland

Gestern hatte ich den Einsatzplan unserer Sportler erwähnt. Heute eine sehr subjektive Einschätzung, was für unsere Rennsportler hier möglich ist. Vorab, es gilt hier das gleiche wie im Slalom. Olympia ist unberechenbar und man kann kaum Ergebnisse vorhersagen.

Allerdings macht das Abschneiden der Slalomsportler die Situation für die Sprinter etwas einfacher. Alle Medaillen des DKV werden in einen Topf geworfen und zählen für die Verbandsförderung. 

In Rio mussten die Sprinter die Kastanien aus dem Feuer holen da die Slalomkanuten keine Medaille beisteuern konnten. Nun haben wir schon vier Medaillen. Aber klar, unsere Rennsportler wollen alle Medaillen. Und sie haben auch die Chance, in jeder Disziplingruppe zuzuschlagen. Am wahrscheinlichsten scheint es, für unsere Kajak Herren zu sein, möglichst viel mit nach Hause zu nehmen.

Jacob Schopf hat sich mit seinem Sieg beim Weltcup in Ungarn über die gesamte Weltelite zu einem Medaillenkandidaten im K1 entwickelt.

Der K2 Schopf/Hoff ist ungeschlagen und einer der Goldfavoriten.

Der K4 als unser Flagschiff, wird voraussichtlich mit den Spaniern um Gold kämpfen. Da wir hier in diesen genannten Disziplinen gute Medaillenchancen haben, hat sich das Trainerteam entschieden, auf Doppelstarts zu verzichten und auch die 200 m im K1 nicht zu besetzen. Klar hätte Ronny eine Chance gehabt, um Medaillen im K1 mitzufahren. Allerdings waren die letzten Rennen im K4 immer so knapp, dass vielleicht auch hier Hundertstel entscheiden. Wir wollten deshalb das Risiko nicht eingehen, vielleicht gerade im Einer soviel Kraft zu verlieren, dass das entscheidendste Hundertstel im Vierer fehlt.

Sollte es gelingen den Zeitplan für Paris zu ändern und den Vierer an den Anfang des olympischen Programmes zu stellen, sieht die Situation in Paris bezüglich Doppelstarts dann anders aus. 

Aber zurück nach Tokio und zu den Canadier Herren.

Der Zweier mit Brendel/Hecker ist ein Medaillenkandidat. In Ungarn gewonnen, aber dort nicht auf die stärksten Konkurrenten getroffen, erwarte ich hier einen engen Kampf mit China und Cuba. China hat 2019 mit Längen voraus das Rennen dominiert. Mittlerweile haben die Chinesen die Bootsbesatzung gewechselt und wie immer vor den Olympischen Spielen die ausländischen Trainer rausgeworfen. Das könnte uns in die Karten spielen, da wir unsere Sportler immer top auf den Wettkampf vorbereiten können.

Der Einer mit Sebastian Brendel und Conrad Scheibner wird eine Wundertüte. Unsere sind richtig gut, aber eben auch die anderen. Fuksa, der Chinese, der Pole, der Russe und unsere beiden werden um Medaillen mitfahren. Gestern gab es straffen Rechtswind auf der Strecke, ein Nachteil für unsere beiden Linkspaddler und auch die Situation auf den Bahnen war sehr unterschiedlich. Auf den Außenbahnen herrschte deutlich weniger Wind. Diesen Bahnen haben bei gleicher Wetterlage einen Vorteil. Da aber das Glück bisher auf unserer Seite ist, hoffe ich auf faire Bedingungen am Renntag.

Die Damen im Canadier haben eine tolle Entwicklung hinter sich. Wir haben als Verband (leider) später wie andere Verbände verstanden, in welche Richtung sich der Canadier Sport bei den Damen entwickelt und waren deshalb später dran, was die Unterstützung für diese Disziplin betrifft. Ich muss zugeben, dass ich noch vor drei Jahren gezweifelt habe, dass wir überhaupt eine Dame im Canadier für Tokio qualifizieren. Oskar Hummelt, damals zuständiger Disziplintrainer, war deutlich zuversichtlicher wie ich und hatte Recht.

Die letzten Ergebnisse, gerade im C2 mit einigen Vierten Plätzen zeigen, dass wir auch hier an den Medaillen schnuppern. Trotzdem wird es schwer hier Medaillen einzufahren. Eine gute Platzierung im Endlauf würde uns hier schon zufriedenstellen.

Jahrelang unsere Domäne mussten wir in den letzten Jahren bei den Kajak Damen einige Rückschläge einstecken. Keine Medaille 2019 bei der WM und nur der 6. Platz im K4. Es war eine knappe Qualifizierung für die Spiele und zeigte das damalige Leistungsvermögen unserer Damen.

Mit Franziska John (Weber) die im Januar Mutter von Zwillingen geworden ist und Steffi Kriegerstein, die sich von einer Covid Erkrankung nicht erholte, fehlen zwei der Medaillengewinner von Rio.

Nicht unbedingt glücklich war Lars Kober als er die Damen übernehmen durfte. Er wusste um die schwierige Ausgangslage. Mit meinem Argument, dass die besten "Kommandeure" die schwierigsten Einheiten übernehmen müssen, hat er sich der Aufgabe gestellt. Und wie – das Leistungsvermögen aller Mädchen hat sich deutlich verbessert, alle sind optimistisch und ich bin mir sicher, dass gerade diese Disziplingruppe für die eine oder andere Überraschung sorgen kann.

In zwei Tagen wissen wir schon mehr.
 

Zum Abschluss des heutigen Blogs doch noch etwas Sportpolitik.

Ich habe wohl in einem meiner ersten Beiträge erwähnt, wie wichtig auch aus finanzieller Sicht die Durchführung der Spiele für den Erhalt der Strukturen im Weltsport ist. Daraufhin gab es einige kritische Anmerkungen über die Geldmaschine IOC und die Selbstbedienungsmentalität der Funktionäre und dass meine allgemeinen Aussagen falsch sind. Deshalb jetzt nochmals etwas ausführlicher Zahlen und Fakten.

Ohne die Einnahmen aus den Olympischen Spielen gäbe es den weltweiten Sport mit so vielen Sportarten, wie wir ihn kennen nicht. Es gäbe lediglich Wettkämpfe in den Sportarten, die für Sponsoren besonders interessant sind. "Na und?", werden manche sagen. "Was juckt mich Kanu, Ringen, Rudern oder Reitsport?" Kann man ja so sehen, aber die Welt und nicht nur die, des Sports, wäre deutlich ärmer ohne diese Sportarten.
Das IOC gibt täglich 3,4 Millionen Dollar an Sportorganisationen rund um die Welt. 

Davon gehen 540 Millionen Dollar im Zeitraum einer Olympiade an die NOK`s. Ohne dieses Geld könnten die meisten Länder auf der Welt keine Sportstrukturen anbieten und ihren Sportlern kein regelmäßiges Training ermöglichen. Ebenfalls 540 Millionen Dollar gehen nach einem Schlüssel der sich an Einschaltquoten orientiert, an die Internationalen Verbände. 90 % des Etats unseres Weltverbandes kommt aus der IOC Unterstützung. Es ist kein Geheimnis, dass die ICF im Jahr ca. 3 Millionen Dollar ausgeben kann.

1,53 Milliarden Dollar gab das IOC an das OK in Rio für die Spiele 2016 weiter. Tokio bekommt entsprechend des Vertrages 1,7 Milliarden Dollar, aber hier wird zum Schluss abgerechnet und mit Sicherheit muss das IOC hier noch einen Nachschlag für Zusatzkosten zahlen.

Ebenfalls zu einem Teil werden die WADA, der Sportgerichtshof CAS und die ITE (verantwortlich für Durchführung und Abwicklung der Dopingtests auf internationalem Level) durch IOC Gelder finanziert. Ohne Dopingtests und Gerichtsbarkeit können wir unseren Sport vergessen. Dann kommen noch die Jugendspiele und die vielen weiteren Aktivitäten dazu, die helfen, die Sportstrukturen am Leben zu halten.

Gäbe es diese Unterstützung nicht, würden nur Sportarten weltweit überleben, die so viele Sponsoren interessieren, dass sie keine Zuschüsse brauchen. Da kenne ich nicht viele. Kann jemand anders den Platz des IOC als Organisator der Spiele einnehmen. Prinzipiell ja, wenn die Veranstaltung anders heißt. Das wird dann aber ein privater Veranstalter sein, der Gewinn erzielen muss und den Gewinn mit Sicherheit nicht verteilt. Erste Ansätze in diese Richtung gibt es bereits. Aber auch dann werden viele kleine Sportarten auf der Strecke bleiben. 

Morgen gibt es keine Politik. Dafür mal eine ausführlichere Schilderung meines Tagesablaufes hier in Tokio.

Ich wünsche Euch einen schönen Sonntag.

Euer Thomas

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