Zur Geschichte des DKV – Daten, Fakten, Anmerkungen
1914 wurde der DKV gegründet. 1914? Richtig, da war doch was, da war erster Weltkrieg. Da gründet man doch keinen Verband! Unglücklich war der Gründungszeitpunkt schon. Verbandsarbeit unter Kriegsbedingungen ist eigentlich ein Unding, fand aber in engem Rahmen doch statt.
Das offizielle Gründungsdatum, der 15. März 1914, lag natürlich vor dem Kriegsausbruch. Gemessen am allgemeinen Vereinsleben in der Gesellschaft waren die Kanusportler etwas spät mit ihrer Gründung am Werk. Einen Ruderverband gab es längst, in der Zeitschrift „Der Rudersport“ wurde der Gründungsaufruf des DKV veröffentlicht. Man geht von 9 Vereinen und etlichen Einzelpaddlern aus, die sich im Hotel >Zum Kronprinzen< in Hamburg zur Gründung trafen. Ein Gruppenbild zeigt 50 bürgerlich gekleidete Teilnehmer, die man nur teilweise namentlich kennt. Bekanntlich hat es später ja noch einen weiteren Weltkrieg gegeben; das Altarchiv des Verbandes ist 1944 in München bei einem Luftangriff verloren gegangen. Deshalb sind die Kenntnisse über die Zeit davor lückenhaft.
Warum gründet man einen Verband? Kanusport lässt sich bekanntlich auch außerhalb von Vereinen und Verbänden betreiben, wenn man nicht gerade den Wettkampfsport im Auge hat. Heute mag mancher das nicht annehmen, es ist freilich so. Innerhalb solcher Strukturen tut man sich leichter. Erst recht war das zur Gründungszeit der Fall. Es waren nicht gerade die vermögenden Schichten, die in die Vereine strebten. Und dort Gleichgesinnte, einen Platz im Boot oder im Bootshaus, die Teilnahme an Fahrten und Wettkämpfen und eine zweite Heimat für ihre kärgliche Freizeit fanden. Der DKV versucht seit seiner Gründung, jede im Verein und Verband sinnvolle kanusportliche Betätigung zu fördern und zu vertreten, vom Segeln bis zum Marathon und Drachenboot, sofern das Gerät noch irgendwie ohne maschinelle Unterstützung vorwärts blickend bewegt werden könnte. Das ist einer der Gründe, warum ihm selbst in Zeiten des betonten Individualismus (z.B. heute, aber auch in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg) eine flächendeckende Erfassung zahlreicher Sportfreunde gelingt. Bestimmte Aspekte des Kanusports waren anfangs nicht von bedenkenfreiem Ruf. Dass solche Kleinboote - wie böse Mädchen - überallhin kommen könnten, wussten Eltern wohl. Für die weite Verbreitung des Kanusports war das schon hinderlich. Der DKV mit seinen Vereinen stand aber nie in dem Ruf, solchen Gefährdungen Raum zu geben. Er gehörte zum bürgerlichen Lager der Gesellschaft was auch bedeutete: Gemäßigt national und bestimmt nicht links. Naheliegende und verwirklichte Form des Zusammenschlusses ist in Deutschland der eingetragene Verein. Als satzungsgemäße Verbandszwecke setzte man fest: 1. Wanderfahrten, 2. Verkehrserleichterungen, 3. Kanustationen, 4. Verkehrsbüros, Bücherei und Kartensammlung, 5. Wettfahrtenbestimmungen und Wettbewerbe, 6. Einwirkung auf die Öffentlichkeit und Behörden – man beachte Punkt 6, im Jahr 1914!
1918 Nach Kriegsende geht es rapide aufwärts. Überall werden Vereine gegründet. Etliche schließen sich dem DKV an. Es gibt ab 1922 auch die Vereine des freien Kanu-Bund im Arbeiter-Turn-und- Sportbund mit eindeutig sozialistischer Grundhaltung, in denen in der Regel gleichberechtigt Ruder- und Kanusport betrieben wird, anders als im DKV. Arbeiter verirren sich eher selten und zufällig in einen DKV-Verein. Die gesellschaftliche Trennung in unterscheidbare Klassen ist noch sehr deutlich. Mancher nach 1945 wieder gegründete Verein aus diesem Lager ist heute ganz selbstverständlich Mitglied in einem DKV-Landesverband. Zeitweise existieren auch ein Verband Deutscher Wanderpaddler und ein Verband Deutscher Faltbootfahrer. Der ist schon sehr früh der Bayernkreis des DKV
Die Entdeckung von Natur und Landschaft, durch die Wandervögel vor dem Krieg vorgeahnt, ergreift nunmehr weite Kreise der Bevölkerung. Einen Teil davon zieht es naturgemäß auf das Wasser. Der Kanusport als gesellschaftliches Phänomen wird durch die politische Entwicklung begünstigt. Ehemalige Rüstungsbetriebe, vor allem Flugzeugwerke, befassen sich, fast aus Verlegenheit, mit dem Bau von Sportbooten. Die Entwicklung brauchbarer gummierter Gewebe macht das Faltboot zu einem tauglichen Sportfahrzeug. Im Norden ist der starre Canadier das bevorzugte Fahrzeug, im Süden das Faltboot. Die Boote bleiben aber auch als Serienartikel teuer genug. Erst seit etwa 1970 kann ein Kleinboot als für nahezu jeden Haushalt erschwinglich betrachtet werden.
1919 Erster Kanutag und erste deutsche Kanumeisterschaften in Leipzig. Kanutage finden danach häufig zur Jahresmitte statt - später alle zwei Jahre, verbunden z.B. mit großen Sternfahrten, Meisterschaften und Belustigungen wie Fischerstechen und dergleichen.
1920 08. Januar - das erste Heft der Verbandszeitschrift "Kanu-Sport" erscheint; sie erscheint bis heute, mit Unterbrechung nur von November 1944 bis April 1947 (aber bis Ende 1956 unter dem Namen „Kanusport-Nachrichten“). Erscheinungsweise teilweise wöchentlich, überwiegend vierzehntägig, derzeit monatlich mit 52 Seiten. Da im amtlichen Teil auch ausgiebig Vereinsnachrichten erscheinen, ist das eine historische Quelle erster Art und Güte. Die offizielle Bezeichnung lautete zeitweise auch „Kanu-Sport, vereinigt mit Faltbootsport“ sowie „Kanusport- und Faltbootsport". Nur in der Anfangszeit besteht Bezugspflicht, mit den Überschüssen der Zeitschrift wird die Verbandsarbeit mitfinanziert.
1921 Der DKV organisiert sich in Kreisen, die den Einzugsbereichen der Flüsse und Gewässer nachempfunden sind (Donau-Kreis, Oberrhein-Main-Kreis usw.).
1923 Im Sommer macht man eine 1. "Nibelungenfahrt" auf der Donau von Ingolstadt nach Wien. Ende des Jahres gibt es 130 Vereine.
1924 Eine Internationale Repräsentantschaft des Kanusports (IRK) entsteht, Wettkampfregeln und Bootsklassen werden festgelegt. Von geschätzten 50.000 aktiven Kanusportlern in Deutschland soll im DKV nur ein geringer Teil organisiert sein. Dieser gründet Kanustationen (ein Netz von Wanderherbergen).
1925 Auf Vorschlag des Kanupioniers Walther von Diest entsteht das Rügenlager an der Ostsee.
1927 Das Gelände für das heute noch existierende Wanderheim am Edersee wird erworben.
Es wird ein "DKV-Industrie-Prüfungsamt" geschaffen. Zweck ist das unvoreingenommene Testen von Booten und jeglichem Zubehör für den Sportbetrieb.
Kanupolo wird neue Wettkampfgattung.
Deutsche Faltbootmeisterschaften mit 58 gemeldeten
Booten.
300 DKV-Vereine existieren. Gestritten wird über sinnvolle
Bootsabmessungen und Vorschriften dazu. Rennboote waren damals
noch unbezweifelt ästhetisch ansprechend.
1928 Eine Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Wassersportverbände wird gegründet (AGDW).
DKV-Boote sind vom Registrierungs- und Nummernzwang auf den Wasserstraßen befreit.
Es wird über Maßnahmen gegen Gewässersperrungen, Wasserbaumaßnahmen und Flussverschmutzung berichtet. Eine seither unendliche Geschichte. Damals nahezu aussichtslos, weil Baumaßnahmen gerne zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eingesetzt werden, heute, weil "Naturschutz" auch unsinnige Regelungen zu rechtfertigen scheint und zu allen Zeiten, weil Geld eben die Welt regiert und solches, und nicht nur Wasser, bei Baumaßnahmen und durch Kraftwerke zu fließen pflegt.
1929 Der „Bund Deutscher Wanderpaddler" ist nun dem DKV angeschlossen, der Hochschulring Deutscher Kajakfahrer ebenso (HDK, gegründet 1927 prominentester Vertreter ist Walter Frentz). Verhandlungen über eine Vereinigung mit der Deutschen Turnerschaft scheitern. Diese fürchtet Übervorteilung und will ihren Wassersportbetrieb selbständig halten.
Nach Satzungsänderungen wird der DKV nunmehr von den Kreisen aus organisiert, er wird zum Dachverband.
Weitere Wanderheime entstehen, es wird Gelände in Urbar bei
Koblenz ("Deutsches Eck"), bei der Insel Mainau und bei
Osterode erworben. Wanderheime und Zeltplätze werden in den
Folgejahren hinzuerworben und ausgebaut. Heute hat der DKV
selbst nur noch deren zwei (Konstanz/Bodensee und
Edersee).
1930 Der DKV gibt einen Auslandsführer mit 150
Flussbeschreibungen heraus, es erscheint auch ein
Jugoslawien-Sonderheft des Kanu-Sports mit 16
Flussbeschreibungen.
1931 Man zählt nun 462 Vereine und rund 50.000
Mitglieder. Solche Zahlen sind damals wie heute nur bedingt
aussagekräftig. Beitragsehrlichkeit der Vereine und
Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit der Mitglieder sind nie
ganz zufriedenstellend. Häufig wird in den Veröffentlichungen
darüber geklagt. Unausrottbar ist bei Mitgliedern und Vereinen
die Meinung, man habe ja nichts vom Verbandsbeitrag. Es kommen
in diesen Jahren Gemeinschaftsfahrten und Zeltlagerstädte mit
Hunderten von Teilnehmern zustande. Es gibt auch dubiose
Vorgänge; der von 1918 – 1930 Vorsitzender gewesene, fachlich
tüchtige und im Folgejahr im Alter von nur 52 Jahren
verstorbene Franz Reinicke ist wegen des Vorwurfs von
Unkorrektheiten zurückgetreten. Der 1931 gewählte neue
DKV-Vorsitzende Dr. Max Eckert bleibt bis 1945 im Amt, er wird
1961 nochmals für wenige Monate Präsident des DKV, lange Jahre
ist er auch Präsident der IRK, nach dem Krieg führende
Persönlichkeit im Deutschen Camping Club wie auch Präsident des
Bayerischen Kanu-Verbandes).
1932 Der Selbstbau von Booten ist Ausdruck der
wirtschaftlichen Not, er wird verstärkt gefördert.
1933 bis 1945
Die Veränderung des öffentlichen Lebens trifft
selbstverständlich auch den DKV, der mit 567 Vereinen in diesen
Zeitraum eingeht. Der DKV schaltet sich in vorauseilendem
Gehorsam selbst gleich. Mit den neuen Machthabern gibt es keine
Schwierigkeiten. Gemäßigt national eingestellt und seit der
Gründung bewusst unter seinem schwarz-weiß-roten Wimpel
fahrend, werden die Strukturen angepasst, der Betrieb geht wie
gewohnt weiter. Die NS-Verhältnisse (der HJ-Dienst) erschweren
zunehmend die Jugendarbeit der Vereine. Die flächendeckend
bestehenden Kanugruppen der nicht dem DKV angehörenden
Arbeitervereine werden aufgelöst, ihr Vermögen wird eingezogen.
Aus Vereinsvorsitzenden werden Vereinsführer, sie werden
ernannt und nicht gewählt, die Kreise werden in elf, später
sechzehn Gaue umgesetzt und erhalten römische Ziffern. Aus dem
DKV wird das Fachamt Kanusport im Deutschen Reichsbund für
Leibesübungen, (offiziell bestehend seit April 1936). Der DKV
besteht nur als Vermögensträger fort. Folgerichtig werden die
theoretisch zu feiernden Jubiläen 1934 und 1939 (20 bzw. 25
Jahre seit Gründung nicht gewürdigt). Typisches NS-Treiben
findet innerhalb des DKV bzw. Fachamt Kanusport im
üblichen Umfang statt. Massenveranstaltungen mit mehreren
tausend Teilnehmern, organisierte Auslands- und
Grenzlandgroßfahrten sind beliebt. Die
Kraft-durch-Freude-Fahrten finden auf dem Wasser und zum Wasser
hin ihre Entsprechung. Den Vereinen wird der Dietwart
verordnet. Das ist ein Funktionär, der das Deutschtum
verbreiten soll, es wird die "völkische Aussprache" betrieben
und vermutlich mehr ertragen als verinnerlicht. Der
Arierparagraph wird sehr schnell und über Führungspositionen
hinaus eingeführt. Wie viele jüdische Sportsfreunde davon
konkret betroffen waren, ist nicht bekannt, es sind nur
einzelne Fälle bekannt (z.B. ein Gründungsmitglied, John
Heinemann aus Hamburg). „Patrouillenfahrten" finden
statt, wo zuvor Fuchsjagden und ähnliche
Geschicklichkeitswettbewerbe üblich waren. Der Betrieb des
Kanu-Polo wird aufgegeben, als Wettkampfsport wird der
Kajak-Slalom stark gefördert (ab 1935 ist Ferdinand Staelin vom
HdK damit beauftragt).
1934 Der Kanurennsport wird olympische Sportart.
Die olympischen Kanudisziplinen sind unübersichtlich in ihrer
Entwicklung; in der Tendenz werden die Distanzen über die
Jahrzehnte immer geringer. Anfangs sind sogar 10.000
Meter mit verschiedenen Bootstypen olympisch. Die Spiele 1936
werden daher vom Kanusport aus besonders intensiv vorbereitet.
Es beginnen aber die für die große Masse der Mitglieder viel
interessanteren Wanderfahrer-Wettbewerbe, die Ursache
unermesslich vieler gefahrener Kilometer und befahrener
Gewässer sind.
1936 Sternfahrten nach Berlin zu den olympischen
Sommerspielen werden durchgeführt, vor allem fahren Jugendliche
in Zehnerkanadiern zum internationalen Zeltlager am Müggelsee
mit 3.000 Teilnehmern aus 15 Nationen. Der Kanusport spielt im
Rahmenprogramm der olympischen Sommerspiele eine gewisse Rolle,
spektakuläre Eskimotierübungen werden gezeigt. In neun
olympischen Wettbewerben werden zwei Gold, drei Silber und zwei
Bronzemedaillen erkämpf. So ganz zufrieden ist man damit nicht.
(Der Oesterreicher Gregor Hradetzky gewann alleine zwei
Goldmedaillen, er hatte auf Grund der Bestimmungen nicht für
den deutschen Verband starten dürfen)..
1938 Es gibt schätzungsweise 500 Bootshäuser,
1.128 Vereine mit 44.129 aktiven und rund 200.000 nicht
organisierte Kanusportler in Deutschland. Der Österreichische
Kajakverband wird aufgelöst und als Gau XVII übernommen.
Im Dezember wird der Deutsche Reichsbund für Leibesübungen zu
einer von der NSDAP betreuten Organisation erhoben, die neue
Bezeichnung lautet jetzt NSRL, Nationalsozialistischer
Reichsbund für Leibesübungen.
1939 Mit dem Sudetenland, dem Memelland und
mit den Eroberungen während des Krieges in Polen und ab
1940 in Frankreich kommen Sportbereiche
hinzu, in denen die kanusportliche Organisation zumindest von
den Strukturen her aufgebaut bzw. übernommen wird, im Elsaß und
Lothringen z.B. Es lässt angesichts der ungünstigen Bedingungen
erstaunlich viel darüber berichten.
Rennklassen für Frauen bei den Deutschen Meisterschaften
werden eingeführt.
Mit Kriegsbeginn verschlechtern sich die Bedingungen für die
Verbandsarbeit naturgemäß. Der organisiert betriebene Sport
dient der Ertüchtigung und Stimmung, also wird er weiterhin
gefördert. Es finden Kriegsmeisterschaften und Lehrgänge,
Skikurse und selbst Wassersport-Volkstage statt, z.B. im Sommer
1943 mit 231 Vereinen und 3.122 Booten. Besondere
Aufmerksamkeit gilt jetzt dem Einsatz von Frauen und
Kriegsversehrten. Wegen der Sparmaßnahmen der totalen
Kriegführung werden die Verbandszeitschriften der Ruderer
und Kanusportler 1943 vereinigt, das Blatt heißt jetzt
"Wassersport" und erscheint noch bis zum September 1944.
1945 Alle Bestandteile der NS-Organisation werden
mit Kriegsende im Mai durch die Alliierten aufgelöst, das
betrifft auch die Organisationsstrukturen des Fachamts
Kanusport im NSRL, ehemals DKV.
Die nachfolgende Übersicht bis 1989 bezieht sich auf die
Entwicklung in Westdeutschland, die zeitgleichen und äußerlich
ähnlichen Vorgänge auf dem Gebiet der SBZ bzw. DDR werden u.U.
später ergänzt, derzeit fehlt mir dazu die Kompetenz.
Im Oktober wird von einer überörtlichen Regatta in Wuppertal
berichtet (Vorberg, der spätere DKV-Vorsitzende hat sie
organisiert).
1946 – 1960
1946 In der britischen Zone finden Kanuregatten
in Duisburg, Essen und Wuppertal statt. Es ist wieder Otto
Vorberg (Vorsitzender 1949 - 1961), der die Genehmigungen bei
der Militärregierung beantragt.
1947 Es erscheint zunächst hektographiert
das "Kanusport-Nachrichtenblatt". In dem Jahr finden ein
Slalomwettbewerb, ein Städte Kanu-Wettkampf und 1. Deutsche
Kanumeisterschaften in Düsseldorf und Duisburg statt.
1949 Der DKV wird wieder gegründet. Sein
Bereich beschränkt sich umständehalber zunächst auf die
amerikanische und britische Zone in Westdeutschland. Der DKV
wird als Dachverband seiner Landesverbände gestaltet. Die
Entwicklung folgt der Politik. Der Dachverband ist allerdings
wesentlich ärmer und schwächer als die Landesverbände. (Bei der
Wiedergründung wird u.a. vermerkt: „Die Benennung einer
Referentin für Frauensport wurde nicht vorgenommen, da es nicht
als unbedingt notwendig erschien“). Kriegsversehrte,
Behinderte sind völlig vergessen.
Zwischenfrage: Hat es so etwas wie Vergangenheitsbewältigung
innerhalb des DKV gegeben? Antwort: Nein, eine solche Frage
hätte die Gefragten wie üblich erstaunt bis empört. Weitere
Zwischenfrage: Hätte es sie denn geben müssen? Antwort: Jein.
Im Rahmen einer solchen Darstellung kann das Thema nicht seriös
behandelt werden. Wenige Stichworte von einem Spätgeborenen,
der seit Jahren darüber arbeitet: So richtige Übeltäter und
Untaten sind innerhalb des DKV nach 1933 nicht feststellbar;
1933 war die Begeisterung schon deutlich, eine andere
Darstellung wäre blauäugig. Prominente Kanusportler in
NS-Positionen hat es nicht gegeben. Weithin bekannt ist nur
Walter Frentz, der Filmemacher und "Kameramann des Führers"; er
war in der NS-Hierarchie unbedeutend (anders als in seinem
Foto- und Filmschaffen), er hatte nach 1933 auch keine
Funktion im Kanusport. Dia- und Filmvorträge hat er danach
häufig veranstaltet und sich als Natur- und
Gewässerschutzfachmann durchaus profiliert. Gestritten hat man
z.B. nach 1945 um Farbe und Form des Standers. Schwarz-weiß-rot
wurde ernstlich gefordert, blau-weiß-rot ergab sich als
Kompromiss (das hat sich so und im Design wie seit 1914
nahezu unverändert erhalten).
1950 Der DKV wird in die ICF, die
International Canoe Federation aufgenommen (endgültig erst
1952).
1952 Bei den olympischen Spielen in
Helsinki nimmt man mit zehn Sportlern teil und erntet drei
Bronzemedaillen.
1955 Momentaufnahmen: 40.000 Mitglieder und
614 Vereine. Im März erhält Dr. Eckert, seit 1953
Ehrenvorsitzender, Sitz und Stimme im Vorstand, das Amt des
Pressewarts wird gestrichen (die Geschäftsstelle erledigt das
mit), bei Wildwasserrennen und Slalomweltmeisterschaften im
Juli werden riesige Erfolge erzielt. Beklagt wird die geringe
Resonanz. Für die Unterrichtung der Medien ist niemand
zuständig.
1956 Der saarländische Kanu-Bund ist offizielles
DKV-Mitglied. In Melbourne werden mit wiederum zehn Athleten
einmal Gold, zweimal Silber und einmal Bronze erreicht.
In den Folgejahren prägen Gewässerbau, Gewässerverschmutzung
und finanzielle Querelen innerhalb des Verbandes das Bild. Als
gelegentlichen Trost erlebt man Bootsschleusen und
Bootsgassen
1959 Als amtliches Jahrbuch erscheint „Deutscher
Kanu-Verband 1914 - 1959, 10 Jahre Wiederaufbau" (176
Seiten).
1961 - 1989
Diese Jahre wurden von dem Chronisten Obstoj als Krisenjahre bezeichnet. Über die Ursachen könnten, oder besser sollten, Bücher geschrieben werden, weil sehr lehrreich. (Geldfragen, ein im Schlamm untergegangener Kanutag am Chiemsee, NRW-Übergewicht, Deutsch-Deutsche Probleme, Kampfabstimmungen, mehrfacher Umzug der Zentrale, gerichtliche Notvorstandsbestellung als Stichworte).
1964 Das 50jährige Jubiläum, eine weitere
Festschrift hierzu erscheint.
1965 – 1989
Wie bei jeder Darstellung der neueren Geschichte erscheinen
dem Schreiber die Einzelereignisse immer belangloser. Das
Kunststoffboot setzt sich in allen Bereichen durch. Erst ab
1969 gibt es erst wieder Kanupoloturniere. Bis 1964 tritt man
gesamtdeutsch bei olympischen Spielen an, danach gibt es zwei
deutsche Olympiamannschaften. Die Verbauung der Flüsse geht
weiter, es bessert sich nach einem Tiefpunkt seit Mitte der
Siebziger Jahre ganz allmählich die Wasserqualität und schon
beginnen auch die naturschutzbedingten Behinderungen und
Sperrungen. Der DKV-Beitrag, der pro Mitglied und Jahr an den
Dachverband abzuführen ist, steigt 1971 von DM 4,50 auf DM
6,00, der Jahresetat liegt bei DM 937.500, davon verschlingen
die Heime und Zeltplätze DM 140.000,00. Nach der Struktur des
DKV sind diese eigentlich bei dem Dachverband verfehlt
angesiedelt, beanspruchen Geld und personelle Kapazität und
helfen den Bedürfnissen der zahlenmäßig weit überwiegenden
Wanderfahrer doch kaum weiter. Vielleicht wichtiger sind das
immer neu aufgelegte Flusswanderbuch sowie die verschiedensten
Auslands- und Regionalführer. Einen festen Platz neben den
Flussführern haben die seit 1983 erscheinenden „Kanu"-Kalender
sowie der später hinzugekommene „Kanu-Alpin"-Kalender im
Posterformat. Der Kanuslalom ist 1972 olympische
Sportart, seit 1992 wieder regelmäßig dabei. 1976 in
Montreal und 1988 in Seoul bleibt man ohne olympisches Metall
(ganz anders der DKSV der DDR, warum?). 1980 nimmt der
Geschäftsführer Wolfgang Over seine Arbeit auf (bis 2012, 1981
wird Ulrich Feldhoff zum Präsidenten gewählt, im Amt bis 2005,
verstorben 2013, Feldhoff war auch einige Jahre Präsident
und Ehrenpräsident der ICF. (Geschäftsführer gab es ganz
wenige, z.B. Grete Erlwein von 1931 - 1945, Hans Egon Vesper
1951 - 1981, Wolfgang Over von 1980 - 2012; seitdem
tätig: Wolfram Götz).
1989 begeht man nochmals ein Jubiläum, diesmal 75
Jahre - mit Festschrift 75 Jahre Deutscher Kanu-Verband
e.V.
Wende und jüngste Vergangenheit
Entsprechend der politischen Entwicklung geht der DKSV, der
Deutsche Kanu Sport Verband der DDR, Anfang 1990
schnell im DKV auf, die neuen Landesverbände folgen der
politischen Gliederung. Im Westen ist das bis heute nicht
durchgängig der Fall, 2012 wurden immerhin die Landesverbände
in Baden und Württemberg verschmolzen. Man darf erwähnen, dass
die seit Jahrzehnten, besonders bei der jährlichen TID, der
internationalen Donaufahrt, geknüpften Kontakte ein wenig
beigetragen haben, den Ostblock zu >unterwandern< und
wechselseitig menschliches Verständnis zu wecken. DKV-Sportler
nahmen offiziell seit 1965 an dieser seit 1958 jährlich
stattfindenden legendären Großfahrt teil. Bei den olympischen
Spielen 1992 und 1996 wird Metall in beispielloser Weise
erkämpft, 2000 schon wieder weniger, (für die DDR seit 1980)
und bis 2004 immer dabei Birgit Fischer (in den
Medaillenspiegeln zeitweise als Birgit Schmidt). Keiner der
erfolgreichen Wettkämpfer kann Reichtümer ansammeln. 2005 wird
mit Olaf Heukrodt erstmals ein Präsident gewählt, der aus den
neuen Bundesländern stammt (tätig bis 2010, seitdem Thomas
Konietzko, ebenfalls aus den neuen Bundesländern stammend;
dieser Umstand wird nirgendwo als Besonderheit empfunden
oder als solcher registriert). Vor der Wende waren etwas
unter 100.000 Mitglieder im Bundesgebiet verzeichnet, heute
liegt die Zahl bei 115.000; nicht einmal ein Zehntel davon
bezieht die Verbandszeitschrift. Die Zahl der Vereine liegt
schwankend zwischen 1.300 und 1.500. das Problem der
Beitragsehrlichkeit verhindert jede präzise Angabe.
1992 meldet der DKV seinen ersten Dopingfall, bis heute unerfreulich, mittlerweile ist der Kampf dagegen satzungsmäßig verankert.
1997 meldet der DKV mit www.kanu.de seine Präsenz im Internet an
2011 erscheint der Altklassiker, das Deutsche Flusswanderbuch, ehemals Zelt- und Flußwanderbuch in 26. Auflage, die auch digital erhältlich ist. Das Buch erscheint seit 1927. Ungebremst ist im Zeichen der Konsumgesellschaft die Erwartungshaltung von Mitgliedern und Nichtmitgliedern gegenüber dem DKV, der mittlerweile Hunderte von Sperrungen und Reglementierungen von Gewässern registrieren muss und mit seinen Vereinen und Verbänden und erst recht seiner Handvoll Mitarbeiter für jedes Problem eine Lösung bieten soll. Umweltsymposien und Gutachten, Kooperation auf verschiedensten Ebenen sollen Abhilfe schaffen.
Sogenannte Trendsportarten wie SUP (Stand-Up-Paddling, das heißt stehendes Paddeln auf einem flachen Schwimmkörper), Drachenbootfahren, Rodeo, Spielbootfahren, Freestyle differenzieren sich weiter aus, bilden Freizeit- und Wettkampf-Formen aus. Auf dem Wildwasser werden die Boote kürzer auf der Wanderstrecke und an der Küste eher länger. Fahrtenbücher werden zunehmend elektronisch geführt, seit 2006 wird ein Europäischer –Paddel-Pass (EPP) entwickelt.
Die Behinderten werden etwa ab dem zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts neu entdeckt. (Zuvor zaghafte Regungen, z.B. eine Diplomarbeit 1988). Paracanoe ist nun groß im Kommen – es gibt sie halt auch in olympischer Variante. Das Präsidium beruft 2011 Vertrauenspersonen für von sexueller Gewalt Betroffene, (Ende 2015 auch eine Frauenbeauftragte, was etwas anachronistisch wirkt), beide Sachverhalte sind keine Reaktion auf größere Probleme, das gehört halt dazu.
2014 kann der DKV sein 100jähriges Bestehen feiern. Dazu wird am Gründungsort in Hamburg ein großes Fest mit buntem Programm und vielen Besuchern gefeiert, vor allem mit Wanderpaddlern. Eine Festschrift wird herausgegeben. Die Organisationsstruktur der Verbandsspitze wird im Folgejahr verändert, das Ressortprinzip, was auch immer man sich darunter vorstellen darf, soll die Arbeitsweise verbessern.
Über den DKV wird viel geschimpft und räsoniert, bevorzugt
in Internet-Foren. Alternativen? Ja, die Geschichte hat noch
nie Patent¬rezepte geliefert. Der Historiker hat ohnehin noch
viele offene Fragen, die eigentlich journalistisch angegangen
werden müssten.
Der DKV jedenfalls geht sein nächstes Jahrhundert mit
Zuversicht und viel Erfahrung an. Leichter als 1914 wird
er es wohl nicht haben.
Stand: Anfang 2016
Von Dr. Thomas Theisinger