24. Juli 2024

Ebbe und Flut, Niedrigwasser und Hochwasser

Badestelle Langeneß bei Ebbe (Foto: Siegfried Fuß)

Es scheint wohl zu schwierig zu sein, die Ebbe vom Niedrigwasser und die Flut vom Hochwasser zu unterscheiden. In vielen Fahrtenberichten, in Zeitungsartikeln, in Fernsehsendungen, im Internet und und und werden die Begriffe falsch gebraucht. Ich habe sogar einen Aufsatz in einer wissenschafts-orientierten Zeitschrift von einem Meeresbiologen Professor gelesen, in dem die Begriffe falsch gebraucht wurden. Dabei ist es so einfach, wenn man sich merkt, dass Ebbe und Flut Prozesse sind, die jeweils nach etwas mehr als sechs Stunden wechseln. Niedrigwasser und Hochwasser sind die Zeitpunkte zwischen den Prozessen.

Von Siegfried Fuß, Schwinge (Text und Fotos)

 

"Optisch erkennbar ist Stauwasser daran,
dass schwimmende Seezeichen sich nicht mehr in Strömungsrichtung neigen."

Wenn die Ebbe - an der Küste auch ablaufendes Wasser genannt - aufhört, das Wasser nicht mehr strömt, ist Niedrigwasser. Theoretisch, also ohne Einflüsse wie Wind, Bodenbeschaffenheit, einmündende Gewässer u.ä. dauert Niedrigwasser nur einen Moment. Dann setzt die Flut - auch auflaufendes Wasser genannt - ein. Wenn die Flut aufhört zu strömen, ist Hochwasser. Das für das Niedrigwasser Gesagte gilt genauso auch für das Hochwasser.
Als Oberbegriff für Niedrigwasser und Hochwasser wird auch der Begriff Stauwasser gebraucht. Optisch erkennbar ist dieser Zeitpunkt daran, dass schwimmende Seezeichen (vor allem Fahrwassertonnen) sich nicht mehr in Strömungsrichtung neigen. Aus nächster Nähe orientiert sich der Wassersportler daran, dass die „Bugwelle“ bzw. das „Kielwasser“ der Tonnen fehlen. Vor Anker liegende Schiffe schwoien (drehen) gegen den Wind bis sie gegen die neu einsetzende Strömung eintörnen. Wer nur die oben genannten Begriffe richtig anwenden will, braucht hier nicht weiter zu lesen. Wer jedoch mehr über die Entstehung der Gezeiten, über Tidenhub, Strömungen, Spring- und Nipptiden wissen will, sollte weiter lesen. Für Küstenpaddler können diese Kenntnisse unter entsprechenden Verhältnissen lebenswichtig sein

 

Hintergrundwissen

  1. Entstehung der Gezeiten: Die Gezeiten, auch Tide genannt, entstehen durch die Anziehungskräfte (Gravitation) von Mond und Sonne. Massen ziehen sich laut Isaac Newton auch dann an, wenn sie nicht magnetisch sind. Wer das experimentell nachprüfen will, lege einige Holzstückchen oder Streichhölzer in eine mit Wasser gefüllte Schüssel. Nach einiger Zeit liegen sie zusammen am Rand. Der Mond hat zwar eine wesentlich kleinere Masse als die Sonne, weil er unserer Erde jedoch bedeutend näher ist, wirkt seine Masse aber stärker. Die Gravitation des Mondes beträgt ca. 55 %, die der Sonne 45 %. Die Stärke der Gravitation wächst linear mit der Größe der Masse, nimmt aber im Quadrat der Entfernung ab. Dass die Himmelskörper sich nicht nuranziehen und schließlich zusammenstoßen, liegt daran, dass sie um einen Mittelpunkt, dem Schwerpunkt, umeinander kreisen und durch die Fliehkraft auf Abstand gehalten werden. Da ein Mondtag nicht wie der Sonnentag, 24 Stunden beträgt, sondern 50 Minuten länger ist, verschiebt sich jede Tide - wiederum nur theoretisch - um 25 Minuten. „Nur theoretisch“ deshalb, weil die Umlaufbahnen nicht kreisförmig sind, sondern die Form von Ellipsen haben. Schon diese wenigen Fakten lassen erkennen, dass es für einen Seekajakpaddler unmöglich ist, für einen bestimmten Tag und Ort Hoch- und Niedrigwasser zu berechnen. Der Seemann wie der Wassersportler, der ein Tidegewässer befährt, kommt nicht umhin, sich den Gezeitenkalender des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie zu kaufen oder die entsprechenden Daten (preiswerter, weil kostenlos) im Internet herunter zu laden.
    Wenn wir auf der Erde nur die Gravitation des Mondes hätten, würde auf der dem Mond zugewandten Seite der Erde auf dem offenen Ozean ein Flutberg - auch Flutwelle genannt - von 30 cm Höhe entstehen. Auf der entgegengesetzten Seite ist die Gravitation des Mondes durch die Masse der Erde fast unwirksam, daher entsteht hier durch die Fliehkraft der Erde ebenfalls ein Flutberg, der jedoch kleiner ist. Da die Erde sich um sich selbst dreht, wandern dies beiden Flutberge um die Erde. Gleichzeitig werden auch das flüssige Erdinnere und die elastische Erdkruste um 20 bis 30 cm, in Äquatornähe um 50 cm - um zwei Stunden gegenüber dem Wasser versetzt - angehoben.
     
  2. Besonderheit bei Neu- und Vollmond: Auch die Sonne erzeugt zwei Flutberge. Da die durch Sonne und Mond definierten Tage verschieden lang sind, verschiebt sich die Lage der Berge entsprechend. Wenn Sonne und Mond in einer Richtung zur Erde stehen, also bei Neumond, addieren sich die beiden Flutberge. Das gleiche gilt, wenn sich bei Vollmond Sonne und Mond gegenüberstehen. Weil die Wasserstände an den Tagen um Vollmond und Neumond herum höher als normal sind, spricht man von Springtide oder Springhochwasser bzw. Springniedrigwasser. Bei Halbmond wirken die Gravitationskräfte rechtwinklich zueinander mit der Folge, dass die Unterschiede zwischen Hochwasser und Niedrigwasser wesentlich geringer sind. Man spricht dann von Nipptiden und von Nippniedrigwasser bzw. Nipphochwasser.
     
  3. Einflüsse auf die Gezeiten: Der Unterschied zwischen Hochwasser und Niedrigwasser wird als Tidenhub bezeichnet. Er beträgt - wie schon oben gesagt - ohne Beeinflussung auf dem offenen Ozean nur 30 cm, der größte in der Bay of Fundy (Kanada) 16-21 m. In Deutschland beträgt der Tidenhub der Nordsee zur Zeit zwischen 1,1 m (Bremervörde) und 4,1 m (Bremen), in der Ostsee nur einige Zentimeter.  
    Ich will hier nur die wesentlichsten Einflüsse auf die Gezeiten ohne ausführliche Beschreibung auflisten, weil sie aufgrund des bisher Beschriebenen einsichtig sind. Wenn auch einzelne Faktoren vielleicht nur einen geringen, manchmal kaum messbaren Einfluss haben, können sie durch Kumulieren doch zu spürbaren Veränderungen führen. Wenn die Flutwellen auf dem Weg um den Erdball auf die östlichen Küsten der Kontinente treffen, werden sie reflektiert und beeinflussen damit die Gezeiten. Für Europa trifft dies nicht zu, weil es hier keine größeren östlichen Küsten gibt.
    Die Einflüsse der geographischen Lage können am Beispiel der Nordsee in mehrfacher Hinsicht verdeutlicht werden. Durch die beiden Öffnungen zum Atlantik hin (Ärmelkanal und um Schottland herum) entstehen zwei Flutwellen, die zeitlich versetzt in die Nordsee und die Deutsche Bucht gelangen. Vor dem westlichen Eingang des Kanals verengt sich die Wasserfläche mit der Folge, dass es einen Rückstau des einströmenden Flutberges und stärkere Strömungsgeschwindigkeiten gibt mit überdurchschnittlichem Tidenhub vor Frankreichs Küsten (St. Malo 12 – 16 m). Die Doggerbank und die Jütlandbank mit ihren relativ geringen Wassertiefen liegen vor der Deutschen Bucht und führen ebenso wie die Verengung des Ärmelkanals zu stärkeren Strömungen. Das gleiche Phänomen tritt im Kleinen zum Beispiel in den Seegatten zwischen den Inseln und zwischen Sandbänken auf. Hier ist es für die Fahrtenplanung von Kanuten sehr wichtig. Es gibt Gebiete, zum Beispiel das Rummelloch zwischen Hooge und Pellworm, wo Strömungen so stark werden können, dass man nicht mehr gegen an fahren kann. Noch stärkeren Einfluss auf den Kajaksport hat der Wind. Abgesehen davon, dass Gegenwind die Geschwindigkeit herabsetzt, führt Wind gegen Strom zu steilerem und kürzerem Seegang. Dass Wind die Wasserstände erhöhen kann, ist am Beispiel der Sturmfluten allseits bekannt. Für uns Kanuten ist wichtiger, dass vor allem anhaltender Wind aus östlichen Richtungen sehr schnell dazu führt, dass Sandbänke oder Priele, die sonst problemlos befahrbar waren, plötzlich zu flach werden. Selbst wenn das Wasser für unsere flachgehenden Boote noch für eine Befahrung ausreicht, kann die im Flachwasser entstehende Brandung unangenehm, sogar lebensgefährlich werden. Die in die Nordsee mündenden Flüsse und Ströme verändern wegen des vom Oberlauf zufließenden Wassers die Strömungsgeschwindigkeit und die Zeiten von Hoch-und Niedrigwasser. Weil hier weit mehr geografische Einflüsse als im Wattenmeer auf die Gezeiten einwirken, können keine allgemeingültigen Angaben gemacht werden. Zu den oben dargestellten Einflüssen auf den Ablauf der Gezeiten können in den Flüssen teilweise extrem tiefe Fahrwasser mit starken Strömungen, Uferbefestigungen, Buhnen, Hafenanlagen, Industriebauten, mit Baggergut aufgeschüttete Sandbänke, Einmündungen von Nebenflüssen u.a. kommen.     

 

 

Hilfsmittel für Küstenpaddler

 
 

Für den Nordseeküstenpaddler gibt es einige Hilfsmittel, die ihm helfen, die in diesem extrem dynamischen Paddelrevier vorhandenen Gefahren zu minimieren:

  1. Der Gezeitenkaleder des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrografie, der nicht nur die unerlässlichen Gezeitentabellen enthält, sondern z .B auch die Sonnen- und Mond- Auf- und Untergangszeiten, den Tidenhub für viele Küstenorte, Spring- und Nipptidenzeiten, Mittleres Hoch- und Niedrigwasser.
  2. Seekarten, für Wassersportler in handlichem Format. Seekarten-Null ist bei Karten von Gezeitengewässern der niedrigst mögliche Wasserstand, noch unter Mittlerem Spring-Niedrigwasser.
  3. Strömungskarten geben Richtung und Stärke der Gezeitenströme an.
  4. Radio zum Empfang der Seewetterberichte, der Wind- bzw. Sturmwarnungen und der Wasserstandsvorhersagen.
  5. Kompas
  6. GPS gibt die aktuelle Position auch bei schlechter Sicht an
     

 


 

 

 


Diesen Artikel sowie weitere Touren, Beiträge und Themen findest du im KANU SPORT 11/2014:

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