25. November 2021

Die Eskimorolle im Kajak

Jetzt sollte die Rolle sitzen... (Foto: David Seehausen)

„Und, kannst du auch die Eskimorolle?“ ist mit Sicherheit mit einer der meist gehörten Sätze als Paddler, wenn man einem Bekannten erzählt, dass man Kanu fährt.

Von David Seehausen

 

Seit jeher ist die Eskimorolle ein filigranes Kunststück seinen schweren Körper wieder an die Oberfläche zu bringen. Auf den großen Videoportalen im Internet finden sich zahlreiche Filme, die wiederum eine Vielzahl von unterschiedlichsten Variationen beinhalten, wie man das Boot wieder hochdreht.

Für den Wildwasserpaddler ist die Rolle der Eintritt in Wildwasser IV, für den Kanu-Polo-Spieler die sichere Rolle der Motivator für den angriffslustigen Einstieg in den Zweikampf, für den Seakayak-Paddler der Ansporn sich auch bei stärkeren Seegang hinaus auf das Meer zu wagen.


Die eine Rolle?

Doch welche Rolle ist die richtige für mich? Ein Kanu-Polospieler wird hier vermutlich etwas ganz Anderes antworten als ein Kanu-Freestyle-Paddler oder ein Wildwasserpaddler. Und auch hier gibt es mit Sicherheit wieder Unterschiede, je nachdem wen man fragt. Zu den Klassikern der „Rolle mit Paddel“ kann man aber wohl zweifelsfrei die „Bogenschlagrolle“ (aka „Sweep Roll“) oder die „Paddelhangrolle“ (aka „C2C-Roll“) zählen. Einfacher zum Einstieg ist für die meisten wahrscheinlich letztere – hier ist die Technik ein klein weniger vom perfekten Timing und einem kontrollierten Paddelzug abhängig. Doch bevor man überhaupt dahin kommt sich mit dem Paddel wieder an die Wasseroberfläche zu befördern ist es häufig ein langer Weg.
 


Neben einem guten Verständnis für die Technik gibt es grob gesagt drei Faktoren

  1. Ein Gefühl für die richtige Führung des Paddels und den zu spürenden Druck am Paddel
  2. Ein intensiver „Hüftknick“
  3. Und vor allem: Timing

Doch eins nach dem Anderen.
 

 


Der Weg zum Hüftknick
 

Der so genannte „Hüftknick“ ist ein großer Schlüssel für das erfolgreiche Gelingen der Rolle. Ohne ihn geht fast nichts – zumindest wird es extrem schwer ohne ihn die Rolle hinzubekommen oder man braucht überflüssig viel Kraft. Für den Hüftknick benötigt man seine seitliche (laterale) Bauchmuskulatur. Diese zieht Rippenbogen und Becken zueinander. Von der Reihenfolge her sollte zunächst das Boot so weit wie möglich aufgerichtet werden, ohne dass irgendein Teil des Oberkörpers an die Luft kommt. Als allerletztes folgt der Kopf. Er sollte bis kurz vor Ende im Wasser bleiben und so nah wie möglich am Boot nach oben geführt werden. Es empfiehlt sich den Kopf auch dann noch einen kurzen Augenblick tief über der Spritzdecke oder über dem Heck zu halten, wenn man meint, man sei eigentlich schon oben. Kommt der Oberkörper nämlich zu früh nach oben geht es entweder auf der anderen Seite oder auf der gerade hochgekommenen Seite direkt wieder hinein ins kühle Nass. Während des Hüftknicks sollte der Körper weder nach vorne oder nach hinten gebeugt sein. Nur so kann sich deine Wirbelsäule am besten zur Seite krümmen.

   



Dass sich nach hinten oder besser nach vorne gelegt wird geschieht erst, wenn das Boot schon so gut wie umgedreht ist. Hier den perfekten Moment abzupassen, wann man sich nach vorne oder hinten krümmt erfordert einiges an Training. Tendenziell empfiehlt es sich immer versuchen die – ergonomisch und physisch schwierigere – Rolle nach vorne zu trainieren. Als Wildwasserpaddler hat man so sein Gesicht nicht zum eventuell flachen oder steinigen Untergrund gewandt, zum anderen ist man aus einer Vorwärtslage deutlich schneller wieder im Paddelflow. Ein „Umtrainieren“ von der Rolle nach hinten zur Rolle nach vorne ist grundsätzlich möglich, jedoch für den ein oder anderen eine vollkommen neue Herausforderung.

Erste Übungen kann man gut an Land machen (siehe Übung 1). Wenn man erst einmal verinnerlicht hat, welche Muskeln man braucht sollte es ins „gut eingepasste“ Boot gehen - vor allem bei Kindern ein oft vernachlässigter Punkt, der die Erfolgsquote stark verringert. Wie soll man auch das Boot kippen, ohne es an seiner Hüfte oder den Knien optimal zu spüren?

Jetzt bei der kalten Jahreszeit bieten viele Vereine Training im Hallenbad an – wie geschaffen für das Eskimorolltraining. Im Nichtschwimmerbecken kann ein Trainer oder Helfer jederzeit unterstützend eingreifen und wenn man doch einmal nicht hochkommt steigt man einfach im warmen, stehtiefen Wasser aus und kann es gleich noch einmal probieren. Ein Trainer oder allgemein jemand, der ein Auge auf die Technik wirft ist in jedem Falle Gold wert. Von außen kann sie oder er häufig besser erkennen, woran es noch hakt als wenn man im Boot sitzt und durch das ständige auf und ab sowie das viele Wasser um einen herum sich kaum auf eine Sache konzentrieren kann.

Sitzt man im Boot ist der Beckenrand zunächst Partner Nummer eins. Jetzt heißt es Arme lang und langsam immer weiter mit dem Kopf ins Wasser gehen und wieder hochdrücken, bis schließlich das ganze Boot komplett umgedreht ist. Auf einem See kann man ab dem Frühjahr auch eine niedrige Steganlage oder einfach die Bootsspitze des Partners nutzen. Hier sollte man sich nach und nach so weit steigern, dass man es erstens aushält mehrere Sekunden unter Wasser zu bleiben sowie zweitens auch einmal den Beckenrand loslassen kann, bevor man sich dann wieder langsam und entspannt am Beckenrand hochzieht.


Jetzt wird’s wackelig

Ist das soweit gefestigt und auch von einer dritten Person begutachtet worden geht es daran den Beckenrand durch etwas zu ersetzen, dass weniger steif, bzw. weniger Auftrieb besitzt. Dies kann ein Schwimmbrett, ein griffiger Wasserball deine Schwimmweste oder ein Auftriebskörper sein. Hierbei bekommt auch der zuvor angesprochene Punkt „Timing“ langsam eine größere Rolle, denn Hüftknick, Armbewegung und Krafteinsatz müssen hierbei bereits genauer zeitlich aufeinander abgestimmt sein. Andernfalls wird es ordentlich anstrengend oder wirkt von außen noch nicht ganz rund. Zum Punkt „nicht anstrengend“ lautet meine Devise: Die Rolle soll nicht nur von außen geschmeidig aussehen und eine gewisse Eleganz haben – man sollte sie auch fühlen. Wer sich nur mit einem kräftigen Ruck nach oben schwingt, dabei steif wie ein Laternenpfahl ist, der kommt vielleicht irgendwie nach oben aber entweder fällt man auf der anderen Seite des Bootes fast wieder rein, kippelt extrem mit dem Boot, so dass um sich herum viele Wellen entstehen (das kann man gut vor allem als Außenstehender beobachten) oder kann anschließend überhaupt nicht so ganz beschreiben, was er da eigentlich gemacht hat, geschweige denn Tipps annehmen. Auch wenn sich das Boot nach links (bei einer Rolle auf der rechten Seite) dreht verschenkt vermutlich zu viel Kraft in die Seitwärtsbewegung anstatt in die Aufwärtsbewegung. Als Steigerung kann man seinen Auftriebskörper verkleinern oder, falls möglich, die Luft entweichen lassen.

Ein gutes Körpergefühl, Respekt - aber keine Angst unter Wasser zu sein sowie eine dauerhafte Einstellung seine Rolle mehr und mehr perfektionieren zu wollen lassen die Rolle nach dem Training mit „geplanten reinkippen“ in gewohnter, vielleicht sogar warmer Umgebung auch im Unvorhergesehenen sowie kalten, eventuell sogar einem dunkleren und Wasser-aufgewühlten Umfeld gelingen.


Ruhe bewahren
 

„Ruhe bewahren“ ist mein Tipp Nummer vier. Nur wer es zu jeder Zeit schafft unter Wasser im wahrsten Sinne des Wortes einen kühlen Kopf zu bewahren, anstatt hektisch zu versuchen schnellstmöglich die Wasseroberfläche zu erreichen, wird die Rolle in seiner Gänze perfektionieren können. Eine intensive innere sowie äußere Ruhe wirken sich darüber hinaus auch positiv auf die Konzentration auf seine Bewegungsabläufe aus. Wer kaum mit dem Kopf die Wasseroberfläche berührt und schon versucht zur Rolle anzusetzen hat meist schon verloren. Wer sich hingegen unter Wasser ein paar Sekunden Zeit lässt und sich an die vollkommende neue Umgebung gewöhnt – das Wasser um seinen Kopf und Oberkörper strömen lässt, das ungewohnte Gefühl „Kopf über zu hängen“, noch dazu eingeklemmt in einem Boot ohne Atmen zu können – der kann sich nach dieser gedanklichen Anpassung an die Situation viel besser auf das eigentlich Wichtige – der perfekt getimte Bewegungsablauf der Eskimorolle – konzentrieren.

   


Finally – das Paddel

Wenn der Hüftknick aussieht wie bei einer olympischen Akrobatiktänzerin und dir bei der Rolle mit Auftriebskörper gesagt wird, du sähest aus wie ein geschmeidiger Leopard wird es Zeit das Paddel hinzuzunehmen. Jetzt kommt die große Herausforderung – alles was bisher gelernt wurde muss bis aufs tiefste verinnerlicht, wenn nicht sogar automatisiert sein. Man muss dich vielleicht nicht im Schlaf wecken können aber ja – es sollte einem gefühlt leichtfallen. Spätestens jetzt klärt sich, ob du bisher nur ein bisschen rumgedümpelt bis oder ordentlich trainiert hast, denn mit Paddel wird noch einmal alle, na ja, vieles anders. Jetzt fehlt nämlich der vorher immer noch als Backup existente Druck. Auch wenn die Technik mal nicht ganz sauber war konnte man sich eben mit ein wenig mehr Druck auf Beckenrand oder Auftriebskörper doch noch nach oben befördern. Ist das Paddeln nun jedoch falsch gewinkelt, nicht ganz an der Oberfläche oder wird zu früh gezogen, so passiert bis auf ein paar Wellen rund um das Boot und einem kleinen Schnapper nach Luft, nichts.


Immer wieder, immer wieder

Ein Gefühl dafür zu bekommen, wie das Paddel perfekt gehalten und geführt werden muss und dies dazu mit dem Hüftknick zeitlich abzustimmen, das dauert. Wer jetzt nicht einen Partner oder Trainer neben sich wir hier kaum alleine weiterkommen. Für die Ausgangsposition sollte das Paddel immer vollkommen parallel zum Boot liegen und quasi an der Wasseroberfläche schwimmen. Ist das Paddel bereits zur Ausgangslage mehrere Zentimeter unter Wasser fehlt dieser Weg nachher beim Ziehen.  Entsprechend stark sollte der Oberkörper zur Wasseroberfläche hin gebeugt sein und der abgewandte Arm nahezu gestreckt sein. Bei der Paddelhangrolle wird das Paddel zunächst an der Wasserberfläche bis zu einem 90° Winkel zum Boot gezogen. Erst jetzt beginnt man mit einem Zug nach unten und setzt mit dem Hüftknick ein. Bei der etwas komplizierteren Bogenschlagrolle wird bereits während dem Paddelzug „wie ein Bogen“ mit möglichst weitem Abstand zum Oberkörper mit dem Zug nach unten begonnen. Dadurch hat man insgesamt mehr Zugweg als bei der Paddelhangrolle und mehr „Puffer“, wenn die restliche Technik und das Timing vielleicht noch nicht so ganz aufeinander abgestimmt sind. Dafür ist die Technik im Ganzen etwas komplizierter. Wenn die Möglichkeit besteht sich einmal selbst von außen filmen kann dies zum Verständnis – was mache ich da eigentlich genau einen riesen Schritt nach vorne bringen.


Ich kann rollen, oder?

Die erste erfolgreiche Rolle nach langen Üben ist dann ein wahrer Befreiungsschlag. Jetzt heißt es dranbleiben: umkippen lassen, in aufgewühlten Wasser auf Tauchstation gehen oder Alternative Rollen, z.B. auf der anderen Seite oder nur mit der Hand üben. Die eine perfekte Rolle wird es vielleicht nie geben. Spätestens wenn es einmal richtig wild wird, du mit einem Wildwasserboot von einer Walze erfasst wirst, im vollbelandenen Seakayak bei 3m Wellen umkippst oder im Kanu-Poloboot nur noch den Ball in der Hand hältst und um dich rum drei weitere Boote liegen, merkst du ob du gut trainiert hast.



Übungen für die Eskimorolle

Übung 1 ohne Boot

Setz dich auf eine möglichst harte Oberfläche, z.B. den Zimmerboden. Die Knie sind leicht angewinkelt. Am besten sitzt du vor einem Spiegel. Jetzt versuchst du dein Gewicht nur auf einen Sitzhöcker, bzw. eine Pobacke zu verlagern. Dein Oberkörper sollte hierbei so weit wie möglich aufrecht bleiben, dein Kopf ebenso. Versuche die Position so lange wie möglich zu halten. Als kleine Steigerung kannst du versuchen die Füße so eng wie möglich zusammen zu nehmen oder sogar einen Fuß leicht in der Luft zu halten ohne viel zu wackeln. Wenn du diese Übung machst solltest du spätestens nach einer Minute merken, welche Muskeln hierbei angesprochen werden.


Übung 2 im Boot ohne Paddel

Übung Nr. 2 sollte am besten im Schwimmbad oder einem ruhigen See durchgeführt werden. Du sitzt in deinem optimal eingestellten Boot mit Spritzdecke und lässt dich langsam umkippen. Unter Wasser klopfst du nun mindestens drei Mal „entspannt“ und laut auf den Boden deines Bootes. Erst dann suchst du die Hände deines Partners, der neben dir im Wasser steht und drückst dich langsam hoch. Der Oberkörper sollte zur Zeit der Hüftknicks vornehmlich gerade, also nicht nach vorne oder hinten gebeugt sein.
Hierbei sollte der Partner seine eigenen Hände möglichst an der Wasseroberfläche lassen und sie nicht zur rollenden Person hinbewegen, denn später, mit dem Paddel, müssten die Hände ebenfalls weit an die Oberfläche gebracht werden. Ebenso sollten die Ellenbogen der Arme so weit wie nur eben möglich gestreckt sein – nur so entsteht ein großer Hebel und es wird weniger Druck benötigt um sich hochzudrücken. Zur Steigerung sollte man auch einmal unvorhergesehen, andersrum oder mit viel wackeln nachdem umkippen aus der Ruhe gebracht werden. Wenn das nicht gelingt, also man ruhig im Boot sitzen bleibt und sich dann in aller Seelenruhe wieder hochrollt, der hat schon einen großen Schritt auf dem Weg zur perfekten Rolle hinter sich.

 


Übung 3 im Boot mit Paddel
 

Wenn du die Möglichkeit hast ein „Paddelfloat“ zu nutzen, bringe dies an deinem Paddel an. So kannst du dich erst einmal noch mehr auf die allgemeine Haltung des Paddels konzentrieren und musst dich noch nicht so sehr auf den richtigen Winkel einstellen. Falls du kein „Paddelfloat“ hast kann auch ein Schwimmbrett aus dem Schwimmbad mit Gurten am Paddelblatt befestigt werden. Versuche mit deinen Händen möglichst unverkrampft das Paddel zu halten und den Druck auf dem Paddel zu spüren. Spiele mit dem Paddelwinkel – so merkst du langsam, wann du das Paddel wie hältst.

   

 

 


Die Top 10 Dinge für die perfekte Rolle

  1. Körpergefühl trainieren
  2. Partner/Trainer dabeihaben
  3. Intensiver Hüftknick
  4. Zu jeder Zeit Ruhe bewahren, es ist nur Wasser
  5. So nah wie möglich am „Ernstfall“ üben
  6. Sei eine elegante Gazelle beim Rollen, kein stampfender Elefant
  7. Videoanalyse von außen verwenden
  8. Ein Schritt zurück in der Übung schadet nie
  9. Wechsel auch ‘mal dein Paddel, Boot, Umgebung
  10. Üben, üben, üben
     


 


Über den Autor - David Seehausen

Über David Seehausen: David ist gelernter Sport- und Fitnesskaufmann (IHK) sowie BVK Kanulehrer Kajak. Er lehrt an seinem Heimatverein in Leverkusen sowie einer international tätigen Kanuschule. Als Swiftwater Rescue Technician ließ er sich vor wenigen Jahren fortbilden. Im Verband ist David in der Deutschen Kanujugend tätig und leitet dieses Jahr beim Sicherheitssymposium des DKV mehrere Workshops und führt gemeinsam mit dem AKC einen Sicherheitslehrgang in Augsburg durch.

Weitere Infos unter: www.kajakplus.de
 

 

 

 

 


 


Diesen Artikel sowie weitere Touren, Beiträge und Themen findest du im KANU-SPORT 2/2017:

KANU-SPORT 2/2017
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