24.07.2021 | Thomas Konietzko Blog

Start der Olympischen Spiele

#tokoblog (1): Wer hätte sich ziemlich genau vor 5 Jahren, als wir Rio nach doch recht turbulenten Spielen verlassen haben und uns auf ruhige Spiele ohne größere Probleme in der sicheren Stadt Tokio gefreut haben vorstellen können, wie die Welt heute aussieht.  Wohl nicht mal Virologen.
Los geht´s mit dem Flieger in Richtung Tokio

Und jetzt sitze ich mitten in der größten Pandemie, übrigens das erste Mal nach 19 Monaten wieder in einem fast vollen interkontinentalen Flieger und darf an meinen Dritten Olympischen Spielen teilnehmen. 

Natürlich werde ich auch bei diesen Spielen versuchen, Geschichten um die Spiele in Tokio, Hintergrundinformationen, vor allem aber Informationen über das deutsche Kanuteam den interessierten Fans zu Hause nahe zu bringen. Ich werde es mir nicht nehmen lassen, auch einige persönliche Anmerkungen zu den Problemen rund um die Spiele zu machen, Dinge einzuordnen und zu bewerten und so manchen Kommentar abzugeben. 

Deshalb ganz wichtig, hier schreibt nicht der Präsident des DKV offizielle Statements des Verbandes, sondern der Kanu- und Sportbegeisterte Fan der gerade bei diesen besonderen Spielen das Privileg hat, dabei sein zu dürfen und zufällig Präsident ist, seine Anmerkungen. 

Wo jetzt anfangen? Schwierig, weil mir nach diesen für uns alle verrückten 16 Monaten seit dem ersten Lockdown so viel durch den Kopf geht. 
Vielleicht gehe ich zurück in den Februar des letzten Jahres und fange von dort an, die Vorbereitung auf die Spiele zu beschreiben. Das war die Zeit als die Menschheit vom Virus überrascht wurde und im Sport gerade begonnen wurde, über die Verschiebung  der olympischen Spiele zu diskutieren. 
Unsere Rennsportmannschaft war noch in Spanien und das Slalomteam in Italien. 

Der erste Lockdown wurde verkündet und unser Rennsportteam hat noch am gleichen Abend Mietautos in Sevilla gechartert, weil von dort kein Flug mehr in die Heimat zu bekommen war und ist 400 km bis nach Porto gefahren, um mit dem wirklich letzten Flieger nach Hause zu kommen. Dann war Lockdown, das IOC hat die Spiele verschoben und keiner wusste wie es weitergeht. Unsere Sportler saßen erstmal zu Hause und hielten sich mit kreativen Übungen fit. Schon im April, als abzusehen war das Kadersportler wieder trainieren dürfen, hat sich unsere sportliche Leitung hingesetzt und einen ersten Plan entwickelt. 

Im Rennsport sollte einfach die Olympiasaison 2020 wie geplant fortgeführt werden und ab Oktober gespiegelt nochmals stattfinden. Also ging es im Mai 2020 für die Rennsportler, als eine der ersten Sportarten nach dem Ende des ersten Lockdowns sofort wieder nach Kienbaum in ein Trainingslager, gab es im Juni eine nationale Quali  und Deutsche Einer Meisterschaften, wurde einfach intensiv weitertrainiert als ob Olympia vor der Tür steht und im August, an dem Wochenende wo ursprünglich die Finals in Tokio angestanden hätten, wurde in München mit einigen anderen Booten aus Spanien und Ungarn der letzte Wettkampf der „Olympiasaison“ ausgetragen. 

Und nur sechs Wochen Pause und schon im Oktober ging die Quälerei in Kienbaum und in folgenden Trainingslagern in der Türkei von vorne los. Und die Vorbereitung auf die Spiele ist tatsächlich eine Quälerei mit wahnsinnig vielen persönlichen und familiären Einschränkungen und Verzicht für unsere Sportler. 

Auch unsere Slalomsportler konnten ab Mai 2020 wieder paddeln, mussten in Augsburg und Markleeberg zwar Einschränkungen hinnehmen, hatten wenigstens in der zweiten Welle noch einen Weltcup im November und haben aus der Not heraus eine hervorragende Destination für ein Warmwassertrainingslager im französischen Überseedepartment La Reunion gefunden. Das war so schön dort, dass sie wieder hinwollen. 

Jetzt kann ich mir vorstellen, wie einige die das lesen vielleicht die Nase rümpfen und denken, hatten die Kanuten keine anderen Sorgen in dieser komplizierten Zeit der Pandemie, als nach den besten Trainingsmöglichkeiten und den besten Bedingungen zu schauen und alles herum auszublenden. 
Die Frage kann man stellen. Wir haben tatsächlich versucht, so viel Normalität wie möglich in unsere Abläufe zu bringen, möglichst das was um uns herum passiert auszublenden, in einer auch gedanklichen Blase zu bleiben die schlechten Nachrichten ausblendet und keine Zweifel aufkommen lassen, dass die Spiele 21 stattfinden und wir alles tun müssen, um hier erfolgreich abzuschneiden. 

Nur wer während der letzten zwölf Monate alle Zweifel an der Durchführung der Spiele ausgeblendet hat und nicht ständig grübelte, wird in Tokio seine beste Leistung abrufen.

Natürlich hatten die Sportler Angst, Angst sich anzustecken, Angst das sich Angehörige und Freunde anstecken und vielleicht ernsthaft krank werden. Spätestens im Januar, als Steffi Kriegerstein nach überstandener Covid Erkrankung wieder zum Team stieß und ein Schatten ihrer selbst war, haben Alle mitbekommen, was Long Covid für Folgen haben kann. 

Zusammengefasst sind fast alle Sportler gut durch den Winter gekommen, hat sich mit Steffi nur eine Sportlerin der erweiterten Spitze infiziert und alle haben die Strapazen der hohen Trainingsumfänge auch ein zweites Jahr in Kauf genommen. Die Tage, an denen unsere Athleten und Trainer in beiden Disziplinen seit Oktober 2020, ja man muss eigentlich sagen seit Oktober 2019  zu Hause waren, kann man fast an den Fingern abzählen. Ob sich all das gelohnt hat, wissen wir spätestens in 14 Tagen.

Zwischenzeitlich hatten wir das Trainerteam im Rennsport und auch im Slalom neu geordnet. Im Juli 2020, mitten im Lockdown hatte ich mal wieder ein Telefonat mit Andreas Dittmer, der zu dieser Zeit noch die kanadische Canadiermannschaft betreute. Die Kanubegeisterten wissen sicherlich, dass unser bisheriger Canadiertrainer im Januar 2020 durch eine schwere Krankheit ausgefallen ist und absehbar war, dass er so schnell nicht wiederkommt. Also habe ich, nach Rücksprache mit unserem Trainerteam und dem Sportdirektor Nägel mit Köpfen gemacht und "Stifti" diese Stelle angeboten. Eine Woche später hatten wir seine Zusage. 

Im Slalom sind die Dinge überschaubarer. Hier hat sich Sideris nach der erfolgreichen Qualifikation für die Spiele in Absprache mit dem Cheftrainer entschieden, die unmittelbare Olympiavorbereitung individuell mit dem Cheftrainer Klaus Pohlen durchzuführen.
Das schlimmste in der Vorbereitung war die Unsicherheit. Es gab keine Erfahrungen mit zwei Jahren intensiver Olympiavorbereitung hintereinander und keiner wusste wo er steht und wie er das auch gesundheitlich verkraftet.

Deshalb waren alle, sowohl im Slalom wie auch im Rennsport auf die ersten Wettkämpfe gespannt. 

Und es ging gleich gut los. Mit dem winzigen Vorsprung von drei Zehnteln konnte Sideris Tasiadis das letzte noch offene Olympiaticket für unseren Verband buchen. Im entscheidenden Lauf lag er vor dem Italiener, der bis dahin auf seiner Hausstrecke immer Bestzeiten gefahren ist. Das nenne ich Nervenstärke. Bei den Weltcups gelang es dann, außer bei den Kajak Herren, in jeder Disziplingruppe eine Medaille zu holen.

Besser hätte im Rennsport der Start in das Olympiajahr nicht seien können. Zwar war nicht die gesamte Weltelite in allen Disziplinen beim Weltcup in Szeged aber das, was unsere Athleten dort gezeigt haben war schon stark. In sechs olympischen Disziplinen haben wir Gold gewonnen. Mit Conrad Scheibner und Jacob Schopf haben zwei Blutjunge die Einer Disziplinen gewonnen und auch unsere Kajak Damen haben überzeugt.

Also, in beiden Disziplinen passt die Grundform und was wir als DKV immer konnten war, dass die Sportler bei olympischen Spielen ihre beste Leistung abrufen. Wenn uns das auch in diesem Jahr gelingt, können wir ziemlich optimistisch auf die Wettkämpfe schauen.

Was werden das aber für Spiele?

Was bleibt von diesen Spielen und wie gefährlich sind die Spiele für unsere Sportler und die japanische Bevölkerung. Wohl keiner hat die Kritiken an der Durchführung, die Schlagzeilen über die Meinungsumfragen in Japan und die mehr oder weniger klugen Kommentare und Kritiken noch abzusagen (zugegeben von sehr wenigen Politikern in Deutschland) übersehen können. 

Lasst uns die Situation in Japan nüchtern einordnen. Die Inzidenz in Japan lag am Freitag bei 21,3. Sie ist deutlich höher im Großraum Tokio, so um die 60. Die Bevölkerung in Japan ist im Schnitt sehr alt, also viele Bürger Japans sind Teil der Risikogruppe und die Impfkampagne läuft in Japan schleppend. Bis gestern waren wohl erst 20 % komplett geimpft. 

Die Asiaten haben viele schreckliche Erfahrungen mit Epidemien gemacht, die zum Glück nicht nach Europa schwappten. Sie haben auch in der Vergangenheit häufig Masken getragen um sich und andere vor Ansteckungen, und wenn es nur vor Grippe war, zu schützen. 
Und erinnert euch noch an den Beginn der Pandemie, als viele Deutsche um jeden Asiatisch aussehenden einen großen Bogen gemacht haben und Angst hatten, dass die Asiaten das Virus nach Europa tragen. Da war es aber schon lange in Ischgl. 

Und so ist es jetzt in Japan, nur genau umgekehrt und die Asiaten haben Angst das Olympiateilnehmer das Virus eintragen. Kann tatsächlich passieren. Wenn man aber schaut, wie viele Flieger auch vor den Spielen wieder zwischen Europa und Japan verkehrten (Ich habe im Juni alleine 6 wöchentliche Verbindungen von FRA nach Tokio gefunden) , scheint die Reisetätigkeit auch ohne Olympia zuzunehmen. 

Mit zwei Tests vor der Einreise, einem Test bei Ankunft und dann weiteren täglichen Tests sind die Teilnehmer der Spiele wahrscheinlich die im Moment an der häufigsten und engmaschigsten getesteten Gruppe auf der Welt. Hinzu kommt, dass 90 % geimpft sind. 

Jetzt höre ich schon die Aufschreie aus der Sonnenliege auf Mallorca (Inzidenz 330), „Aber es gibt ja aktuell so viele Fälle von erkannten Infektionen in Verbindung mit den Spielen“. Ja klar, aber gerade deshalb wurde diese Teststrategie und alle die Maßnahmen zur Erkennung infizierter ja genau auch gemacht. Die die hier in Tokio entdeckt werden, wären in ihrer Heimat wahrscheinlich durch das Netz gerutscht und die Krankheit wäre wahrscheinlich nicht erkannt wurden. Insofern spiegeln die Zahlen die hohe weltweite Dunkelziffer an nicht erkannten Fällen nur wider. Der Unterschied ist, dass alle Fälle bei den Spielen erkannt werden.

Aber ja, es bleibt ein Restrisiko das Virus zu verbreiten. Vielleicht nicht so sehr durch die Sportler aber durch die vielen einheimischen Helfer die mobiler sind während der Spiele und mehr Kontakte auch außerhalb der Blasé haben.

Ist es das Restrisiko wert diese Spiele trotz aller Kritik durchzuführen. Die Antwort ist schwer und ich weiß, dass die Gesellschaft bei der Beantwortung der Frage gespalten ist. Als Sportfunktionär ist es mein Job unseren Sportlern zu ermöglichen ihre Wettkämpfe abzuhalten, dass ist ja auch ihr Beruf für den sie ein sehr spezielles Talent haben, wenn es dann verantwortbar ist. 

Ich glaube es ist verantwortbar und das Restrisiko für Sportler und Einheimische nicht höher, als in ihrem heimischen Umfeld. 
Ich will nicht pathetisch, wiederholen was das IOC zur Bedeutung der Spiele für die Welt sagt. Ich glaube aber, dass die Spiele für Millionen nicht nur Unterhaltung sind, sondern ein Zeichen der langsamen Rückkehr zur Normalität und das das Leben weitergehen wird. Das kann Mut machen auch wenn uns bewusst ist, dass die Normalität neu und wahrscheinlich für einen langen Zeitraum anders sein wird. Die Spiele werden in der einen oder anderen Weise zu neuem Optimismus und Mut, nicht bei allen aber doch bei vielen Menschen rund um den Globus beitragen.

Und ja, die Spiele sind auch ein Geschäft. Sie spielen dem IOC viel Geld ein aber auch die Sportler profitieren, weil sie ihren Werbewert erhöhen. Es geht um Geld, um viel Geld, da muss man nicht drum rumreden. Aber das Geld was hier eingespielt wird, hält den Weltsport am Laufen. 90 % der Einnahmen des IOC werden an NOK`s und Internationale Verbände weitergeleitet. Ohne dieses Geld könnten die wenigsten Sportarten internationale Wettkämpfe organisieren und die wenigsten Länder könnten teilnehmen. Ohne dieses Geld hätten wir irgendwann nur noch Wettkämpfe in ganz wenigen Sportarten an denen nur Athleten aus den reichen Ländern teilnehmen. Wenn wir weiter eine weltweite Vielfalt des Sports und der teilnehmenden Länder haben wollen, muss dieses Geld bei einer Non Profit Organisation landen und da kenne ich keine bessere, die sich für die Entwicklung des Sports weltweit engagiert als das IOC. Musste mal sein, dass ich hier eine Lanze für das IOC als Organisation breche, weil zwar manche Kritik berechtigt ist aber viele Kritiken, gerade aus Deutschland kommend, sehr von persönlichen oder politischen Interessen geprägt sind.

Wer bis jetzt noch nicht eingeschlafen ist, hier noch einige Interna, die aber keine mehr sind weil sie schon von der Presse aufgegriffen wurden. 

Erkläre mir, was mit Lufthansa los ist? Drei Monate haben wir verhandelt, um unsere acht Slalomboote im Bauch des Fliegers wo auch die Sportler fliegen, mitzunehmen. Das sollte eigentlich kein Problem sein. Trotzdem ist es dem DOSB nicht gelungen, hier jemanden bei der LH zu finden, der den Transport bestätigt. Es hat dann bei Turkish Airlines drei Tage gedauert und war noch dazu preiswerter, die Boote in Begleitung unseres Cheftrainers und des Kajaktrainers nach Tokio zu bringen. Das Problem dabei war, dass sich zwei Tage nach der Landung herausstellte, dass ein Infizierter an Bord war. Unsere beiden Trainer wurden vom Abendbrottisch weggeführt und für drei Stunden in Quarantäne gesteckt. Glücklicherweise stellte sich raus, dass sie doch so weit vom Infizierten weg saßen, dass die Quarantäne beendet werden konnte. 

Eigentlich wollte ich es hier in meinem Blog als xxklusiv Nachricht verkünden. Aber die Bildzeitung war schneller und fragte in unserer Abschlusspressekonferenz am Mittwoch nach unserem kaputten K4. Cargolux sollte den mit unseren anderen Booten auf unserem Bootshänger gut verstauten Vierer nach Tokio fliegen. Ihr müsst euch das wie bei einer Regatta vorstellen, wo der Hänger voll beladen ist und eben nicht an ein Auto gehängt wird sondern im Bauch eines Fliegers verschwindet. Der Vierer lag außen auf der untersten Strebe und wohl beim Versuch des Anhebens hat der Gabelstaplerfahrer zu hoch angesetzt und den Vierer voll getroffen. Zwar haben wir noch einen schwarzen Vierer, ziemlich baugleich mit auf der anderen Seite des Hägers verpackt aber er unterscheidet sich schon bei einigen kleinen Teilen und beim Steuer vom Original Vierer. Zum Glück hatten wir noch einen baugleichen Pinken in Duisburg für die direkte Olympiavorbereitung genutzt. Das FES hat schnell eine Holzkiste gebaut und unser Logistikpartner die Firma Schenker uns versprochen, dass der pinke Vierer rechtzeitig ankommt. 

Es ist übrigens ein Gerücht, dass der Fahrer des Gabelstaplers ein südländisches Aussehen hatte und spanisch gesprochen hat 😊.

Jetzt habe ich zum Abschluss doch noch etwas interessantes aus dem Rennsport Team. Zwei unserer Sportler hatten einige Flugmeilen auf ihrem Konto, die zu verfallen drohten. Sie wollten sich mal wie Fußballer fühlen und haben deshalb ihr Ticket auf ein Fist Class Ticket upgegradet. Jetzt wird diskutiert ob die First Class Lounge in Frankfurt tatsächlich eine Badewanne hat, man mit einem eigenen Auto zum Flugzeug gebracht wird und ob der Kapitän vorbeikommt und seine Gäste in der First Class persönlich begrüßt.

Auch mit solchen Diskussionen kann man die Zeit überbrücken.

Ich werde davon in einem meiner zukünftigen Blogeinträge berichten.

Morgen nach meiner Ankunft gehe ich im Detail auf unsere Chancen und Möglichkeiten sowohl im Slalom wie auch im Rennsport ein. Da gibt es dann auch eine sehr vage Medaillenprognose.

Euer Thomas

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