26.02.2021 | Kanu-Slalom

Kanu-Slalom - Ein Blick in die Entwicklung der olympischen Sportart

Die Geschichte des olympischen Kanu-Slaloms ist relativ jung und von einigem Auf und Ab gekennzeichnet.
Schellhorn, F. (1972). Olympische Spiele 1972. Augsburger Eiskanal.

Erst 1966 wurde der Slalom als neue olympische Disziplin vorgeschlagen (Kanu-Rennsport war bereits seit 1936 im Programm) und 1969 beschlossen die Offiziellen während der 68. Session des IOC in Warschau, dass in München erstmals Slalom-Wettkämpfe unter der Flagge der fünf Ringe ausgetragen werden [1].

1972 war es dann soweit: Der Sport paddelte bei den Spielen von München auf das olympische Parkett. Allerdings lag der Austragungsort etwas abseits der bayrischen Landeshauptstadt, denn den Zuschlag für das Projekt erhielt das etwa 60 km entfernt gelegene Augsburg. Der dort befindliche Kanal zum Abtrieb des Eises am Lech-Stauwerk gab dann auch der Wettkampfstrecke seinen Namen. Der Begriff „Eiskanal“ wurde für lange Zeit zum Synonym künstlicher Wildwasserstrecken.

 


 

Sport als Spielball der Systeme: zwei deutsche Kanu-Mannschaften in München

Die konkurrierenden sowjetischen und amerikanischen Interessen im Iran hatten 1947 zum Beginn des „Kalten Krieges“ geführt, der als Systemkonfrontation zwischen Kapitalismus und Marxismus-Leninismus in Erscheinung trat. 1949 führte dieser Konflikt als Folge des verlorenen Zweiten Weltkrieges zur Auftrennung des Staatsgebietes des ehemaligen Deutschen Reiches in einen westdeutschen und ostdeutschen Staatsteil. Die Bundesrepublik Deutschland (BRD) wurde am 23. Mai auf dem Gebiet der „westlichen“ Besatzungszonen, die Deutsche Demokratische Republik (DDR) am 07. Oktober auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone gegründet. Ab 1952 kam es durch den massiven Ausbau von Grenzbefestigungen entlang der sowjetischen Besatzungszone zu einer „harten“ Trennung der beiden „Staatsgebiete“. [2]

Unter anderem aufgrund dieser Entwicklungen standen sich bei den Sommerspielen 1972 in München zwei deutsche „Nationalmannschaften“ auf deutschem Boden gegenüber, die in einem gewissen Sinne die Funktion der „Systemvertretung“ übernahmen. Ost und West wollten oder mussten zeigen, welches das beste politische System sei, koste es, was es wolle.

Die Westdeutschen hatten für die Spiele das erste künstliche Wildwasserstadion der Welt gebaut. Es war in seiner Art bis dahin einzigartig und die Bauweise des Betonkanals produzierte sehr spezielle Strömungen. Damit kamen die DDR-Athleten bei den vorolympischen Spielen 1971 überhaupt nicht zurecht. Sie holten nur zwei Bronzemedaillen in vier Wettbewerben. Um die sich abzeichnende Pleite abzuwenden, entschloss man sich, eine eigene ähnliche künstliche Strecke zu bauen. Ein komprimiertes und nur mit den Schlüsselstellen versehenes Abbild des Augsburger Eiskanals entstand in einer Rekordzeit von nur drei Monaten im sächsischen Zwickau, ohne dass dies vom Westen notiert wurde. Dem 660 Meter langen Original lag ein auf etwa 450 Meter verkürztes Gegenstück an der Zwickauer Mulde gegenüber. Auf dieser Strecke konnten die DDR-Athleten den westdeutschen Heimvorteil entscheidend mindern, ohne dass ihnen einer in die Karten schauen konnte. Kein Wunder also, dass die Überraschung über das solide Auftreten der DDR-Athleten groß war und die Medaillenträume der Bundesrepublik den Eiskanal hinuntertrieben. Olympisches Gold „made in BRD“ wurde ausschließlich dem innerdeutschen Nachbarn umgehängt. Die DDR gewann alle Wettbewerbe.
 



Vorläufiges Aus bei Olympia

Nach München 72 entschied das IOC, dass der Kanu-Slalom nicht mehr olympisch sein sollte. So verschwand das Wildwasser zunächst von der olympischen Bühne und damit auch aus dem Blickwinkel der Politik. Besonders das Ost-System hatte für nicht-olympische Disziplinen wenig übrig. Der „Eiskanal“ in Zwickau wurde noch einige Zeit genutzt, dann aber nicht mehr gepflegt und gewartet. Aus ihm wurde eine Sportruine, ein Zeugnis des Kalten Krieges. Heute liegen nur noch überwucherte Reste des Betonkanals in der Landschaft, mittlerweile unter Denkmalschutz. Von den erfolgreichen Sportlern der DDR war auf internationaler Bühne lange Zeit nicht mehr viel zu sehen. Dennoch arbeiteten die Kanuten „Ost“ jenseits der Grenze fleißig weiter, immer mit der Hoffnung, dass die Slalomflotte wieder auf olympischen Parcours gehen darf.
 



Reconquista - der Kanu-Slalom erobert sich die Spiele zurück

Nach zwanzig Jahren Pause von den Spielen war der Kanu-Slalom 1992 im spanisch-katalonischen Barcelona wieder dabei. Die DDR gab es nicht mehr, aber ihr sportliches Erbe. Viele Gedanken, Konzepte, Sportler und Trainer arbeiteten nun mit dem BRD-Dachverband, dem Deutschen Kanu-Verband (DKV) zusammen. Als Ergebnis stand eine gesamtdeutsche Mannschaft im neuen Kanu-Stadion im spanischen Seu d‘ Urgel am Start. Auch in Spanien wurde wieder in eine künstliche und außerhalb des Hauptaustragungsortes gelegene Wettkampfstrecke investiert. Diesmal gab es für das deutsche Team nur zwei Medaillen. Bronze im Kajak der Männer durch Jochen Lettmann, Gold holte die Augsburgerin Elisabeth Micheler. Übrigens: Der US-Amerikaner Jamie McEwan (* 1952 - 2014 †) hatte 1972 im Einercanadier Bronze gewonnen und nahm als Wiederholungstäter erneut an Olympia teil. Diesmal fuhr er zusammen mit Lecky Haller im Zweiercanadier auf Rang vier.

Im Gegensatz zu seinem Pendant in Sachsen wurde der Augsburger Eiskanal weiterhin gepflegt und instandgesetzt. Er ist heute noch Austragungsort für hochkarätige nationale und internationale Wettkämpfe. Zur Zeit wird eine größere Sanierung durchgeführt. Mit einer Investition von rund 20 Millionen Euro wird die historische Wettkampfstrecke für die Kanu-Slalom-Weltmeisterschaften im Jahr 2022 vorbereitet, die 50 Jahre nach den Olympischen Spielen von München stattfinden. Für den Kanal von Zwickau würde ich mir wünschen, das zumindest ein Teil davon als deutsch-deutsches Sportdenkmal erhalten und gepflegt bleibt.

 

 

 


 

Behält der Kanu-Slalom seinen Platz bei Olympia? 

Die hohen Investitionen waren wiederholt ein Grund für Überlegungen, die Disziplin Kanu-Slalom aus dem Programm der Olympischen Spiele zu streichen. Die Kosten für die Wildwasseranlage in Augsburg beliefen sich schon in den Siebzigern auf immerhin 17 Millionen Mark. Andere olympische Bauwerke haben zwar auch hohe Kosten, können aber in der Regel von mehreren Sportarten genutzt werden. Der Kanu-Slalom war bis heute jedoch die einzige Wildwassersportart im olympischen Programm. Erst 2024 soll in Paris mit dem „Extreme Canoe Slalom“ (CSLX) eine weitere Disziplin an den Start gehen. Aber auch das Regelwerk und die Ergebnisfindung sind bei den „Spielen der Medien“ entscheidende Faktoren. In der Vergangenheit gelang es nicht immer, den Wettkampf spannend, zeitgerecht und verständlich mit transparenten Ergebnissen zum Zuschauer zu liefern. Diesem Problem rückte man mit Weiterentwicklungsprogrammen zu Leibe. Zum Beispiel wurden Änderungen an der Streckenlänge, an den Konstruktionsvorgaben für Boote, den Techniken für die Auswertung und Vereinfachungen am Regelwerk vorgenommen. Im Ergebnis hält sich der Kanu-Slalom seit 1992 ununterbrochen im olympischen Programm. 

Von Thorsten Funk

 


Bildnachweis:
Abb 1: Schellhorn, F. (1972). Olympische Spiele 1972. Augsburger Eiskanal.
Abb 2: Deckblatt der Ausgabe 6/1973 der monatlich erschienenen Kanuzeitschrift „Der Kanusport“. Herausgeber DKSV (Deutscher Kanusportverband) der DDR.
Abb.: 3: Funk,T. (2007). Kanal von Zwickau. 
Abb. 4.: Micheler-Jones (1992). Olympische Spiele in Seu d‘ Urgel 
Abb: 5. Funk, A. (2014). Eiskanal Augsburg (Sideris Tasiadis), 

Fußnote:
[1] Pressenotiz 1969 in „Der Kanusport“. Herausgeber DKSV. 
[2] Erst im folgenden Dezember wurde die DDR durch die Unterzeichnung des Grundlagenvertrages, der die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik regelte, von der Bundesrepublik staatsrechtlich (aber nicht völkerrechtlich) anerkannt.
 

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