Von Christian Dingenotto
So macht die Beherrschung dieser unter dem Sammelbegriff Seemannschaft gemachten Fähigkeiten auch erst den Seekajakfahrer und den wirklichen Unterschied zu einem gut ausgebildeten Tourenpaddler aus:
Aber wozu braucht man das alles? Ein Unterschied zum Verhalten im Wildwasser ist es, dass potentielle Gefahren nicht so schnell als solche erkennbar sind oder erst zu Gefahren werden, wenn sich z.B. bei auflaufendem Wasser innerhalb von 30 Minuten Brandungswellen über Sandbänken bilden, die für Ungeübte schnell zu einem hohen Kenterrisiko werden. Daher sollen die o.g. Begriffe der Reihe nach kurz umschrieben werden.
Dies ist, abhängig von den Seegebieten, sehr unterschiedlich.
Im Norddeutschen Wattenmeer gehören eine Seekarte und ein Tidenkalender zum Handwerkszeug. Manchmal (besonders in Nordfriesland) ist auch ein Strömungsatlas vonnöten. Hiermit kann eine Route so geplant werden, dass gefahrlos im Hafen eingestiegen werden kann, wenn noch ausreichend Wasser vorhanden ist, Wattflächen nur dann überfahren werden, bevor sich Brandungswellen aufbauen und Naturschutzgebiete (z.B. Robbenschutzgebiete) beachtet werden. Auch die Schiffahrtswege und Fahrwasser (Paddler sollten immer NEBEN den Fahrwassern fahren) und Priele sind verzeichnet. Besonders zwischen den Inseln ist die Strömung sehr unterschiedlich, ist aber nicht als solche immer erkennbar. Landmarken und Seezeichen dienen dann dem Fahrtenleiter als Anzeichen aus welcher Richtung die Strömung kommt und wie stark die Abdrift ist - besonders wichtig bei einer Seilfähre zw. den Inseln. Bei Tidenkipp (Wechsel von Ebbe zu Flut oder umgekehrt) ist unter Umständen mit einem Wechsel der Windverhältnisse zu rechnen.
Auf der Ostsee hingegen ist man in der Regel mit topografischen Karten (1:25.000 oder 1:50.000) besser bedient. Die Landschaft hat stärkere Merkmale (unterschiedlichste Küstenlinien und auch Steilküsten) die eine Orientierung einfacher machen. Vorteilhaft in den deutschen Seegebieten ist es dass die Schiffahrtsstraßen meist sehr gut gekennzeichnet sind. So dass man diese zwar aufmerksam aber auch sehr sicher von Seezeichen zu Seezeichen queren kann. Dies ist in anderen Seegebieten (z.B. Mittelmeer) nicht so. Wenn für einen die norddeutschen Küsten mit ihren Sänden und dem Wattenmeer „Normalzustand“ ist, ist es häufig nicht im Bewusstsein, dass außerhalb Deutschlands Felsküsten überwiegen. Auch hier ist man dann mit topografischen Karten häufig besser beraten. Vor allem in Großbritannien, Irland und der Bretagne gibt es z.T. sehr detaillierte Führer für Seekajakfahrer, die eine gute Grundlage zur Tourenvorbereitung bieten.
Neben den genannten spezifischen Fähigkeiten für die Orientierung auf See gehören natürlich auch noch das klassische „Pfadfinder-Wissen“ der Landnavigation wie Einnorden einer Karte, Fahren auf Kompass-Kurs, Bestimmen der eigenen Position (sogenannte Kreuzpeilung), etc. zum Handwerkszeug des Seekajakfahrers.
Gilt es vor allem auf der Nordsee, wenn man schneller strömenden Prielen folgt, dass die gerade Route nicht der beste Weg ist, ist in allen Seegebieten der Wind und die Windrichtung entscheidend. Ein konstanter Seitenwind kann recht kräftezehrend sein. Im sogenannten taktischen Fahren geht es darum, Wind, Strömung und Kurs miteinander so zu kombinieren, dass man möglichst effizient und kräfteschonend fährt. Auch wird der Wind selbst zwischen den flachen ostfriesischen Inseln abgelenkt und „ändert“ so die Richtung. Da ist der schnellste Weg schon mal eine Kurve und führt die Gruppe eher durch ruhiges als durch „Kabbelwasser“.
Mittlerweile sind für die Windvorhersage sehr gute Apps verfügbar. Hier haben sich auch im Seekajaksport die Surfer-Apps Windguru oder Windfinder etabliert. Ich persönlich glaube, es ist Geschmackssache wem welche App besser gefällt. Sie sind auch in der kostenlosen Basisversion völlig ausreichend. Geschmackssache ist auch die Maßeinheit ob Meter / Sekunde oder das „seemännischere“ Beaufort ist gleich. Wichtig, dass man sich unter der jeweiligen Angabe vorstellen kann was, es für einen selbst heißt und die Gruppe sich auf eine Einheit einigte.
Auch auf See gibt es Verkehrsregeln - im Wesentlichen festgehalten in der Seeschifffahrtsstraßen-Ordnung (SeeSchStrO) und in den Kollisionsverhütungsregeln (KVR). Die Schiffahrtswege sind auf den Seekarten selbst genauso ausgewiesen wie auf See (in Form von Seezeichen, sogenannten Tonnen). Dabei ist zu bedenken, dass ausgetonnte Schiffahrtsrouten ungleich dem Straßenverkehr nur eine Empfehlung sind, sich als Schiff innerhalb der Fahrwassermarkierungen aufzuhalten.
Auch wenn der Seekajaker laut Verkehrsregeln Vorfahrt hätte, sollte man IMMER ausweichen und sich außerhalb der Fahrwasser bewegen. " |
Auch wenn er in bestimmten Situationen sogar laut Verkehrsregeln Vorfahrt hätte, sollte man als Seekajakfahrer IMMER ausweichen und sich außerhalb der Fahrwasser bewegen. Er ist beinahe von jedem anderen Schiff aus fast unsichtbar, die Bremswege der Verkehrsteilnehmer sind viel länger und ein Seekajak ist in der Regel zerbrechlicher als jeder Schiffsrumpf und jede Schiffsschraube. Ein kleiner Hinweis sei noch gestattet für Touren in europäischen Seegebieten und vor allem auch im Mittelmeer. Meiner Erfahrung nach sind die wenigsten Fahrwasser dort betonnt, d.h. innerhalb eine mehreren Kilometer breiten Bucht ist die Route eines Frachters oder Kreuzfahrtschiffs nicht berechenbar, ein Ausweichen ist daher nicht immer einfach. Entweder ist es am sichersten eine solche Bucht auszufahren, oder mit einem Smartphone eine der zahlreichen Apps zu nutzen, mit denen sich der örtliche Schiffsverkehr seine Fahrtrichtung identifizieren lässt, beispielsweise FindShip (kostenlos) oder Marine Traffic (kostenpflichtig).
Zurück zu den deutschen Küstengebieten: Hier bewegen wir uns als Kajakfahrer häufig in Nationalparks oder Naturreservaten. Für diese gibt es zum Schutz der besonderen Flora und Fauna spezielle Schutzzonen und Befahrungsregeln, die unbedingt einzuhalten sind und zumindest für die Nordsee in den aktuellen Seekarten verzeichnet sind.
Wer noch nicht auf See war, unterschätzt häufig diesen Punkt: Ein entspannter Wortwechsel zwischen Paddlern ist auf See ab einer Windstärke von 3 Bft und mehr selten möglich. So haben sich einige Handzeichen im Seekajaksport etabliert:
Als Signalmittel sollte jeder Paddler mindestens eine Pfeife dabei haben, am besten so an der Schwimmweste befestigt, dass er sie benutzen kann ohne die Hände vom Paddel nehmen zu müssen.
Ein Fahrtenleiter sollte generell ein Seefunkgerät und eine Funklizenz besitzen. Experimente in Ostfriesland haben gezeigt, dass dort die Reichweite der Funkgeräte nur sehr eingeschränkt ist. Andererseits ist dort die Netzabdeckung von Mobilfunk in der Regel recht gut. So dass auf deutschen Gewässern eine wasserdichtes Handy oder ein wasserdicht verpacktes Smartphone schon fast zur Grundausstattung zumindest für Fahrtenleiter gehören sollte. Hinzu kommt noch, dass die DGZRS mit SafeTrx eine sehr gute App herausgebracht hat, über die man sowohl einen Seenotruf mit GPS-Koordinaten absetzen kann als auch „ganz normal“ seine Tour von der DGZRS tracken lassen kann. Sie könnte dann von sich aus eingreifen, wenn das Verhalten der Seekajakfahrer anhand der GPS-Daten unerwartet erscheint.
Des Weiteren empfehlen sich in internationalen Kajakrevieren mit einer weniger guten Infrastruktur spezielle kleine Endgeräte wie die sogenannten „Seenotsignalbaken“ (PLB) oder GPS-Tracker wie den Spot-Tracker, über den auch ein Seenotsignal ausgelöst werden kann.
Da generell viele Eindrücke auf Teilnehmer einströmen – wurden vor allem von der angloamerikanischen Seekajakszene Protokolle bzw. Merkworte wie ABCDE-and me, CLAP, Mama und SAFE entwickeln, die es den Einzelnen mitunter leichter machen sich adäquat zu verhalten wenn es mal darauf ankommt. Diese haben sich mittlerweile auch im deutschen Seekajaksport bewährt.
Kommt bei Flusstouren dem Fahrtenleiter eher die Rolle des Organisators einer Tour zu, so verhält sich das beim Seekajakfahren (und auch beim Wildwasserfahren) anders. Im Gefahrenfall hat er relativ schnell ein Haftungsrisiko doch auch im normalen Tourenverlauf ist er „Führungskraft“ und die Teilnehmer erwarten von ihm entsprechende Kompetenzen und Entscheidungen. Dies ist für viele eine ungewohnte Situation und ein entsprechendes Training im Rahmen eines EPP 4 oder EPP 5 Kurses Küste kann nur empfohlen werden.
Um diese Grundhaltungen in der konkreten jeweiligen Situation auch wirklich abrufen zu können, unterstützen Protokolle wie ABCDE-and me, CLAP, Mama und SAFE. Sie helfen, sich selbst und die Gruppe zu sortieren.
FazitIch habe versucht eine grobe Vorstellung von Seemannschaft im Seekajakfahren zu vermitteln. Da wir uns (ähnlich dem Bergsteigen oder dem Wildwasserfahren) in einem potentiell gefährlichen Umfeld bewegen, ist hier mehr zu bedenken. Doch hat man erst mal Blut bzw. Salzwasser geleckt, ergibt sich vieles von selbst, und Angebote des DKV oder anderer Seekajakverbände und -schulen machen den Einstieg so leicht wie möglich – ein Freitag der 13. so wie oben geschildert findet dann nicht statt. |
KANU-SPORT 8/2018 |