14. April 2021

Gefahren und Prävention im Tourensport

Fotos: Gabriele Koch und Christian Zicke

Auch im Wandersport lauern Gefahren. Wer sich mit dem Material sowie den Techniken beschäftigt und sich die Gefahren bewusst macht, der kann den Sport über Jahrzehnte unfallfrei und sicher betreiben. Kanulehrer Christian Zicke von Outdoordirekt vermittelt Sicherheitswissen in Sachen Touring.

Von Christian Zicke, Outdoordirekt
Fotos: Gabriele Koch

 

Gefahren auf kleinen und mittleren Wander- und Tourenflüssen
 

Wehre

Die größte Gefahr auf Tourenflüssen sind von Menschen geschaffen. Auf kleinen und mittelgroßen Flüssen haben wir es vor allem mit Wehranlagen zu tun. Hier ereignen sich immer wieder gefährliche Unfälle. Selten begeben sich dabei erfahrene Tourenpaddler in Gefahr, viel häufiger trifft es Paddler ohne Erfahrung und ohne Ausbildung durch erfahrene Paddelkameraden oder Fortbildungen in Vereinen oder Kanuschulen.
Dabei ist die Gefahr erst einmal ganz einfach zu umgehen. Auf nahezu jedem deutschen Fluss stehen vor Wehren Warnschilder. Wenn man diese beachtet und sein Kajak an gegebener Stelle aus dem Wasser nimmt und umträgt, ist man auf der sicheren Seite. Das Problem fängt an, wenn zum Beispiel der Fluss keinen normalen Wasserstand aufweist. Bei Hochwasser verschwinden potentielle Anlegestellen und die Fließgeschwindigkeit zieht teilweise recht schnell in eine Wehranlage hinein.
Oft werden Wehre aber auch einfach unterschätzt. So hat man mal gesehen, wie jemand, trotz Warnschild, ein Wehr hinuntergepaddelt ist. Vielleicht handelte es sich dabei um ein zwei oder drei Meter hohes Schrägwehr. Das sieht oft spektakulär aus, ist aber häufig relativ harmlos. Ein fünfzig Zentimeter hohes Steilwehr mit Tosbecken hingegen kann tödlich sein, ohne das es besonders spektakulär aussieht. Durch die Bauart des so genannten Kastenwehres wird ein Schwimmer immer wieder im Tosbecken umher gespült, ein Entkommen ist oftmals nur mit Hilfe von außen und Wurfsack möglich. Grundsätzlich gilt es Wehre zu umtragen (erst recht, wenn man keine Ahnung hat).

   

Bäume und Büsche

Eine weitere Gefahr, vor allem auf kleineren Wanderflüssen, sind Büsche und Bäume in der Strömung. Vor allem wenn der Fluss nach einem kleinen Kiesbankschwall Fahrt aufnimmt und im Auslauf eine Kurve beschreibt, in dessen Außenkurve sich Bäume, Sträucher und Äste befinden. Ein erfahrener Paddler dreht schon bei der Anfahrt die Bootsspitze in die Innenkurve und entgeht so dem Baum in der Außenkurve. Unerfahrene Paddler fahren in der Regel mit dem Wasser und werden dann quer in den Verhau getrieben. Aus Reflex kantet man das Kajak vom Hindernis weg, was die Sachlage nur verschlimmert. Denn dann kann die Strömung auf das Oberschiff (beim Kajak) oder in die Luke (beim Kanadier) drücken und man wird erst recht gegen das Hindernis gedrückt. Oftmals greifen unerfahrene Paddler noch nach den Ästen und Zweigen was dazu führt, dass man selbst zwar anhält, das Boot aber trotzdem durch die Strömung weiterfährt. Die einzige Möglichkeit jedoch, heile durch eine solche Situation zu kommen ist es, sich klein zu machen und das Kajak möglichst nicht vom Ufer weg zu kanten. Ist es möglich, sollte man sogar zum Ufer hin kanten um das anströmende Wasser unter dem Kajak hindurchfließen zu lassen. Ist die Kurve nicht zu stark, wird man im besten Fall am Busch vorbei flussab gedrückt.

   

Strömung/ Bootsrutschen

Oftmals sehen wir bei uns an der Ruhr unerfahrene Paddler, die an einem völlig ruhigen Stück ihre Kanus, Schwimmwesten etc. von Verleihern ausgehändigt bekommen. Kaum jemand glaubt, dass er die Schwimmweste an einem schönen sonnigen Tag wirklich benötigt. Doch schon nach dreißig Metern folgt die erste Bootsrutsche. Bootsrutschen werden oft dort installiert, wo reges Paddeln herrscht. Im Auslauf der wilden Rutschen ist die Kenterquote bei unerfahrenen Paddlern enorm hoch, da dort die Strömung auf nahezu stehendes Wasser trifft. Man könnte auch sagen, dass das stehende Wasser im Auslauf ein ganz langsames, riesiges Kehrwasser bildet. Oft reagieren die Paddler dann völlig falsch, wenn zum Beispiel der voll besetzte Kanadier oder das Kajak unwillkürlich und, aus Sicht der Paddler völlig unfreiwillig, aus der Strömung in das Kehrwasser fährt. Dies geschieht, sobald die Gegenströmung die Bootsspitze ergreift. Da viele Paddler nicht wissen, was mit ihnen geschieht, folgen sie automatisch der Fliehkraft und lehnen sich in die Außenkurve. Dadurch wird die Kenterung beschleunigt. Jetzt treiben dort in der Regel ein Kanadier, vier Paddel, vier Paddler, vier Schwimmwesten und eine Kühlbox im Kehrwasser. Und die für den Laien kaum sichtbare Strömung ist so unerwartet stark, dass man all seine Kraft aufwenden muss, um sicher an Land zu gelangen - vor allem wenn man keine Ahnung von Strömungsschwimmen hat. Hätte man eine Weste an, wäre man schon deutlich entspannter, da man beide Arme frei hätte und schon einmal mit dem Bergen der Kühlbox beginnen könnte. An sonnigen Sommertagen stehen bei uns in Hattingen an der Ruhr Retter von der DLRG, die auch allerhand zu tun haben. Weiter unterhalb gibt es noch eine weitere, kräftige Stromschnelle, den Isenberg-Schwall. Hier steht in der Regel kein Retter. Oft trainieren wir hier mit unseren Wildwasser-Neulingen und konnten schon einige Male beobachten, wie nach einer Kenterung geschockte Kanadier-Besatzungen den Tag für beendet erklären und Kanadier wie Paddel einfach am Ufer liegen gelassen werden während sich die Besatzung ein Taxi ruft. Nicht nur dass es auf relativ ruhigen Wanderflüssen unerwartet starke Strömungen und Verschneidungen gibt - unbeabsichtigtes Kentern in unerwartet starker Strömung kann einem Novizen auch den Spaß am Paddeln nachhaltig verhageln.
Neben den Strömungen, die an Bootsrutschen entstehen, bergen die künstlichen Einbauten noch weitere Gefahren. So sind einige Rutschen aus so genannten Spundbohlen gebaut. Ein Kajak oder Kanadier kann in diese mit der Spitze einfädeln und es kann zu Beschädigungen oder gar zu Klemmunfällen kommen. Genauso problematisch sind breite Fugen in Betonbootsrutschen. Wer eine Bootsrutsche befährt, sollte sein Boot auf moderater Geschwindigkeit und mit Steuerschlägen mittig in der Rutsche halten.

 

 

Entfernung zum Ufer

 

Als Großgewässer zähle ich alle Gewässer, bei denen man nach einer Kenterung nicht wieder schnell an Land ist, sein Boot ausleeren und weiter paddeln kann. Das können Seen (Gardasee, Bodensee), Meere aber auch große Flüsse sein, wie etwa der Rhein. Kajaks, die auf einem solchen Gewässer unterwegs sind, müssen einige wichtige Eigenschaften aufweisen. Sie müssen unsinkbar und lenzbar sein. Im Idealfall sind diese Kajaks mit Schottwänden versehen, so dass nur das Cockpit voll Wasser laufen kann. So bleibt das Kajak immer so weit über Wasser, dass man mit Hilfe des Paddelpartners oder selbständig wieder ins Kajak gelangen kann. Den Wiedereinstieg erleichtern die Decks- oder Rundumleinen. An diesen kann der Partner das Kajak halten und auch der Schwimmer hat die Möglichkeit, das Boot zu greifen und schnell wieder ins Kajak zu gelangen. Über diese wichtigen Eigenschaften verfügen viele aktuelle Tourenkajaks. Diese wurden nach und nach von Seekajaks adaptiert. Immer häufiger trifft man auf großen Flüssen und Binnenseen aber auch rassige Seekajaks vor. Das liegt daran, dass lange Tourenkajaks und Seekajaks gar nicht mehr so richtig von einander zu trennen sind und immer mehr Zwitter auf den Markt gelangen. Seekajaks haben oftmals den Vorteil, dass sie komplett für alle Rettungsmanöver ausgestattet sind, nebenbei noch schneller und schicker sind als ihre etwas pummeligen Tourenkajak-Geschwister und sich auf großen Gewässern mehr Vor- als Nachteile ergeben.
Gerade bei niedrigen Wassertemperaturen ist der Weg zum Ufer auf Großgewässer oftmals zu lang. Deshalb ist der Wiedereinstieg und das richtige Sportgerät unabdingbar.

 

 

Schiffe

Schiffe spielen auf Großgewässern eine nicht zu unterschätzende Rolle. Da ich selbst viel auf dem Meer unterwegs bin, wo ich an Hafeneinfahrten oder ausgetonnten Fahrwassern immer wieder mit der potentiellen Gefahr konfrontiert werde, bin ich auch auf Binnenseen für andere Wasserfahrzeuge sensibilisiert. So sind wir oft auf dem Rursee in der Eifel unterwegs. Hier wunder ich mich ständig, wie wenig passiert. Denn neben zahlreichen Segelbooten, SUPs, Kanadier und Kajaks fährt dort die weiße Flotte von Anleger zu Anleger. Oftmals kommt sie mit einem Affenzahn ums Eck. Da wir unsere Teilnehmer am Rursee in der Regel auf das Paddeln auf dem Meer vorbereiten wollen, disziplinieren wir sie schon am Rursee. So sammeln wir uns vor einer Querung des Sees und fahren gemeinsam im Pulk auf die andere Seite. Das mag hier nicht unbedingt nötig sein, schult aber ab dem ersten Paddeltag die Aufmerksamkeit. Denn an unübersichtlichen Schifffahrtswegen ist es später wichtig, dass wir als Kajakfahrer zusammenbleiben und für die Berufsschifffahrt ein einziges, großes und kalkulierbares Objekt mit einer Fahrtrichtung ausmachen. Einzelt zerstreut sind wir für den Kapitän oft kaum zu sehen, außerdem weiß dieser kaum, wen er anpeilen und wem er ausweichen soll was er eigentlich auch gar nicht muss. Das Gleiche gilt übrigens auch bei einer Rhein-Querung.
Am Rhein kommt erschwerend hinzu, dass wir die Großschiffahrt oftmals unterschätzen. Ein unbeladener Schuber der flussab unterwegs ist, ist oftmals schneller als erwartet. Ein ständiger Blick nach hinten ist somit Pflicht. Manch einer paddelt auf Schifffahrtsstraßen sogar mit Fahrrad-Rückspiegeln…

 

 

Wetter

Nicht zu unterschätzen ist der Faktor Wetter. Einmal an der Weser sind wir mit einer Schulklasse unterwegs gewesen, als es hinter den sanften Hügeln des Weserberglandes angefangen hat zu grummeln. In nächsten Moment hat der Blitz ganz in unserer Nähe eingeschlagen. Wir haben uns wirklich sehr erschrocken, sind aus den Booten gesprungen und haben das Gewitter in der Hocke am Ufer abgewartet. Auf großen Seen ist noch mehr Voraussicht gefragt. Denn mitten auf dem See ist ein Gewitter enorm gefährlich und man gelangt nicht mal eben schnell ans Ufer. Mit dem Gewitter kann es auch zu lokalen Stürmen, eisigem Regen und Temperaturstürzen kommen.
Besonders an Bergseen, in Steilküstenbereichen, kann es zu lokalen thermischen Winden kommen. Zum Beispiel wurden wir auf dem Gardasee mal an der steilen Westküste von kühlen Fallwinden mit Geschwindigkeiten von ca. 8Bft überrascht. Unterfahrene Paddler können dann schon ins Straucheln geraten. Eine gute Ausrüstung und ein sicherer Wiedereinstieg sind Pflicht.
Da das Wetter, gerade im Gebirge und am Meer sehr schwer vorhersehbar ist, sollte man auf die bestmöglichen Wetterdaten zurückgreifen. Wir nutzen überwiegend die App „Windy“ (die rote???). Hier können wir auf einen Blick fünf Wettermodelle vergleichen, zudem Wind und Wellen abgleichen. Durch die Vergleichen-Funktion bekommt man einen guten Überblick und kann eine Quersumme ziehen. Heißt, wenn drei von vier Wetterberichte Sturm oder Gewitter vorhersagen, ist die Chance groß, dass es auch so eintritt. Trotzdem sollte man natürlich das Wetter und die Wolken im Blick behalten.

 

 

Fazit:

Man sieht: auch im Wandersport lauern Gefahren. Das unterstreichen auch die zahlreichen Unfälle besonders auf einfachen Gewässern. Wer sich aber mit seinem Material auseinandersetzt, mit den wichtigsten Techniken beschäftigt und sich vor allem auch die Gefahren bewusst macht, der kann den Sport über Jahrzehnte unfallfrei und sicher betreiben. Wenn wir bei unseren Ausbildungen zum EPP auf die Gefahren und die nötigen Sicherheits- und Rettungsgeräte hinweisen, wird es in der Runde der Kajak-Novizen immer ganz still. Manchmal bekommen wir auch gesagt, dass dieser Theorie-Teil jetzt ein bisschen auf die Stimmung gedrückt hat. Ich kann das verstehen, möchte aber trotzdem nicht darauf verzichten auf die Gefahren hinzuweisen. Denn nur dann können Unfälle vermieden und vielleicht sogar mal aktiv bei einem Unfall geholfen werden.

 


Über Outdoordirekt

Seit 2003 gibt es die Kanuschule Outdoordirekt. Anfangs noch aktiv als Kanu- und Outdoorschule, haben sich Nadja und Christian Zicke seit 2011 dem Kanusport verschrieben. Seitem ist das professionelle Kursprogramm immer weiter ausgebaut worden. Das kleine Team ausgewählter Kanulehrer, das Christian und Nadja bei den Kursen und Reisen unterstützt, besteht aus professionellen Sportlern und Expeditionisten.

Nadja und Christian können zusammen nicht nur auf unzählige Stunden Erfahrung im Wildwasser- und Seekajak zurückgreifen, sie sind seit 1998 auch regelmäßig mit Kanuschülern unterwegs. Von Anfang an zählten für beide der Spaß und die Freude am Vermitteln des Kajaksports ebenso wie die professionellen Lehrinhalte und das didaktisch immer weiter optimierte Schulungskonzept. Durch die viele Erfahrung fällt es den beiden leicht, Kanuschüler-orientiert ihr Wissen zu vermitteln oder bereits vorhandene Fehler auf Anhieb zu erkennen und diese durch gezieltes Üben auszumerzen.

Das kleine Team ausgewählter Kanulehrer, das Christian und Nadja bei den Kursen und Reisen unterstützt, besteht aus professionellen Sportlern und Expeditionisten. Doch das allein macht keinen guten Lehrer aus. Deshalb durchlaufen unsere Kanulehrer eine intensive Ausbildung bei uns im Betrieb. Außerdem muss jeder Kanulehrer sein didaktisches Geschick in einer oder mehreren Hospitationen unter Beweis stellen, bevor er bei uns schult.

Weil das Lernen in lockerer Atmosphäre und in kleinen Gruppen das Allerwichtigste ist, wird das Verhältnis von Kanulehrer zu Schüler dem jeweiligen Kursgebiet angepasst, es ist aber nie höher als 1:6. So setzt Outdoordirekt hohe Standards in den Bereichen "Sicherheit" und "Lern-Intensität".


Weitere Infos und Kursangebote auf www.outdoordirekt.de

 


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KANU-SPORT 04/2020
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