01. Februar 2024

Seekajaktouren in Südgrönland – erschreckend schön

Abenteuer Südgrönland - Kajak, Gletschereis und Möwengeschrei

Zwei mal 200 Kilometer Paddelabenteuer durch arktische Einsamkeit und eine Erkenntnis
Mein erster Besuch in Grönland war Ende August 2010. Ich kam von den Aland-Inseln, 14 Tage Sonnenschein-Paddeln lagen hinter mir. Am Frankfurter Flughafen kaufte ich mir noch Urlaubslektüre: Hummeldumm von Tommy Jaud. Seine Beobachtungen während einer Gruppenreise – in Namibia. Irgendwie passend, fand ich, auch wenn die Himmelsrichtung nicht so ganz stimmte.

Von Lutz Müller, Club Aktiv (Text und Fotos)

 

Am Ende der Tour: Das eingelöste Nordlichtversprechen

Voller Erwartung stiegen wir  – das waren zwölf unterschiedliche Leute aus verschiedenen Teilen Deutschlands – in Frankfurt in das Flugzeug. Zwischenstopp in Reykjavìk, wir übernachteten in der Hauptstadt Islands. Die Stadtansichten wirkten etwas skurril, kleine bunte Holzhäuser neben postmodernen Bankgebäuden. Das Abendessen nahmen wir in einem kleinen Lokal in der Innenstadt ein. Auf der Speisekarte stand Walfleisch, in Island nichts Besonderes, denn in Island gehört der Walfang (noch) zur Tradition. Vor nicht allzu langer Zeit sicherte die Jagd auf Wale das Überleben der Isländer auf der Insel aus Feuer und Eis.
Am nächsten Morgen flogen wir weiter. Der Flug über das Inlandeis steigerte die Vorfreude. Gletscherweiß soweit das Auge reichte. Wir landeten in Narsasuaq, einer ehemaligen Airbase der Amerikaner im Kalten Krieg. Eisberge neben der Rollbahn. Wir waren in Grönland.


Ankunft in Grönland

Wir wurden mit dem Speedboot vom Flughafen nach Narsaq gefahren. Dort wartete Jytte auf uns, eine Dänin mit grönländischen Wurzeln. Sie lebte im Sommer in Grönland, im Winter in Norwegen. Jytte sprach mindestens fünf Sprachen, war von zierlicher Statur und unser Kayakguide für die nächsten 15 Tage. Und sie war, das stellten wir ziemlich schnell fest, tough, sehr tough.
Wir starteten zwischen Eisbergen in Narsaq, paddelten an Eisbergen vorbei. Was für ein Anblick! Genau so hatten wir uns Grönland vorgestellt. Das Wasser war eisig, vielleicht 8°C. Da mochte niemand reinfallen oder gar baden. Wirklich niemand?
Wir fuhren los mit unseren Einer- und Doppelkajaks, graue Felsen vor, blauweißes Eis neben uns. Abstand halten zu den Eisbergen, ermahnte uns Jytte immer wieder,  auch wenn es verlockend war, direkt heran zu paddeln. Eisberge sind gefährlich, wie wir bald selbst feststellen konnten. Blitzschnell drehten sie sich, vielleicht ein kurzes Krachen vorab, dann wälzte sich der Berg durch das glatte Wasser und produzierte eine höhere oder flachere Welle.
Eisberge bewegen sich, immer, stehen niemals still, schmelzen, gluckern, tropfen, schillern, blenden, ändern die Farbe. Wir erlagen schnell der Magie des Eises. Farbig schillernd, mal glasklar, mal milchtrüb, voller Luftblasen, mal himmelblau, türkis glänzend, dann schwarz bemehlt. Formen, die sich niemand ausdenken kann, Formen und Farben, eine Symphonie für die Sinne in Eis-Dur.


Der Kartoffelacker

Während wir langsam Richtung Meer paddelten, veränderte sich langsam die Landschaft. Es wurde grüner. Die Berge waren nicht mehr ganz so schroff. Nach zwei Tagen übernachteten wir an einer Jägerhütte. Die Sonne warf lange Schatten mit unserem Lavvuu-Zelt. Wir zelteten, kaum zu glauben, an einem Kartoffelacker, in the middle of nowhere. Die Hütte wurde noch genutzt, und „dank“ des Klimawandels versuchte man hier in der Arktis, Kartoffeln auf einem Acker anzubauen. Jedenfalls nannte unser Guide die in steinigen Boden gezogenen Furchen so – Acker.

Ein schöner Tag beginnt mit Cappuccino und Milchschaum vor Gletscher.

Abends im milden Licht der Spätsommersonne, stiegen wir auf den „Hausberg“ und hatten eine fantastische Rund-um-Sicht. Und freien Blick auf den aufziehenden Seenebel, der in Windeseile den engen Fjord hochzog.
Am nächsten Tag mussten wir die Boote durch sumpfiges Gelände tragen. Zum Glück hatten wir Gummistiefel dabei, die allerdings mit einem vernehmbaren Glucksen auch mal im Morast stecken blieben. Das gab dann nasse Socken. Nach ein paar Metern konnten wir wieder in die Kajaks steigen, eine Seenkette breitete sich vor uns aus. Wieder ein Stück tragen, dann paddeln. Und endlich hatten wir das Meer erreicht.
Am Abend kam dann noch ein Urgetüm zum Vorschein. Alle dachten, das Wasser wäre kalt. War es auch. Aber, nennen wir ihn Manfred, zog sich splitternackt aus und ging schwimmen. SCHWIMMEN! Denn Manfred war Winterschwimmer, für ihn war das Wasser hier gerade richtig.

"Alle dachten, das Wasser wäre kalt. War es auch. Aber, nennen wir ihn Manfred, zog sich splitternackt aus und ging schwimmen.
SCHWIMMEN!"

 

   


Am Inlandeis

Wir waren auf dem Weg zum Inlandeis. Zwei Tage trübes Wetter und jetzt Nieselregen, kaum Sicht. Plötzlich tauchte aus dem Dunst ein Strand auf, der aussah wie eine Mondlandschaft. „Hier war noch vor wenigen Jahren das Eis“, erklärte Jytte diese bizarre Landschaft aus Sand, kleinen Rinnsalen und fast pflanzenlos. Hier sollte unser nächster Halt sein, ein Basislager für Wandergruppen und frische Lebensmittel zum nachbunkern. Als wir den Hang erklommen, tauchten im Nieselregen spacige Iglus vor uns auf, so eigentümlich wie diese Landschaft. Bevölkert von Menschen, Wandernde eines Veranstalters machten hier Station. Wandernde aus aller Herren Länder, ein buntes Sprachgemisch umsummte uns. Und Jytte hielt Smalltalk, mal auf Dänisch, auf Spanisch, auf Englisch, Französisch und Deutsch mit uns.
Der nächste Tag war als Ruhetag vorgesehen. Draußen fiel der Nieselregen, drinnen in den Plastikiglus die Tropfen von den Wänden. Kondenswasser aus Atemluft und feuchter Kleidung tropfte Wandernden und Paddelnden auf die Köpfe. Draußen im Lavvuu versuchten wir derweil unsere Sachen zu trocknen, mit Benzinkocher und darauf erhitzten Steinen. Nicht seht effektiv, aber wir hatten etwas zu tun. 
Irgendwann unternahmen wir einem Gang zu den Seen oberhalb des Basecamps. Die Landschaft wirkte etwas unheimlich, schemenhaft, und in der Kargheit blühten in all dem Grau kleine, lila bunte Arktische Weidenröschen, die grönländische Nationalblume. Unter uns lag ein See – und am Ufer ästen Rentiere. Vorsichtig schlichen wir näher, soweit man das in diesem offenen Gelände überhaupt konnte. Wir beobachteten die Tiere und lauschten ihrer grunzenden Unterhaltung. Als wir anfingen zu frieren schlichen wir so leise wie möglich zum Lager zurück, um uns beim Abendessen aufzuwärmen.


Eispaddeln

Seekajakfahren zwischen Eisbergen.

Ich wachte mitten in der hellen Nacht von einem Grummeln auf. „Mist, ein Gewitter“ dachte ich bei mir. Ein Gewitter ohne Blitz und Sturm? Nein! Es war das Eis des Gletschers, das  in der nächtlichen Stille arbeitete. Nachts hörte sich  das Schaben auf dem Stein, das tosende Kalben des Gletschers sehr intensiv, wie ein Donnern, an. 
Am nächsten Morgen dann, offenbarte sich die ganze Schönheit dieser arktischen Landschaft. Vor uns leuchtete das Inlandeis in zartem Blau mit weißen Häubchen. Der Regen und das Himmelgrau waren wie weggeblasen, stattdessen Windstille und strahlender Sonnenschein.
Wir stiegen in die Kajaks und bahnten uns unseren Zickzackweg entlang der Eisberge. Vor uns wuchs  eine Gletscherwand des Qaleragdlitsermia aus dem Meer. Steiler, immer steiler ragte sie empor. Möwen kreischten, mit lautem Knall brachen riesige Eiswände ab, deren Eisschlamm sich in sanften Wellen auf dem Wasser wogte. Jedes Mal, wenn ein Eisbrocken aus dem Gletscher brach, stiegen hunderte von Möwen auf um sich sofort ins Wasser zu stürzen. Frische Beute wurde durch den Aufprall des Eises an die Meeresoberfläche gespült. Von wegen, Natur ist ruhig. Wir landeten an einem anderen Mondstrand an. Eisblöcke lagen wie große Juwelen am Strand verstreut, glitzerten, funkelten, schmolzen dahin. Die nächste Flut nimmt die Reste mit in Richtung Meer.
Wir stiegen, mit unserer kenntnisreichen Führerin, auf das Inlandeis. Eine riesige Eisfläche breitete sich vor uns aus. Tiefe Spalten dazwischen, gefüllt mit grauem Ruß aus Amerika oder aus weiter entfernten Regionen kommend, hatte sich hier niedergeschlagen. Trotzdem war es ein überwältigender Anblick. In der Pause gab es Schiffszwieback, Wurst und Käse auf die Faust, dazu eine Dose Fisch und warmen Tee aus der Thermoskanne. Auf einer Scholle trieb eine Robbe vorbei, sonnte sich und nahm kaum Notiz von uns. 
Nach der Pause fuhren wir noch dichter an den Gletscher heran, bahnten uns mit den Kajaks knarzend unseren Weg durch Eisschlamm, fuhren Slalom um Eisbrocken herum. Vor uns glitzerte in der strahlenden Sonne das Eis wie Diamanten. Möwen standen auf einem Bein, schwangen sich kreischend kurz in die klare Luft und setzten sich wieder ein paar Meter weiter entfernt. Wir konnten einfach nicht genug bekommen von all dem Glanz, dem Getöse, dem Licht und der klaren Luft. Diesen Tag werde ich nicht mehr vergessen. Immer, wenn ich an etwas Schönes denken will, denke ich an diesen strahlend hellen, mit Eisbergen verzierten Tag zurück.


Am Ende war die Reise noch nicht zu Ende

Unsere Reiseleiterin Jytte vor unserem ersten Wasserfall.

Irgendwann sollte auch diese Reise zu Ende gehen. Wir hatten unterwegs Tiere beobachtet, Rentiere, Robben, ein Rentierkalb, dass orientierungslos (so schien es uns) umher irrte. Wir entdeckten Skier unter einem dicken Felsen eingeklemmt, Rentierschädel, Adler und Möwenkolonien. Wir fingen Fische, streunten durch ein altes Inuit-Gräberfeld und machten in einem ehemaligen Sommerlager der Inuit Rast. Wir fotografierten Blumen, sammelten Beeren und Pilze, brieten sie in der Pfanne auf unseren Kochern. Wir genossen das einfache Leben inmitten dieser großartigen Natur.
Eine Sache fehlte uns allerdings noch. Als es bei der Reiseplanung darum ging, zu welcher Zeit wir fahren sollten, hieß es von unserem grönländischen Kajakverleiher, Ende August/Anfang September wäre eine gute Zeit, dann könnten wir vielleicht sogar Nordlichter sehen. Doch bisher waren keine Nordlichter zu bestaunen gewesen.
Für den letzten Abend kauften wir zum Grillen ein: Narwalhaut, Robbenfleisch, Hammelfleisch und Lachs. Für uns exotische grönländische Spezialitäten, auf Grönland sind sie eher alltägliche Kost. Dazu erstanden wir noch etwas Gemüse für Salat. Im Supermarkt gab es alles, vom Fernseher bis zur Paprikaschote, Angelhaken in allen Größen im hunderter Pack, Gewehrmunition zwischen Motoröl und Gaskartuschen, bewacht von Boris Becker mit einem Bauchladen voller Marken-Batterien.
Das Abendessen war ungewohnt, aber schmackhaft. Bei der Narwalhaut allerdings gingen die Meinungen auseinander. Da Robbenfleisch von Natur aus sehr dunkel ist, mussten wir aufpassen, dass es nicht auf dem Grill verkohlte. Es war gegen 23 Uhr, als Jytte ins Haus hereinstürzte. “Nun aber los“ rief sie aufgeregt mit dänischem Akzent, und alle wussten sofort Bescheid, also rein in die Jacke und nach Draußen. Dort war es fast dunkel und über uns glomm das versprochene Sommer-Nordlicht, zart, grün wabernd, vergleichsweise klein, aber in seiner ganzen überwältigenden Schönheit.
 

 

 


Zeitsprung ins Jahr 2019
 

 

 

"Dann fahren wir zum 'großen' Gletscher, zu den kahlen Felsen und den Eiszungen, die nur noch ins Meer entwässern - für mich ein trauriger, nachdenklich machender Anblick. "

Neun Jahre später führt mich wieder eine Tour nach Südgrönland. Die Jahre dazwischen hatten andere Guides die Gruppen begleitet. Dieses Mal macht Birgit Fischer die Reiseleitung. Die Weltmeisterin und Olympiasiegerin hat aber nicht nur eine exzellente Paddeltechnik, sondern verfügt auch über viel praktische Erfahrung in arktischen Gewässern und ist Spezialistin für perfekte Übernachtungsplätze.
Der erste Eindruck nach unserer Landung in Narsasuaq: Ist das warm. Etwa 20° C dürften wir haben, im Schatten wohlgemerkt. Abkühlung bringt dann aber die Speedboat-Fahrt nach Narsaq. Wir kommen dort gegen Abend an, übernachten in einem Hostel. „Aber wo“, so frage ich mich auf meinem Bett liegend, „sind die Eisberge während der Bootsfahrt gewesen?“


Paddeln durch die Einsamkeit

Der nächste Morgen, wir laufen zu unserer Einsetzstelle am Strand, wo unser Gepäck schon wartet. Wir bepacken Boote mit Zelt, Kocher, Lebensmitteln für gut eine Woche, Schlafsack, Isomatte, unser persönliches Gepäck, auf ein mögliches Minimum zusammengespart. Doch bevor wir richtig starten, rein in die Trockenanzüge und  Birgit gibt eine ausführliche Sicherheitseinweisung („Mindestens 50 Meter Abstand zu größeren Eisbergen“).  Die Gruppe dreht noch eine Proberunde zwischen den wenigen, dümpelnden Eisbrocken. „Kein Vergleich zu meiner ersten Tour, keine großen Eisberge, kein überwältigender Anblick“ denke ich mit Verwunderung im Stillen.
Die nächsten Tage fahren wir durch arktische Natur. Keine Straßen, nur einmal ein Haus, keine Menschenseele. Wir paddeln durch karge Landschaften, holen Wasser aus Seen und Wasserfällen, suchen uns perfekte Lagerplätze und genießen das einfache Outdoor-Leben. Es werden Fische gefangen, gebraten, geräuchert oder lecker in einer Fischsuppe gegart. Die Wochentage entschwinden – Dienstag, Samstag, Sonntag? Wer weiß das schon – wir sind in eine andere, zeitlose, Welt abgetaucht.

Unsere Reiseleiterin Jytte vor unserem ersten Wasserfall.

Der Gletscher

Bisher haben wir einen Regentag mit Wind gehabt. Ansonsten viel Sonne, wenig Wind, teilweise spiegelglattes Wasser. Der Boden ist trocken, es hat seit Wochen nicht geregnet. Nach einer guten Woche nähern wir uns dem Gletscher Qaleragdlitsermia. In meiner Erinnerung eine massige Eiswand, Eisbrocken brachen ab, Möwen schrien, Seehunde trieben auf Schollen vorbei. So war es vor neun Jahren, als ich zum ersten Mal hier war.
Damals schob sich der Gletscher langsam um die Kurve. Aber heute: welcher Gletscher? Es sind nackte Felsen. Der Gletscher ist mittlerweile auf mehrere kleine Zungen zusammengeschmolzen − und diese berühren nur noch an einer Stelle knapp das Meer. Keine laut brechenden Eisberge, keine schreienden Möwen, kein ruhender Seehund, der auf einer Scholle vorbei treibt. Nur Stille. Und stilles Entsetzen in mir.  Es ist nur neun Jahre her, dass ich hier vor der eindrucksvollen Kulisse paddelte. Erschreckend deutlich sehe ich hier, wie schnell der Klimawandel in Grönland seine verheerende Wirkung zeigt.
Wir schlagen für zwei Nächte unser Lager an einem Nebengletscher auf. Nachts hören wir wieder das „Gewittergrollen“, der Gletscher arbeitet. Unwirkliche Geräusche. Tags paddeln wir zwischen Eisbergen des Nebengletschers, immerhin, dieser kalbt noch. Dann fahren wir zu dem „großen“ Gletscher, zu den kahlen Felsen und den Eiszungen, die nur noch ins Meer entwässern - für mich ein trauriger, nachdenklich machender Anblick.
Am nächsten Morgen am Strand hat jemand riesige Edelsteine ausgekippt. In ihren skurrilen Formen bricht sich das Licht der tief stehenden Sonne in funkelnden Farben. Fotografieren ist angesagt, aus allen erdenklichen Posen. Das Licht und die Stimmung festhalten, diesen Augenblick … bevor das Meer die dahin schmelzenden Kunstwerke wieder mit sich nimmt.

   


Zurück nach Narsaq

"Aufgrund der Gefahr, dass der Gletscher kalbt und riesige Eismassen ins Wasser fallen, sollte man nicht bis an die Eiswand paddeln, sondern Abstand halten."

Irgendwer hat dann doch wieder einen Überblick über die Zeit bekommen. Wir müssen nach Narsaq zurück. Langsam. Denn es warten noch zwei fantastische, einsame Plätze auf uns, wo wir jeweils zwei Nächte bleiben. Wir unternehmen noch einen Tagesausflug in einen Fjord, an deren Ende sich ein kleiner Gletscher ins Meer entwässert. Imposanter ist die steile Felswand und es ist unmöglich die Entfernung dorthin abzuschätzen. Sind es ein, zwei oder drei Kilometer bis zu den Felsen? Es sind noch zehn!
Wir unternehmen auch noch unseren Tagesausflug durch Eismassen, die an unserem letzten Lagerplatz vorbeiziehen, oder teilweise durch Ebbe und Flut an den Strand gespült werden..
Auf dem weiteren Rückweg nach Narsaq suchen wir uns unseren Weg durch ein Labyrinth von Eisbergen, größeren und kleinen. Wieder wird unsere Fantasie angeregt, Skulpturen, Fabelwesen, Lichtbrechungen, ein Rausch für die Sinne. Fasziniert umkreisen wir einen besonders schönen Eisberg mit unseren Kajaks und lassen sogar einmal Birgits eindringliche Warnung außer Acht. Nachdem wir uns satt gesehen, alle Fotos gemacht haben, paddeln wir weiter. Und kaum sind wir weg, dreht sich der Eisberg vernehmlich mit bedrohlichem Getöse.

 

Vergleich Qaleragdlitsermia-Gletscher 2010 und 2019


Blut

Unter dem Knirschen unserer Boote legen wir am Strand nahe Narsaq an und sind zurück in der Zivilisation. Das Gepäck wird abgeholt. Wir gehen in unser Gästehaus. Abends wird gemeinsam in der engen Küche des Gästehauses gekocht. Ich schneide Gemüse, lege mein scharfes Messer beiseite, drehe mich um. Und spüre einen Schmerz im rechten Fuß. Das Blut spritzt in einem halben Meter Umkreis. Das Messer habe ich wohl beim Umdrehen vom Tisch gezogen. Schnell ist die Wunde notdürftig verbunden. In Narsaq gibt es ein Krankenhaus. Ohne Tatütata werde ich dorthin im Jeep des Gästehauses gefahren, obwohl dieses eigentlich nur ein paar Schritte entfernt vom Krankenhaus liegt. Das Krankenhaus ist nicht supermodern, macht aber einen vertrauenerweckenden Eindruck. Die dänische Krankenschwester spricht Englisch und ist sehr freundlich, klärt mich auf, dass die Kosten vom dänischen Staat übernommen werden. Von der Krankenkarte macht sie vorsichtshalber doch eine Kopie. Ein älterer Arzt aus Kopenhagen, der hier im Sommer einige Monate Freiwilligendienst leistet, schaut sich die Wunde an, desinfiziert und näht sie – ohne Betäubung – mit drei Stichen.

Abendstimmung im Fjord, Eisbrocken schwimmen vorbei

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Rückkehr mit Tücken

Am nächsten Tag warten wir auf dem Flugplatz auf unsere Maschine. Es wird Verspätung angesagt. Und dann der Flug abgesagt. Wir müssen noch einmal auf Grönland übernachten, im Hotel, das überfüllt mit Flugreisenden ist, unsere Gruppe auf zwei Räume verteilt. 
Das bedeutet aber auch, dass die ganze Rückfahrt umorganisiert werden muss. Das Hotel in Kopenhagen umbuchen, die Zugfahrt von Kopenhagen nach Hamburg neu buchen. Aber hier gibt es WLAN und einen bezahlbaren Internetanschluss. Und dank der Bahn-App ist es kein Problem, auch für dreizehn Leute eine Rückfahrt zu buchen.
Es gibt mir aber auch Zeit, die Reise Revue passieren zu lassen:
Was macht die „Faszination Grönland“ aus? Ist es die karge Natur, der blanker Fels, das wenige Grün, das funkelnde Eis? Es gibt zwischendurch keine Siedlung, keinen Laden, keine Souvenirbuden. „Du kannst das ganze Boot voller Geldscheine haben, es nutzt dir gar nichts“ geht mir durch den Kopf. Du kannst unterwegs nichts kaufen. Was du nicht dabei hast, hast du nicht oder musst improvisieren. KEIN HANDYEMPFANG! Nachdem der Sendemast von Narsaq außer Sicht ist, ist das Handy tot. TDD – Total Digital Detox.
Dafür aber können wir ungewohnte, grenzenlose Freiheit genießen, die Gruppe ist auf sich gestellt, jede/r TeilnehmerIn wird wichtig.
Aber was für ein krasser Unterschied zu 2010. Selten sind wir wirklich allein, der Bootsverkehr mit kleinen Motorbooten hat stark zugenommen. Ja, es ist immer noch die Arktis, das Wetter bleibt vergleichsweise rau und unberechenbar. Aber diese Tour ist insgesamt sehr mild gewesen, nur ein Tag mit ein paar kleinen Nieselschauern. Das Moos und die Erde spröde, ausgetrocknet. Das massive Abschmelzen des Inlandeises ist schockierend. 2019 ist das erste Jahr, in dem das gesamte grönländische Inlandeis angetaut ist. Die Eismasse schmilzt rasant. Schon rechnen große, internationale Minengesellschaften aus, wann sie mit dem Heben der Bodenschätze im grönländischen Inland beginnen können. Goldgräberstimmung liegt in Grönland in der Luft.
Ob dann diese Faszination noch weiterhin existiert? Vielleicht noch als Oase zwischen Schaufelbaggern und Abraumhalden? Ich hoffe nicht, dass es so kommen wird, sondern Grönland noch möglichst viel von seiner Ursprünglichkeit, seinen Sitten und Traditionen bewahrt. Allerdings frage ich mich, ob wir, als nachhaltiger Veranstalter, noch mit Gästen nach Grönland fahren sollen.

 


Anmerkung: Club Aktiv ist zertifiziert für umweltbewussten, nachhaltigen und sozialverträglichen Tourismus.
 

 

Über Club Aktiv

 

Entdecke beim Paddeln auf dem Meer oder in einem Kajak auf dem Fjord die Kraft der Ruhe. Kanu fahren mit Club Aktiv bedeutet, den Stress aus Büro und Alltag ganz weit hinter sich zu lassen und das Leben aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Denn ein Paddelurlaub ist kein Wettrennen: Mit Club Aktiv kannst Du beim Kajak fahren in aller Ruhe die Natur genießen und den Blick über das Wasser und die wunderschönen Küstenlandschaften schweifen lassen. Doch natürlich wird auf unseren Seekajakreisen nicht nur gepaddelt: Zwischen den einzelnen Etappen nehmen wir uns ausreichend Zeit für Pausen, zum Relaxen und Schwimmen. Und am Abend kannst Du die Erlebnisse des Tages in geselliger Runde noch einmal Revue passieren lassen.

Kontakt
Club Aktiv - eine Marke der Wir.Reisen eG
Donnerschweer Str. 33, D-26123 Oldenburg
Telefon: +49(0)441-98 49 812
Website: www.club-aktiv.de

 

 

Vor der Paddeltour steht die Planung


Hinweis der Redaktion

In den Tourenberichten stellen wir unabhängig von einem aktuellen Bezug besonders schöne oder abwechslungsreiche Paddelstrecken aus Deutschland vor. Die dort beschreibenenen Bedingungen, Befahrungsregeln, Zugangsmöglichkeiten etc. können unter Umständen nicht mehr den aktuellen Bedingungen vor Ort entsprechen!
Bitte plant jede Tour Gewässer vor Fahrtantritt sorgfältig!
Zunächst wird dabei das Paddelrevier ausgewählt. Dort muss es für alle Mitfahrer Gewässer und Abschnitte geben, die in ihrem Können entsprechen. Bei der näheren Planung wählt man dann ein bestimmtes Gewässer und dort einen genauen Abschnitt aus, sucht sich die passenden Ein- und Ausstiegspunkte und informiert sich über aktuelle Befahrungsregelungen, das Wetter, die Pegelstände (z.B.: Wildwasser), die Gezeitenverläufe (z.B.: Nordsee) und eventuelle Gefahren  (z.B.: Wehre).
Wichtig ist es dann vor Ort vorm eigentlichen Fahrtbeginn zu überprüfen, ob die Planungen im Vorfeld mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmen und eine Fahrt problemlos begonnen werden kann. Sollte dies nicht der Fall sein müssen eventuell noch Änderungen vorgenommen werden oder sogar die Fahrt abgesagt werden. Bei der Planung sollten unbedingt auch Fragen der Nachhaltigkeit geklärt werden.



Online-Übersicht der Befahrungsregelungen:

In allen Bundensländern gelten an einigen Flüssen, Bächen und Seen sowie an der Küste bestimmte Einschränkungen (BV = Befahrungsverbot, UV = Uferbetretungsverbot) für Paddler. Sie sollen das Gewässer sowie die Pflanzen und Tiere in ihnen oder in der Umgebung schützen. Befahrungsregeln dienen bei größeren Wasserstraßen auch zur Erhöhung der Sicherheit aller Wassersportler.
 


Die Aufstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Bitte informieren Sie sich bei den Sportkameraden vor Ort oder bei den zuständigen Naturschutzbehörden, bevor Sie eine fremde Strecke befahren.
 

 

 

 


 

 

 


Diesen Artikel sowie weitere Touren, Beiträge und Themen findest du im KANU SPORT 1/2021:

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