20.08.2018 | Kanu (Allg.)

Freya Hoffmeister: Bruchlandung im Beringmeer

Diesen 5. August 2018, ihren 263. Fahrtentag rund Nord-Amerika, wird Freya Hoffmeister nicht so schnell vergessen.
Freya Hoffmeister 2018

Es geschah bei ihrem 7.350. Paddelkilometer, dass sie auf dem Weg von Nelson Lagoon nach Port Heiden beim Anlanden durch die Brandung an der nördlich gelegen Küste der Aleutenkette, und zwar bei Cape Seniavin, ihr Seekajak zerbrach (Aleutenkette):

Nein, nein, diese Havarie ist nicht vergleichbar mit jener, die ihr einst entlang der brasilianischen Küste passierte. Damals riss sie ihr Bug auf, als ein Kaventsmann sie über ein knapp unter der Wasseroberfläche liegendes Riff schleuderte. Jetzt war die Grundberührung derart heftig, dass ihr schwedisches Seekajak von POINT 65°N regelrecht in Höhe der Sitzluke auseinanderbrach. Lediglich die Rettungshalteleinen hielten die beiden Bootshälften zusammen. Dennoch hatte Freya etwas Glück im Unglück; denn zum einen bliebe sie selber unverletzt und zum anderen zerbrach das Seekajak so „geschickt“, dass sowohl der Bug- und der Heckstauraum unbeschädigt blieben.

Aber ich fang mal von vorne an. Am 2.8.18 landete sie mit ihrer derzeitigen „Paddelabschnitts“-Gefährtin Natalie Maderova in Port Moller an. Wegen zu heftigen Windes, konnten beide erst zwei Tage später wieder weiter paddeln. Am 5.8.18 ging es um 9.45 Uhr los in Richtung Cape Seniavin. 9 Stunden später erreichten sie nach 62 Paddelkilometern um 18.45 Uhr das Cape und beschlossen in der Nähe anzulanden. Und das sieht i.d.R. so aus:

„Landing Count Down“ (bei Brandungsbedingungen)

10 – Auswahl einer geeigneten Anlandestelle: Meist wurden am Abend zuvor über Google Earth und elektronischer Seekarte Landemöglichkeiten ausgesucht. Vor Ort galt es nun zu prüfen, ob der ausgewählte Küstenabschnitt bei den vorherrschenden Wind- und Strömungsbedingungen wirklich zum Anlanden geeignet ist: Ist der Strand zu felsig, zu steil; rollt Dünung heran, wie hoch steilt sie auf und wie flach läuft sie aus?

9 – Vorausarbeiten: Der Helm wird aufgezogen, die Schwimmweste fester geschnallt, die Paddelsicherungsleine sowie die Life-Line gelöst und das UKW-Sprechfunkgerät zur gegenseitigen Verständigung angeschaltet.

8 – Absprache: Die erfahrenste Kanutin landet als erste an und gibt, wenn Kanutin und Kajak sicher an Land liegen, der weniger erfahrenen Mitpaddlerin per Hand ein Zeichen bzw. über Sprechfunk ein Signal, zu folgen, wobei darauf zu achten ist, ob gegebenenfalls zu einer anderen Anlandestelle hin dirigiert wird.

7 – Beobachtung I: Nun nähert sich die erste Kanutin dem ausgewählten Strand und versucht, sich zum einen ein Bild von der anrollenden Dünung zu machen (=> gibt es Phasen, wo die Dünung nicht so hoch einläuft?).

6 – Beobachtung II: Anschließend versucht die Kanutin sich ein Bild davon zu machen, wie steil der Strand ist und wie steil & kräftig die Dünung am Strand bricht (=> je steiler der Strand ist, desto mehr wird die Dünung aufsteilen und desto kräftiger wird sie brechen!)

5 – Hindernisse: Die Kanutin hält bei der Annäherung Ausschau nach Hindernisse (Felsen), auf die das Seekajak von der Brandung gespült werden könnte.

4 – Hinterhalt: Bei der Beobachtung der Anlandestelle muss die Kanutin jedoch immer wieder nach hinten schauen, um sich zu vergewissern, dass nicht gerade eine besonders hohe Dünung einläuft und schon hinter ihr zu brechen anfängt.

3 – Annäherung: Die Kanutin paddelt langsam vorwärts und versucht jenen Punkt anzupeilen, bei dem die meisten Wellen beginnen aufzusteilen und zu brechen.

2 – Anlandevorbereitung: Damit das Anlanden gelingt, muss die Kanutin in der Lage sein, nach einem Surf auf den Strand schneller ihr Seekajak zu verlassen, als dass das Wasser des nachfolgenden Brechers sie wieder mit hinaus auf Meer zieht. Deshalb öffnet die Kanutin schon vorher ihre Spritzdecke, um schneller ihr Seekajak verlassen zu können.

1 – Attacke: Wenn die Kanutin meint, dass gerade eine flachere Dünung einläuft, versucht sie hinter einer gerade aufsteilenden und dann brechenden Welle her zu paddeln und das möglichst so, dass der ihr folgende Brecher hinter der Kanutin bricht und das brechende Wasser sie auf den Strand hinauf spült.

0 – Ausstieg & Sicherung: Nach dem die Kanutin mit dem letzten Spülwasser eines Brechers den Strand hoch surft, schmeißt sie ihr Paddel Richtung Land und versucht dann, so schnell auszusteigen und ihr Seekajak hinauf auf den trockenen Strand zu ziehen, bevor der nächste Brecher sie überspült und wieder zurück aufs Meer zieht.

So weit, so theoretisch. Die Praxis sah dieses Mal anders aus. Bevor Freya zur „Attacke“ übergehen konnte, baute sich hinter ihr die Dünung besonders steil auf und brach über ihr so heftig zusammen, dass ihr stark beschleunigtes Seekajak zu kerzen anfing und auf dem Grund wohl stecken blieb. Aufgrund der schweren Beladung des Seekajaks entwickelten sich dabei derartige Kräfte, dass das Seekajak regelrecht mittig auseinanderbrach.

… und nun die Mitpaddlerin!

Anschließend galt es, die Mitpaddlerin hereinzulotsen, was auch problemlos gelang; denn:

•    erstens können wir von Land aus besser die Gefahren der anrollenden Dünung einschätzen,
•    zweitens können wir die Mitpaddlerin dorthin dirigieren, wo der Grund sich besser zum Anlanden eignet
•    und drittens können wir beim Anlanden das Seekajak der Mitpaddlerin ergreifen, an Land ziehen und stabilisieren, bevor das Seekajak von der Brandung querschlägt und zurück in den nächsten Brecher treibt.

SOS

Nachdem alles geborgen und gesichert wurde, nahm Freya per Satellitentelefon sofort Kontakt mit den Fischersleuten von Port Moller auf, schilderte die Lage und besprach, was nun zu tun sei: Nach Beruhigung der Wetterlage soll ein Fischerboot vorbeikommen und sie beide abbergen.

Was nun?

Am 9.8.18 kam per Schiff Hilfe. Natalie wurde samt ihres Gepäcks an Bord geholt, doch Freya wollte nicht aufgeben und stieg in ihr zweiten Seekajak, welches bislang für ihre Mitpaddler zur Verfügung stand, und versuchte weiter voranzukommen. Zumindest war der Wille stark, jedoch fühlte sich Freya etwas geschwächt von ihrer Havarie: Ihr Rücken schmerzte. Dazu kamen schlechteste Gewässerbedingungen und der plötzliche Zustand, wieder allein paddeln zu müssen. Nachdem sie in 8:30 Std. nur knapp 25 km vorangenommen war, gab sie demotiviert auf, wollte zumindest für dieses Jahr nicht mehr die Nordroute weiter entlangpaddeln. Erneut rief sie die Fischersleute von Port Moller um Hilfe und sie kamen tatsächlich und holten sie raus.

Aber Freya wäre nicht Freya, wenn sie nach 7 Ruhetagen nicht wieder „wild“ dazu entschlossen war, doch noch wenigstens bis Ende August entlang der Nordroute zu paddeln. Sie überredete die Fischerleute sie per Schiff zurück an den Ort zu bringen, wo sie abgeborgen wurde und paddelt so seit dem 16.8.18 wieder weiter … dieses Mal jedoch allein.

Text: Udo Beier
Foto: Michael Madera

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