30.07.2021 | Thomas Konietzko Blog

Heute wurde in Japan Geschichte geschrieben

#tokoblog (7): Erstmals haben die Damen im Canadier um olympische Medaillen gekämpft. Ein langer und beschwerlicher Weg bis hierher.
Sideris Tasiadis, Ricarda Funk und Andrea Herzog

Im Frühjahr 2015 hat mich unser ICF Präsident beauftragt, eine Kommission für eine Überarbeitung des Olympischen Programmes für 2020 zu leiten. Ich gebe zu, dass ich mich schwergetan habe, hier für mich eine abschließende Position zu finden. Canadier Damen waren von Anfang an ein Thema, allerdings war mir und meinen vier Mitstreitern klar, dass wir nicht mehr Events vom IOC bekommen und für die Aufnahme der Canadier Damen sowohl im Slalom als auch im Rennsport zwei traditionelle Wettkämpfe streichen müssen. Jemanden etwas wegzunehmen bewirkt immer Widerstand. Hinzu kam, dass zum damaligen Zeitpunkt das Niveau sowohl im Rennsport als auch im Slalom, diplomatisch gesagt, ausbaufähig war. Nur wenige Damen kamen unfallfrei die Slalomstrecke runter und der Kurs war meistens leichter, wie der für die Herren. Im Sprint gab es nur wenige Nationen, die Damen im Canadier ausbildeten und vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an die WM in Poznan 2011, wo erstmals Canadier Damen an den Start gingen und die Liveübertragung ins "schwimmen brachte", weil die meisten Damen nicht in den Startschuh kamen.

Am Ende habe ich mich aber von grundlegenden Überzeugungen leiten lassen, dass Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit ein Wesen des Sports sind und man auch Widerstände in Kauf nehmen muss. 2016 nach den Spielen in Tokio haben wir dann den Vorschlag gemacht, erstmals 2020 ein vollkommen geschlechterneutrales Wettkampfprogramm mit gleicher Anzahl von Wettkämpfen für Frauen und Männer und mit gleicher Anzahl von Teilnehmern einzuführen. Überraschenderweise konnte ich davon eine Mehrheit überzeugen. Die Entwicklung im Canadier der Frauen in beiden Disziplinen hat zwischenzeitlich so viel Fahrt aufgenommen, dass heute wohl die meisten mit dieser Entscheidung zufrieden sind.

Und Deutschland konnte heute an der Geschichte mitschreiben. Andrea Herzog hat Bronze gewonnen. Klar, sie ist amtierende Weltmeisterin. Sie ist aber gerade 21 Jahre, die anderen Mitbewerber trainieren deutlich länger im Canadier und Olympia ist etwas Besonderes. Im Halbfinale hat sie bereits ihre Cleverness bewiesen. 

 

Zwar haben Jessica Fox und Mallory Franklin saubere Läufe abgeliefert, aber Andrea musste sich nicht verstecken. Das Finale ging dann wie gestern von mir vorhergesagt los. Keine der ersten Starterinnen konnten an ihre Leistung im Halbfinale anschließen. Es passierten Fehler über Fehler und mit einer mittelmäßigen Zeit war man noch auf Medaillenrängen. Und ab jetzt lag ich falsch mit meiner Vorhersage, da die drei Medaillengewinner eine noch nie gesehene Show abzogen. Mallory erwischte einen Traumlauf. Zwar mit einer Berührung aber am Ende mit einer Fabelzeit. Wer sollte sie noch schlagen. Andrea fing etwas verhaltener an. Man sah ihr an, dass sie Fehler vermeiden wollte. Trotzdem lief es rund und in der Zwischenzeit war sie nur wenige Sekunden zurück. Dann eine Berührung und unten trotzdem eine Wahnsinnsfahrt. 2.45 Sekunden hinter Mallory Zweite. Die Tschechin patzte und damit war die Bronzemedaille sicher. Nur noch die große Ikone des Damen Canadiersports stand jetzt oben. Viele trauten ihr keine zweite Superfahrt zu. Wir wussten wie groß der Druck nach der verpassten Goldmedaille im Kajak auf Jessy war und das tatsächlich ganz Australien mitfiebert. Scheitert sie an diesem Druck? Nein, sie brachte eine unglaubliche Fahrt runter, ohne sichtbare Fehler oder Berührungen und war die wirklich verdiente Siegerin in diesem historischen Event.

Danach habe ich nicht mehr viel mitbekommen. Ich hatte schon am Montag diesen Wettkampf ausgewählt und wollte hier die Siegerehrung machen. Deshalb gibt es heute nur wenige Bilder.

Bei allen dreien sah man auf dem Podest die Freude in den Augen über ihr Abschneiden. Jeder war auf seiner Art mit seiner Medaille glücklich. Was will man mehr?

Danach begann für Andrea und ihren Trainer Felix Michel ein langer Pressemarathon. Fast schon Gewohnheit für das deutsche Team und trotzdem immer etwas Besonderes.

 

 

Morgen gibt es den letzten Slalomwettbewerb der Spiele. 14.00 Uhr das Halbfinale (7:00 Uhr MEZ) und 15.55 Uhr (8:55 Uhr MEZ) das Finale. Mal sehen was der Tag bringt.

Sideris ist mittlerweile in Frankfurt angekommen. Der Flieger hatte eine Stunde Verspätung und Sid hat sich schon darauf eingestellt, zum Zug zu hecheln um noch nach Augsburg zu kommen. War dann aber nichts, da seine Familie und zahlreiche Fans von seinem Heimatverein Sid am Ausgang empfangen haben und ihm eine wirkliche Überraschung bereitet haben. Im Auto ging es nach Augsburg und dort wurde dann noch bis weit  in den Morgen gefeiert.

Danke für die zahlreichen Nachrichten und Emails zu meinem Blog. Leider kann ich sie nicht alle zeitnah beantworten. Ich versuche dies nach meinem Rückflug nachzuholen. Einige kritische Anmerkungen habe ich zu meinem ersten Blog bekommen, als es um das IOC und die kommerzielle Bedeutung der Spiele für die Organisation des Weltsports ging. Da ja am Wochenende frei ist, komme ich darauf vielleicht mit einer intensiveren Erklärung zurück.

Wo wir schon bei Sportpolitik sind: Ich habe mich in Sachen der rassistischen Beschimpfung eines Athleten beim Rad Zeitfahren durch den Sportdirektor des BDR sofort positioniert, allerdings anders als die DOSB Führung in ihrer ersten Stellungnahme. Ich habe, als ich von diesem Vorfall erfahren und die Bilder gesehen habe, die sofortige Suspendierung und Rückreise des Offiziellen gefordert. Es ist menschlich, dass einem Mal ein Schimpfwort unbedacht rausrutscht. Dafür kann man sich entschuldigen. Aber hier, wo sich die Welt trifft und gegenseitiger Respekt überhaupt die Grundlage der Olympischen Spiele sind, wo wir alle für Werte stehen, gibt es für solch eine Wortwahl keine Entschuldigung. Zum Glück hat ja der DOSB dann seine Meinung geändert und den Betroffenen nach Hause geschickt.

Heute hatte ich meinen ersten Ausflug zur Kanu-Rennsport Strecke, die im Moment noch von den Ruderern okkupiert ist und konnte mir den letzten Tag der Ruderwettbewerbe anschauen. Riesenstimmung, die Tribünen waren voll mit Sportlern und als Höhepunkt das Achterrennen. Na klar fiebert man hier mit. Mein Freund und Kollege, der Präsident des Ruderverbandes hat sichtbar mehr graue Haare in den letzten Tagen bekommen. Jetzt sollte der Achter die Bilanz retten. Am Ende haben sie Silber gewonnen und nicht Gold verloren, zwischenzeitlich sah es so aus, als ob sie auf den vierten Platz abfallen. Erst im Schlusssport haben sie die Silbermedaille gesichert.

 

 

Die Bedingungen waren im Vergleich zu den vergangenen Tagen super. Kaum Wind und wenn doch leicht von hinten links. Das sind Bedingungen, die unseren Canadierfahrern gut passen könnten.

Heute früh fliegt unser Kanu-Rennsport Team Deutschland von Tokushima nach Tokio und ziehen in das Olympische Dorf ein. Morgen gibt es dann noch einige Bilder mehr von dem Vorbereitungslager in Naka.

Schluss für heute – ich muss üben ohne zu schreien (ist laut Regelwerk verboten) so laut wie möglich "Go Hannes Go" zu sagen. Aber Hannes hat soviel Erfahrung, er braucht wahrscheinlich keine Anfeuerung.

Bis Morgen
 

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