16. März 2023

Ganz entspannt mal nicht die Beste sein

Jutta Kaiser (Fotograf: Michael Neumann)

Die Serie „Kanuten und Kanutinnen im Porträt“ widmet sich den Menschen im Freizeit- und Leistungssport. Den Autorinnen und Fotografen, den Herstellerinnen und Veranstaltern sowie dem besonders gewöhnlichen Paddlerinnen und Paddlern. In diesem Beitrag stellen wir Jutta Kaiser vor. Wer den Namen hört, verbindet ihn auch bei ein wenig Wissen um die Szene schnell mit Kanu-Freestyle.

Kein Wunder, schließlich hat sich die heute 45-Jährige während ihrer Leistungssportkarriere genau in dieser Disziplin einen Namen gemacht. Bis 2008 sammelte die Weltmeisterin (2005), Europameisterin (2004) und achtfache Deutsche Meisterin (1998, 2000, 2001, 2002, 2003, 2005, 2006, 2008) fleißig Medaillen. Etwas weniger bekannt ist, dass die ehemalige Freestyle Paddlerin heute Geschäftsführerin der Paddle People GmbH und damit die treibende Kraft hinter der Marke für Sicherheitszubehör °hf ist.

Jutta Kaiser ist die treibende Kraft hinter der Marke für Sicherheitszubehör °hf.

Der Paddelsport hat immer einen sehr großen Teil in ihrem Leben eigenommen. Über zehn Jahre gab es für sie nichts anderes als das Eskimotieren, das Aufspringen auf eine Welle, das Carven und unzählig viele Tricks wie "Loops", "Space Godzillas", "Cleenwheels", „Aerial Blunt“, „Helix“ oder „Phoenix Monkey“ und wie sie alle heißen. „Ich bin oft um fünf Uhr aufgestanden, damit ich schon um sechs Uhr morgens, bevor die Surfer da waren, in München auf der Eisbachwelle am Haus der Kunst trainieren konnte“, berichtet Jutta Kaiser aus ihrer aktivsten Zeit. Dabei zeigte sie Selbstdisziplin. Die Sportwissenschaftlerin entwickelte einen auf sich selbst abgestimmten Trainingsplan und beurteilte ihre Leistungen mit selbst gedrehten Videos, da sie oft alleine an den Playspots unterwegs war. „‘Mitleid‘ für das harte Programm und den unermüdlichen Einsatz ist nicht nötig  – schließlich weiß sie, dass sie durch viel Glück zur rechten Zeit am rechten Ort war und dadurch den Luxus hatte, nach ihrem Studium der Sportwissenschaften ihr Hobby in Vollzeit auszuüben und (auch dadurch, dass sie viele Kurse gab) davon zu leben. „Freestyle erlebte damals seine Hochzeit als junge, neue Disziplin. Die Hersteller investierten stark in neue Boote und ich hatte das Glück, dass ich durch meine langjährige Wildwassererfahrung eine gute Basis hatte, um schnell zu lernen.“

Die eigenen Grenzen ausloten, ständig dazulernen
und neue Ziele erreichen war für Jutta Kaiser die Besonderheit am Freestyle-Fahren.

Das Wildwasser. Während vieles in Jutta Kaisers Leben von Zufällen, neuen Kontakten und Wechseln beeinflusst wird, ist dies scheinbar die einzige Konstante, an der die Aachenerin beharrlich festhält. „Wie viele, die aus einer sportlichen Familie kommen, habe ich im Boot gesessen, bevor ich laufen konnte“, erzählt Jutta Kaiser. In den Anfangsjahren ging es mit den Eltern und dem Verein an die Wildwasserflüsse der nahegelegenen Region und an bekannte Ziele in den Alpen. Später machte sie auch mit Erstbefahrungen wie z.B. des Rio Torrentoso in Patagonien von sich zu sprechen. Eine Liste mit „ToDo-Flüssen“ hatte sie nicht. „Der Pegelstand war gut, wir hatten Zeit, los ging es“, erzählt sie von ihrer Erstbefahrung des Rio Torrentoso in Chile. Hauptsache Wildwasser fahren. „Schweres Wildwasser fahren hat für mich natürlich immer seinen Reiz gehabt“, sagt Jutta Kaiser.

"Wenn wir in Norwegen an einem hohen Wasserfall standen, konnte ich auch gut sagen: ‚ich trage um‘."

„Doch die eigenen Grenzen ausloten, ständig dazulernen und immer neue Ziele erreichen, das war für mich das Besondere beim Freestyle-Fahren.“ Damit meint die 45 -Jährige, dass sie sich beim Spielen in den Wellen „austoben“ konnte, so dass sie im Wildwasser nicht mehr Risiko eingehen wollte. „Wenn wir in Norwegen waren und mal wieder an einem hohen Wasserfall standen, den andere aus der Gruppe fuhren, konnte ich auch gut sagen: ‚ich trage um‘.“ Damals war Sicherheit sicher ein Thema, aber nicht beruflicher Dreh- und Angelpunkt, so wie heute. Daher lag es bei Entscheidungen „machen oder nicht machen“ mehr daran, dass die Weltmeisterin entspannt damit umgehen konnte, nicht die Beste und Stärkste zu sein.


Sicherheit war schon früh ein, aber nicht DAS Thema

Kajaksport zu Leben ist für Jutta Kaiser wichtiger als die Befahrung extremster Strecken.

„Als Frau paddelst du den Männern ohnehin hinterher“, urteilt Jutta Kaiser. „Allein von den körperlichen Voraussetzungen wirst du nie so viel Kraft ins Paddel legen können wie ein Mann.“ Vielleicht ein Grund, warum Jutta Kaiser heute, wenn sie als Geschäftsführerin von Paddle People nach Sponsoring gefragt wird, mehr auf die Einstellung zum Paddeln schaut als nur auf die Leistung. „Für mich ist es wichtiger, dass jemand den Kajaksport intensiv lebt und auch andere mit seiner Begeisterung anstecken kann, als die Befahrung von schwersten Strecken.“ Sie selber hat oft genug bei hf° kajaksport – damals noch dem Namen entsprechend unter der Leitung von Horst Fürsattel – anrufen müssen, weil wieder irgendetwas beschädigt, zerstört oder mysteriös verschollen war. Der langjährige Kontakt zu dem bekannten Kajakfahrer und Kletterer führte zum nächsten und besonders einschneidenden Zufall in Jutta Kaisers Leben. „Ich habe hier mal wieder Glück gehabt. Nachdem ich meine Karriere beendet hatte, da gerade mein erster Sohn geboren war, fragte mich Horst, ob ich hf° übernehmen möchte.“

"Ich habe hier mal wieder Glück gehabt."

Die Freestyle-Fahrerin sagte zu und stellte sich, wie sie rückblickend urteilt, der größten Herausforderung in ihrem Leben. „Die Übernahme einer Firma und gleichzeitig eine junge Familie zu haben, ist ein Spagat, der dich an deine Grenzen bringt“, erzählt sie. „Ich tanzte ununterbrochen zwischen Baby, Windeln, Kundengesprächen und permanent wechselnden Aufgabengebieten. „hf° war und ist Marktführer in Sachen Wurfsäcke, doch das Thema Sicherheit beim Paddeln ist viel umfassender.“ So wird das Produktsortiment ständig weiterentwickelt, natürlich unter der Leitung der Freestyle-Meisterin selber. „Das mache ich nicht ganz alleine“, schränkt Jutta Kaiser direkt ein. Zusammen mit Experten aus dem Seekajakbereich  und der SUP Szene sind in den letzten Jahren immer wieder neue °hf  Produkte entwickelt worden. „Dass bei hf° das Thema Seekajak größer wird,  liegt auch daran, dass Paddle People durch meine Ehe mit Joel Scott (langjähriger Slalompaddler im Team GB) nicht nur in Aachen, sondern auch in Nottingham ansässig ist. „Die Seekajakszene ist in Großbritannien viel größer und da konnte ich viel Neues dazu lernen.“

Jutta Kaiser gibt ihre Begeisterung für das Paddeln an ihren Nachwuchs weiter.

Rund fünf Jahre lang blieb zwischen Unternehmen und Familie vor allem das Wildwasserpaddeln auf der Strecke. Doch als wichtige Konstante in ihrem Leben war es nur eine Frage der Zeit, bis sich wieder die Gelegenheit finden sollte. So ist sie jetzt gemeinsam mit ihrer Familie wieder im Wildwasser angekommen. „Natürlich ist es anders als vorher. Die ausgedehnten Reisen, um an entlegenen Flecken überall auf der Welt Flüsse zu befahren, wurden abgelöst von Fahrten in die klassischen Paddelreviere, wo sich das Paddeln mit Beruf und Familie verbinden lässt.“ Das kann zum einen sein, dass sie gemeinsam mit Paddle People an die Soča fährt. Oder dass sie an Ostern mit ihren mittlerweile zwei Söhnen an der Ardèche Urlaub macht. „Meinen Ältesten bekomme ich mit seinen sieben Jahren kaum aus dem Boot heraus. Der ‚Kleine‘ mit vier Jahren sitzt vorne im Boot“, sagt Jutta Kaiser. „Es ist toll zu sehen, dass nicht nur ich von meinem Vater die Begeisterung für Schwälle und Kehrwasser übernommen habe, sondern dass ich diese gemeinsam mit Joel auch an unsere Kinder weitergebe.“ 

   

 

 


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