Küstenpaddeln

Faszination Seekajak

"Natur pur" statt "Abenteuer total"

Das heisst natürlich nicht, dass die Küstenkanuwanderer bei ihrer Paddelei ganz ohne Abenteuer auskommen müssen. Wind und Wellen sorgen nämlich schon ab und an, je nach Wetterlage, aber nie im Voraus planbar, für genügend Abwechslung. Auch bleibt das Bedürfnis nach "Romantik" nicht völlig unbefriedigt, wenn auch weniger auf dem Wasser, als abends am Strand, wo sie ihr Biwak aufschlagen. Leider kommt der Tierfreund etwas zu kurz. Wenn auch die meisten ihrer Wasserwanderreviere zu einem "Nationalpark" (Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Vorpommersche Boddenlandschaft, Jasmund/Rügen) gehören, herrscht scheinbar auf jenen Plätzen, wo das Paddeln erlaubt ist, für den Laien eine fast "wüstenartige" Stille vor. Wenn dann trotzdem ein paar Robben auftauchen und einen neugierig beäugen, eine Schule Schweinswale an einem vorbeizieht bzw. in der Ferne tausende von mausernden Brandgänsen schwimmen bzw. rastsuchende Kormorane oder Kraniche in nicht enden wollenden Schwärmen über einen hinweg fliegen, sind die Küstenkanuwanderer eigentlich mit ihrer Tour schon zufrieden. Sie haben "Natur pur" erlebt, und das ist etwas ganz anderes, als wenn man in einer Seehundaufzuchtstation aus nächster Nähe ein Robbenbaby sieht oder von einer Bank in Westerland ein paar Silbermöwen füttert.

Müßiggang statt Hektik

Wenn man mit dem Seekajak auf die Nord- oder Ostsee hinaus fährt, muss einem bewusst sein, dass die Hektik des Alltags hier nichts zu suchen hat und dass "Kilometerschruppen" nur dann Sinn macht, wenn man entlegenere Ecken des Wattenmeeres oder Helgoland erreichen möchte. Für die Küstenkanuwanderer zählen allein die Stunden, die sie auf dem Meer verbringen, nicht aber die Kilometer.

Den wenigsten "Zwängen" sind sie auf der Ostsee unterworfen. Hier können alle so wenig oder so viel paddeln, wie sie möchten; denn dicht neben ihnen liegt meistens die Küste. Wer keine Lust mehr zum Paddeln hat, geht an Land, die anderen paddeln weiter und holen den Zurückgebliebenen bei der Rücktour wieder ab. Es gibt keine Gezeiten, die ihnen vorschreiben, wann zu starten, in welche Richtung zu paddeln und wann wieder anzulanden ist. Es gibt nur selten freie Stecken, die unbedingt - komme was wolle - gemeistert werden müssen. Es gibt lediglich die Tageszeiten, an die sie sich zu halten haben ... und natürlich das Wetter.

Auf der Nordsee dagegen sieht das ganz anders aus. In Ostfriesland steht das "Inselhüpfen" im Vordergrund. Daher sind dort Tagesetappen von 8 bis 15 km durchaus etwas Normales, sofern man vom Festland aus nur zu eine der vielen Inseln (z.B. Wangerooge, Spiekeroog, Langeoog, Balturm, Norderney, Juist) paddeln möchte. In Nordfriesland kann man sich meist mit Strecken von knapp 20 km begnügen. Dafür muss man aber bei Touren im Wattenmeer manchmal Samstag früh bereits kurz nach 4 Uhr auf dem Wasser sein bzw. hat So nntag früh schon um 10 Uhr sein Wanderwochenende hinter sich, da die Gezeiten einem nichts Anderes erlauben. Oder: die geplante Tour kann gar nicht stattfinden, da die Gezeiten- bzw. Wetterverhältnisse es nicht zulassen, aufs Meer hinaus zu fahren.

Küstenkanuwandern ist eigentlich "Müßiggang pur", zumindest wenn das Wetter mitmacht. Kurzweilige Ereignisse treten dann nicht - wie etwa beim Wildwasserfahren bzw. Flusswanderpaddeln - im "Sekunden-" oder "Minuten-", sondern im "Stundentakt" auf. Man paddelt durchs "Blauwasser", ohne das eigentlich viel passiert. Insofern vereint die Salzwasserpaddelei als Freizeitbeschäftigung die beiden konträren Phänomene, die etwas darüber aussagen, wie aktive man seine Freizeit erleben will: nämlich das Phänomen "der Fähigkeit, etwas zu tun" mit dem Phänomen "der Freiheit, etwas nicht zu tun". Egal ob man nun die Deutsche Bucht durchquert, die Insel Borkum ansteuert oder von Helgoland wieder zurück ans Festland paddelt oder die Insel Fehmarn oder Hiddensee umrundet, es ereignet sich meistens nicht viel unterwegs. Man tut nichts weiter, als monoton zu paddeln und das stundenlang. Auf den Punkt gebracht: Der einzige Unterschied zwischen Seekajakfahren und "Sich-auf-die-faule-Haut-legen" besteht eigentlich darin, dass man nicht liegt und seine Arme baumeln lässt, sondern auf seinem Hintern sitzt und mit seinem Armen hin und her schwingt. Bis auf einige wenige "navigatorische" Momente kann man seinen Geist "abschalten" und seine Seele unbeschwert in Zeit und Raum umherschweifen lassen. Insofern ist das Meer eigentlich nur etwas für jene, die Erholung, Ablenkung oder Ausgleich suchen. Die Geselligen und Erlebnishungrigen unter uns Kanutinnen und Kanuten sollten daher lieber auf dem Festland bleiben; denn draussen weitab vor der Küste mangelt es einfach an den Zuschauern bzw. an der nötigen Action.

Trotz des Müßiggangs kann Küstenkanuwandern nicht nur entspannend und harmlos, sondern auch anstrengend und gefährlich sein. Es hängt allein vom Wetter und der Tide ab. Mal fährt man bei Ententeichbedingungen entlang der Kreidefelsen von Rügen, so dass man meint, ein Wildwasserboot reicht für die Befahrung dieses Küstenabschnittes völlig aus. Ein anderes Mal kommt plötzlich ein 6er Wind auf, der gegen die Gezeitenströmung bläst, sodass man sich trotz Trockenanzug und Eskimotiererfahrung in seinem doppelt abgeschotteten Seekajak nicht mehr wohl fühlt. Gerät man mal in solch ein schweres Wetter, dann ist die ganze Erholung "futsch". Dafür hat man aber was erlebt, worüber man noch jahrelang erzählen kann.

Auto, nein danke!

Die Küstenkanuwanderer heben sich von den übrigen Paddlern dadurch ab, dass sie auf die sonst üblichen Autoumsetzaktionen leicht verzichten können; denn mit dem Seekajak unternimmt man i.d.R. Rundtouren, d.h. man kehrt nach getaner "Arbeit" wieder zum Startort zurück. Kommt es den Küstenkanuwanderern doch überhaupt nicht darauf an, einfach nur Strecke zu machen. Allein der Weg ist ihr Ziel (aber endlich anzukommen, ist auch nicht schlecht!). Wenn sie paddeln gehen, wollen sie nur aufs Meer hinaus fahren und ihm ausgeliefert sein: dem Wind und dem Wasser, dem Seegang und der Tidenströmung. Das Meer allein gibt ihnen die Orientierung für ihr Tun. Da spielt es überhaupt keine Rolle, wenn sie nach der Umrundung einer Insel bzw. dem Trockenfallen auf einem Wattrücken wieder dorthin zurückkehren, woher sie gekommen sind. Keine Strömung zwingt sie dazu, woanders anzulanden. Zumindest auf der Nordsee unterstützt sie der im 6-Stunden-Takt sich ändernde Gezeitenstrom bei ihrem Vorhaben, ihre Fahrt dort zu beenden, wo sie begonnen wurde.

Wer aufs Meer geht, muss warten können. Nur wer warten kann, kann auch etwas erwarten. Warten müssen die Küstenkanuwanderer nämlich, um die schwächeren Kameradinnen und Kameraden, aber auch das Fremde, das Neue, das ihm das Wattenmeer offenbart, an sich herankommen zu lassen. Eile wehrt ab und verscheucht. Diejenigen, die auf dem Meer gemächlich vorankommen, handeln trotzdem effizient: sie schonen die Natur und fördern den sozialen Zusammenhalt mit den sie begleitenden Kanuten. Die Küstenkanuwanderer fliehen der Hektik. Sie sehnen sich nach der Ereignislosigkeit und suchen geradezu die Langeweile auf dem Meer. Wenn sie auf dem Meer dieselbe Strecke hin und zurück paddeln müssen, stört sie das daher überhaupt nicht. Warum auch, denn nur auf der Landkarte sieht das Meer zu jedem Zeitpunkt gleich aus. Paddelt man aber erst einmal mit dem Seekajak z.B. mitten durchs Wattenmeer, so kann man feststellen, dass es zu jedem Zeitpunkt etwas anders aussieht; denn das Meer wird nicht durch ein Flussbett geprägt. Es ist mehr als Küste, Horizont und Inseln. Zum Meer gehören Wind und Wellen, Gischt und Regen, Seenebel und Fernsicht, Cumolusnimbus und Cirrostratus, Sandbänke und Untiefen, Priele und Gatts, Schlick und Dünen, aber auch Sandstrand und Salzwiesen, Steilhänge und Kreidefelsen, Schweinswal und Eiderente, Brandseeschwalbe und Alpenstrandläufer, Kompassqualle und Seepocken, Queller und Strandflieder, Blasentang und Meersalat.

Typ: "Küstenkanuwanderer"

Küstenkanuwanderer erkennt man oberflächlich am Bootsmaterial. Sie fahren keine kurzen Wildwasserboote (zwischen ca. 240 - 400 cm Länge), keine Fluss-Wanderboote (zwischen ca. 420 - 500 cm), sondern Seekajaks (zwischen ca. 480 - 560 cm). Diese Seekajaks zeichnen sich dadurch aus, dass sie optimal auf die Verhältnisse des Meeres (hier: Seegang, Navigation und Kenterung) abgestimmt sind. Manchmal erkennt man die Küstenkanuwanderer auch schon an der Kleidung. Spätestens bei kälterem Wetter lässt er die bei Flusspaddlern übliche Paddeljacke zu Hause und schlüpft in den Trockenanzug. Ein solcher Anzug, egal ob nun atmungsaktiv oder nicht, ist gerade bei längeren Wanderfahrten wesentlich komfortabler als die bei Wildwasserfahrern so beliebte Neoprenkleidung. Nicht zu vergessen dabei sind die zusätzlichen Sicherheitsreserven, die einem ein Trockenanzug im Falle einer Kenterung bietet; denn im Trockenanzug ist die durchschnittliche Überlebensdauer um etwa 300% höher als im Neo.

Die Küstenkanuwanderer unterscheiden sich von den Wildwasserfahrern dadurch, dass sie mehr Ausdauer haben, dafür aber meist schlechter ihr Paddel "hantieren" und weniger sicher rollen können. Der Unterschied zu den Flusspaddlern lässt sich dagegen im Allgemeinen an der besseren Bootsbeherrschung bei Seegang festmachen, aber auch am größeren Sicherheitsbewusstsein; denn wer des Öfteren schon auf dem Meer war, der hat das Meer auch von seiner gefährlichen Seite erlebt und weiß, wie hilflos man als Kanute ist, wenn man draußen weitab von der Küste neben seinem mit Wasser randvoll gelaufenen Boot schwimmt. Denn dadurch unterscheidet sich das Salzwasserfahren gleichermaßen vom Wildwasserfahren und Flusswanderpaddeln: Es gibt insbesondere auf der Nordsee nur selten ein rettendes Ufer!

Trotzdem gibt es nicht  d e n  Küstenkanuwanderer. Vielmehr gibt es Küstenkanuwanderer, die den "Erlebniswert" einer Tour höher schätzen als ihren "Erholungswert", die lieber in der Brandung spielen als bei Ententeichbedingungen aufs Meer zu gehen, die an der Nordsee mehr Gefallen finden als an der Ostsee, die eine  Spritztour einer Gepäckfahrt vorziehen, bzw. die sich wohler fühlen, wenn sie entlang der Küste bzw. zwischen Inseln hindurch paddeln dürfen, statt "off-shore" fahren zu müssen. Aber es gibt auch Küstenkanuwanderer, die alles mögen, mal die Tagestour mit kräftiger Tidenströmung bei 5 Bft. Gegenwind im Gatt zwischen Langeoog und Baltrum, und ein anderes Mal die Gepäckfahrt bei spiegelglatter See durchs Inselgewirr der schwedischen Schärenküste.

Ach ja, da gibt es noch die "Solo"-Paddler, die der Reiz der Einsamkeit mehr lockt als die Gemeinschaft. "Allein meckert nicht!" Man braucht bei der Fahrtenplanung keine Kompromisse zu machen, kann aber dafür sein Erlebnis nicht mit anderen teilen. Und wenn's mal kritisch wird, gibt es auch keinen, der einem Mut macht bzw. Hilfestellung gibt.

Natürlich gibt es auch Küstenkanuwanderinnen. Sie unterscheiden sich eigentlich in nichts von ihren männlichen Kameraden. Frauen fahren genauso in der Brandung wie nach Helgoland. Mancher "Seebär" hat bei Starkwind und Kabbelwasser schon so manche "Nixe" an sich vorbeiziehen lassen müssen ... Nur es gibt halt immer noch nicht so viele Frauen, denen das solch einen Spaß macht. Ich werde daher den persönlichen Eindruck nicht los, dass viele Frauen auf dem Meer nur deshalb paddeln, um anschließend auf den Inseln und Sandbänken so richtig Pause machen zu können; während viele Männer nur deswegen auf den Inseln und Sandbänken Pause machen, um danach wieder so richtig weiterpaddeln zu können. Aber sicherlich ist es immer falsch, etwas zu verallgemeinern oder Vorurteile zu pflegen, und zwar was beide Geschlechter betrifft; denn genauso wenig wie es  d e n  Küstenkanuwanderer gibt, gibt es auch nicht  d i e  Küstenkanuwanderin!

Bootstyp: "Seekajak"

Ein weiterer Unterschied ist ausmachen, wenn man sich die Boot der Küstenkanuwanderer betrachtet. Ist es beispielsweise ein Faltboot, dann legen sie Wert auf bequeme An-/Abreise per Zug, gemütliches Paddeln oder flotte Fahrt unter Segel. Ist es dagegen z.B. ein steuerloser und schlanker englischer Plastik-Einer (sog. "Engländer"), wollen sie das Meer "pur" erleben, d.h. jede Welle nicht nur unterm "Hintern", sondern auch im Gesicht spüren. Ist es ein Plastik-Zweier, möchten sie auch anderen das Erlebnis auf dem Meer ermöglichen, denen sonst der Mut, die Kraft und die Fertigkeiten fehlen, allein hinaus zu paddeln. Ist es ein "Grönländer", d.h. ein selbst gebauter "Eski" aus Leinen oder Holz (sog. „Zuckersackboote“), dann suchen sie die Nähe zum traditionellen Seekajakfahren, das die grönlänischen Inuits vor über tausend Jahren begründet haben. Ist es aber "nur" ein "Flusswanderboot", ja ... dann handelt es sich i.d.R. nicht um den typischen Küstenkanuwanderer, sondern entweder um einen "See-Anfänger", der eine "Schnuppertour" hinaus aufs Meer wagt, um erste Eindrücke und Erfahrungen zu sammeln. Oder es handelt sich um einen alten "Seebären", der Jahrzehnte schon mit seiner "Plastikschüsseln" auf dem Meer herumkutschieren, ohne dass ihm jemals etwas zugestoßen ist. Dem klar zu machen, dass er im falschen "Dampfer" sitzt, dazu fehlen mir einfach die Worte; vielleicht auch deshalb weil er mir mit seinen Erfahrungen u.U. immer noch etwas vormacht, wenn es auf dem Meer "zur Sache" geht, d.h. wenn die See nicht mehr ruft, sondern "brüllt"!

Apropos: Risiko Küstenkanuwandern

Eine Tour hinaus aufs Meer kann einen nicht nur faszinieren, sondern auch erschrecken. Zur Veranschaulichung der möglichen Gefahren, mit denen wir beim Küstenkanuwandern konfrontiert werden könnten, möchte ich auf einen extra Beitrag verweisen, in dem ich die Analyse eines tödlich ausgegangen Seenotfalls auf der Nordsee vornehme.

Text: Udo Beier (17/12/03)


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