12. Mai 2022

Einfach geradeaus fahren im Canadier?

Geradeausfahren im Canadier (Foto: Marius Andre)

Der Canadier läuft in Deutschland ein ganz klein wenig unter dem Radar und ist in der Wahrnehmung vieler häufig eher das Boot der Verleiher für Betriebsausflüge und vergnügt lärmende Gruppen. Dabei bietet dieser Bootstyp eine unheimlich große Spanne an Möglichkeiten für das Abenteuer vor der Haustür. Daher lohnt es sich einen Blick darauf zu werfen, was  wir im Canadier lernen können.

Von Marius André

 

Wer wissen will, welche Techniken sich erlernen lassen (sollten), für den lohnt sich immer einBlick auf den EPP 2. Unter (Paddel-) Technik steht da z.B. “Geradausfahrt und Kurs halten”. Zu den verwendeten Paddelschlägen findet man im Epp 1 die Hinweise auf den Grundschlag und den Bogenschlag und im EPP 2 den Hinweis auf Ziehschläge.
50m geradeausfahren klingt erst einmal nicht sonderlich schwierig. Wer aber das erste Mal allein im Solo-Canadier sitzt oder sich an seine ersten Versuche erinnert, der wird das recht präsent haben, dass es gar nicht so einfach ist die Kiste in einer einigermaßen geraden Linie übers Wasser zu bekommen.
Hinweis: In meinen Beispielen gehe ich immer vom Solo-Canadier aus und möchte auch alle Tandem-Besatzungen ermuntern, sich unbedingt mal in einer von Wind und Strömung geschützten Ecke allein ins Boot zu setzen. Das kann sehr erhellend sein! Alle hier gezeigten Techniken werden im Tandem-Boot vom Heckpaddler auf gleiche Weise ausgeführt. Auch wenn die Fotos den Solopaddler zeigen, so sind doch alle Übungen auch im Tandem-Boot umsetzbar.

Einfach mal machen…

Freunde, unter uns... 50m geradeaus...? Da braucht man keine Anleitung für, oder? Sehr guter Ansatz! Runter von der Couch, schnappt euch ein Boot und ab aufs Wasser. Die Aufgabe ist klar. Also: einfach mal machen. Probiert mal wild drauf los und schaut, zu welchen Lösungen ihr kommt, um das Boot allein (Tandem-Paddler habe es da leichter und machen deswegen 200m geradeaus) in einer geraden Linie zum Ziel zu bewegen. Paddelt auf einen Baum oder eine Boje zu und filmt eure Versuche am besten direkt, um nachher analysieren zu können.
 

Der Grundschlag: Das Paddel senkrecht halten
 

 

Paddelschlag (Bild 1a) Einsatz zu weit vorne (Bild 1b) Zu weit durchgezogen (Bild 1c)

 


Für einen guten Grundschlag ist es wichtig, dass das Paddel aus allen Richtungen gesehen fast senkrecht gehalten wird. Fassen tun wir das Paddel dabei, wie auf den Bildern zu sehen, etwas mehr als schulterbreit. Wir drehen den Oberkörper leicht, so dass die Schulter der Schafthand nach vorne zeigt. Dann “verankern” wir das Paddel vor uns im Wasser und ziehen uns samt Boot zum Paddel hin, während der Oberkörper zurückrotiert (Bild 1a). Bei dieser Bewegung nutzen wir durch die Rotation des Oberkörpers deutlich mehr Muskeln als nur die Muskeln der Arme!
Beim Verankern des Paddels ist darauf zu achten, dass das Blatt vollständig im Wasser ist, bevor wir am Paddel ziehen.
Wenn das Paddel zu weit vorne eingesetzt wird (Bild 1b), steht es schräg und wir drücken schön Wasser nach unten, kommen aber nicht gut voran. Ziehen wir das Paddel zu weit nach hinten durch (Bild 1c) schaufeln wir Wasser hoch und verbrennen eine Menge Energie, die uns kaum Vortrieb gibt. Für den Vortrieb reicht es also, wenn wir uns so weit nach vorne ziehen, dass die Oberschenkel auf Höhe des Paddels ankommen und dann das Paddel aus dem Wasser nehmen, um den nächsten Schlag zu machen.

Wenn wir von vorne auf das Boot schauen, sollte das Paddel ebenfalls fast senkrecht im Wasser stehen (Bild 2a). Je näher wir an der Bootsmitte paddeln, desto geringer ist die Drehung, die wir dem Boot mit jedem Schlag mitgeben. Wird das Paddel zu flach gehalten (Bild 2b) machen wir schon fast einen Bogenschlag und verstärken die Drehung des Bootes (entsprechend bedröppelt schaut der Paddler). Wir können also festhalten, dass uns der Bogenschlag bei unseren Bestrebungen 50m geradeaus zu fahren nicht helfen wird.
 

 

Senkrechte Paddelhaltung (Bild 2a) Einsatz zu weit vorne (Bild 2b)

 


Die Korrekturen

Wir haben also einen mustergültigen Grundschlag trainiert, der das Boot aber immer noch dreht, und den Bogenschlag für unsere Unternehmung ausgeschlossen. Was bleibt? Hierzu schweigt der EPP 1, aber ihr werdet bei euren Versuchen festgestellt haben, dass wir die Drehung des Bootes irgendwie korrigieren müssen, wenn wir nicht ständig mit dem Paddel die Seite wechseln wollen. Dazu zeige ich hier 3 Möglichkeiten auf, bei denen das Paddel immer über den Grundschlag hinaus an das Heck des Bootes geführt wird. Für den Grundschlag selbst wenden wir Kraft auf, um das Boot zu beschleunigen, führen das Paddel dann aber entspannt zum Heck, um die Korrekturen zu machen.

 

Heck-Ruder

 

 

Parallel zu Kiellinie Daumen nach oben Seitwärtsschlag

 

Das Paddel wird zum Heck des Bootes geführt und dann mit senkrechtem Paddelblatt (Blatt, nicht Schaft!) parallel zur Kiellinie gehalten (Bild 3a). Wenn ihr den Daumen der Griffhand ausstreckt (Bild 3b), dann sollte er bei richtiger Haltung des Paddels nach oben zeigen. Beschleunigt das Boot mit einem Grundschlag und lasst euch dann mal ein Stück treiben und fühlt, welche Kräfte auf das Paddel wirken, wenn es als Heck-Ruder genutzt wird. Wenn man das Paddel mit einem kleinen Abstand zum Boot führt, kann man sich leicht zum Paddel hinziehen oder davon wegdrücken und so leichte Kurven in beide Richtungen fahren. Das bietet sich immer dann, wenn man nicht schneller werden möchte und trotzdem Kurven fahren möchte. Z.B. beim Anlegen.
 

Heck-Hebel

 

 

     

 

Der Heckhebel sieht dem Heck-Ruder sehr ähnlich und der Daumen zeigt auch in die gleiche Richtung. Der große Unterschied ist, dass der Paddelschaft an den Süllrand angelegt wird. Wenn wir jetzt mit der Griffhand Richtung Bootsmitte ziehen, hebeln wir das Paddel über den Süllrand. Das Paddel sollte dabei, wenn es am Heck angekommen ist, einen kleinen, aber kräftigen Impuls nach außen geben.  Versucht darauf zu achten, dass die Bewegung nicht zu groß wird, um das Boot nicht unnötig zu bremsen. Ihr werdet feststellen, dass das eine sehr kräftige Korrektur ist, die demensprechend viel im Wildwasser verwendet wird.
 

J-Schlag

 

Griffhand nach vorne (Foto: 5a) Griffhand (Foto: 5b) Nach außen drücken (Foto: 5c)

 

Oh, über den J-Schlag kann man lange diskutieren und viele Variationen machen. Hier ist reichlich Potenzial für umfangreiche Diskussionen. :-)
Grundsätzlich wird beim J-Schlag die Griffhand so nach vorne gedreht, dass der ausgestreckte Daumen nach unten zeigt (Bild 5a & 5b). Dadurch sollte das Paddelblatt wieder senkrecht und parallel zur Kiellinie im Wasser stehen (Bild 5c). Jetzt kann das Paddelblatt nach außen gedrückt werden, um die Drehung des Bootes zu korrigieren. Das kann ohne Kontakt zum Boot geschehen ober ebenfalls mit einer leichten Hebelbewegung (was man in den Bildern sieht) über den Süllrand. Wie beim Heck-Hebel sollte die Korrekturbewegung nach außen möglichst klein sein. Unter günstigen Bedingungen kann die Drehung des Paddels als Korrektur schon reichen, um geradeaus zu fahren und man spart sich die Drückbewegung am Ende des Schlages. Wenn das gelingt, dann kann man mit dem J-Schlag entspannt und flott paddeln, was ihn zum passenden Schlag für viele Touren macht. Experimentiert an einem windstillen Tag mal damit, wie schnell ihr die Drehung des Paddels macht und an welcher Position das Paddel gedreht wird.

 


Diesen Artikel sowie weitere Touren, Beiträge und Themen findest du im KANU-SPORT 4/2022:

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