12. Oktober 2023

Alles noch dicht?

Paddeln im Herbst (Quelle: Pixabay)

Was muss Paddelkleidung alles leisten? Ganz klar – „wasserdicht“ wäre von Vorteil. Das Themenspecial zeigt, was moderne Funktionsbekleidung für Kanuten heute zusätzlich leistet, zeigt, dass der Unterschied zwischen 2,5 und 3 Lagen Membran nicht Jacke wie Hose ist, und stellt die neuesten Modelle vor, die euch aus den (Funktions-)socken hauen werden!

Kleider machen Paddler. Das bedeutet (noch) nicht, dass man jegliche Kenntnisse von Paddeltechniken in dem Moment vergisst, wenn man die Paddelkleidung nicht akribisch an Revier und Wetterbedingungen angepasst hat. Wenngleich - wundern würde es kaum, denn die Branche kämpft mit immer neuen futuristisch anmutenden Namen und Produktbeschreibungen um die Gunst der unbedarften Paddler- und Freiluftfans.
Was ist denn wirklich nötig, um sich in einem Kanu aufhalten zu dürfen? Prinzipiell und bei entsprechenden Wetteraussichten tut es natürlich Jeans und T-Shirt. Doch diejenigen, die häufiger auf den Wasser zu finden sind, wissen die Vorteile von Funktionsbekleidung zu schätzen.
Als Funktionstextilien bezeichnet man Bekleidung aus Fasern, Garnen, Geweben und Gewirken bzw. Stoffen mit funktionellem Mehrwert. Um einen Überblick über die hochtechnischen und spezialisierten Produkte zu bekommen und um entscheiden zu können, welche Bekleidungskombination beim nächsten Paddelausflug die geeignete ist, ist zweierlei nötig: Materialkunde und ein gesundes Maß an Selbsteinschätzung.
Dazu haben wir eine Checkliste (oben rechts) zusammengestellt, die dabei unterstützt, den Überblick im Bekleidungsdschungel zu bewahren und sich darauf zu konzentrieren, was man wirklich braucht. Je nach Einsatzzweck kann Funktionskleidung in unterschiedlichem Maße die folgenden Eigenschaften haben. Welche Funktion Paddeljacke, - hose oder Trockenanzug besonders gut erfüllen müssen, entscheiden die persönlichen Ansprüche.

  • Wasserdicht
  • Atmungsaktiv
  • Diverses: thermoregulierend, winddicht, schmutzabweisend, antimikrobiell, flammhemmend, UV-beständig, elektrisch abschirmend, elastisch, strapazierfähig, pflegeleicht, chemikalienresistent, leicht

 

Normen müssen her: Wassersäule und Atmungsaktivität

 

Wasserdichtigkeit und Atmungsaktivität sind naturgemäß die wichtigsten Funktionen jeglicher Paddelbekleidung. Gemessen werden beide Werte in den Kennwerten Wassersäule und Atmungsaktivität. Was bedeutet das genau?

Wassersäule

 

Die Wassersäule ist eine Maßeinheit, die den Widerstandes von Stoffen gegen das Durchdringen von Wasser bestimmt. Sie besagt also, wie viel Millimeter Wasser aufgeschichtet werden kann, bis der Druck so hoch ist, dass Wasser durch den Stoff gedrückt wird.

Um diese zu ermitteln, werden 10cm² eines Stoffs unter einem Messzylinder (=Säule) aufgespannt und der Zylinder anschließend mit Wasser gefüllt. Die Höhe des eingefüllten Wassers ist die Wassersäule. Ab einer Wassersäule von 1.300 mm darf bereits von einem wasserdichten Stoff gesprochen werden. Moderne Paddelbekleidung hat je nach Ausführung eine Wassersäule zwischen 23.000 und 28.000 mm. Das ist auch gut so, weil beim Paddeln schnell starker Druck auf einzelne Partien entstehen kann. Beispielsweise bei Hosen durch Knien oder Sitzen.
Die Wassersäule bezieht sich allerdings immer nur auf den verwendete Stoff. Sind die Nähte nicht verschweisst, können Wassertropfen durch die Nähte eindringen

 

 

Wassersäule

Je höher die Wassersäule, desto wasserdichter das Gewebe. Was sagen mm Wassersäule aus?

 

> 20.000 mm Outdoorbekleidung
16.000 - 20.000 mm Starker bis sehr starker Regen
4.800 mm Druck auf Stoff durch Hacken entspricht
4.000 mm Wasserdicht laut EMPA, Schweiz
2.000 mm Auf feuchtem Untergrund sitzen
1.300 mm Wasserdicht, Klasse 3

 

 

 

Logisch, dass der Paddler sich Paddelbekleidung mit einer möglichst hohen Wassersäule wünscht. Wäre dies das einzige Kriterium für Paddelbekleidung, wäre die „Einkaufswelt“ wunderbar aufgeräumt wie frisch nach einer Inventur. Das Problem ist, dass eine höhere Wasserundurchlässigkeit die Wasserdampfdurchlässigkeit einschränkt. Problem deshalb, weil ein aktiver - also zum Beispiel paddelnder - Mensch Energie erzeugt Etwa 20% dieser Energie wandelt der Körper in mechanische Arbeitsleistung, der große Rest wird in Form von Wärme abgegeben. Um diese Wärme zu kompensieren, besitzt der menschliche Körper rund zwei bis drei Millionen Schweißdrüsen auf der Haut. Bei extremer Anstrengung oder bei sehr hohen Temperaturen kann bis zu zwei Liter Schweiß pro Stunde zusammenkommen.
Früher setzten Bergsteiger und Landarbeiter auf natürliche Materialien. Bis weit ins 19. Jahrhundert waren gefettete Lederjacken und Mäntel der einzige Schutz gegen die Nässe von außen. Von Atmungsaktivität war das weit entfernt. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts kamen dann erstmals Regenjacken aus Gummi auf. Diese waren zu 100 Prozent wasserdicht, allerdings von außen und innen gleichermaßen – Wasserdampfdurchlässigkeit Fehlanzeige.
Seit einigen Jahren macht deshalb ein zweiter Begriff der Wassersäule Konkurrenz und bringt Unruhe in die einst so aufgeräumte Paddelbekleidungslandschaft: die Atmungsaktivität.

 

Atmungsaktivität

 

Gemeint ist eigentlich die Dampfdurchlässigkeit. Diese lässt sich exakt messen, und zwar über den MVTR- (Moisture Vapor Transmission Rate) Wert. Der bezeichnet in Gramm (g) den Wasserdampf je Quadratmeter (m²) Oberfläche über einen Zeitraum von 24 Stunden: bei einer Atmungsaktivität 5.000 können also innerhalb eines Tages 5.000g Wasserdampf über einen Quadratmeter der Textilie entweichen. Ab 10.000g/m²/24h gilt eine Membran als sehr atmungsaktiv.


Das klingt zunächst simpel. Problematisch ist:

  • Es gibt nicht das eine Messverfahren, das eine zuverlässige Vergleichbarkeit zwischen zwei Materialien herstellt.
    • Ursachen: Materialvielfalt und die Laborbedingungen, die je nach Test unterschiedlich sind. (z.B.: Die einen ahmen trockenen Winter, andere schwülwarmen Sommer nach.)
  • Die Angaben zur Atmungsaktivität beziehen sich stets nur auf die Membran selbst und nicht auf das fertige Textil. Verarbeitung, Innen- und Außenmaterial, Imprägnierung, Nahtverläufe usw. beeinflussen die Atmungsaktivität enorm.
  • Auch subjektives Empfinden, weitere Belüftungsmöglichkeiten und vor allem das Wetter und die vorhandene Luftfeuchtigkeit spielen eine entscheidende Rolle.

 

 

Angaben zur Atmungsaktivität sind schwer zu bewerten. Kurz zusammengefasst: Es kommt auf das persönliche Schwitzverhalten, den Grad der Aktivität und die Außentemperatur an – und natürlich auf die weitere Bekleidung. Da muss leider jeder für sich die beste Variante finden.

 

 

 

Wie man sich leicht vorstellen kann, verläuft der Prozess der Atmungsaktivität (bei einer wasserdichten Paddeljacke) nicht so schnell wie das Durchtreten einer Flüssigkeit durch einen nicht wasserdichten Stoff (zum Beispiel Neopren): Wir erzeugen länger Feuchtigkeit, die verdampfen und nach und nach austreten muss...
Daher bedeutet eine wasserdichte Jacke, die atmungsaktiv ist, nicht, dass wir nie verschwitzt sein werden. Das heißt nur, dass der Stoff beim Abbau der Feuchtigkeit hilft und es nicht zu schwerwiegenden Problemen kommt. Ein wichtiger Aspekt, den es bei der Wahl der passenden Bekleidung zu berücksichtigen gilt.
Wenn es um Atmungsaktivität geht, dann kommt auch ganz schnell das Thema „Lagen“ ins Spiel. Warum? Membranen sind die technische Lösung, um Wasserdichtigkeit und Atmungsaktivität zu kombinieren. Dabei muss man bedenken, dass es sich um eine Innenkomponente handelt, die gerade mal 0,01 mm dick ist. Um sie verwenden zu können, muss man sie laminieren, d.h. sie wird zwischen eine äußere Schutzschicht und eine innere Schicht eingefügt. Es macht einen Unterschied, wie exakt Memabrane in die Stoffe eingefügt werden, um Kleidungsstücke herzustellen. Um den verschiedenen Einsatzanforderungen gerecht zu werden, verarbeitet man Membranen außerdem mit verschiedenen Trägermaterialien. So lassen sich entweder besonders leichte und dünne oder auch robuste und belastbare Textilien fertigen. Grundsätzlich kann man grob sagen, dass mehrere Lagen die Dichtigkeit und Atmungsaktivität erhöhen, eine Jacke jedoch auch schwerer und damit unbeweglicher machen.

Atmung durch Osmose

Membran-Technologien ermöglichen Materialien, die wasserdicht sind und dennoch Schweiß nach außen entweichen lassen. Dampfdurchlässigen Materialien machen sich den Umstand zunutze, dass es in der Jacke in der Regel wärmer ist als außerhalb. Durch dieses Temperaturgefälle entsteht ein (Dampf-)Druckgefälle, welches dafür sorgt, dass Feuchtigkeit von innen nach außen wandert. Die Diffusion des Wasserdampfs durch die Membran beruht also auf dem Prinzip der Osmose.

Solange also der Wasserdampfgehalt auf der Innenseite der Jacke höher ist als auf der Außenseite, funktioniert dieses Prinzip ohne Probleme. Ab Temperaturen von ca. 15°C aufwärts – vor allem bei hoher Luftfeuchtigkeit (schwül-warmes Wetter oder in den Tropen) – nimmt die Wasserdampfdurchlässigkeit und damit die Atmungsaktivität von innen nach außen immer weiter ab oder kehrt sich womöglich um. 
 

Welche Membranarten gibt es?

Offenzellige – mikroporöse – Membranen

  1. Mikroporöse Membrane sind, wie es der Name schon sagt: porös, also mit mikroskopisch kleinen Poren überzogen. Diese Löcher sind so klein, dass in diese keine Wassertropfen eindringen können. Wasserdampfmoleküle, die etwa 200 mal kleiner sind, können dennoch nach außen entweichen. Beispiele: Membranen von Gore-Tex oder eVent.
  2. Geschlossenzellige Membranen
    Bei geschlossenzelligen Membranen bestehen aus einem hydrophoben (wasserabweisenden) Polyester- und einem hydrophilen (wasseranziehenden) Polyetheranteil. Die Feuchtigkeit lagert sich zunächst auf der Innenseite der Jacke an, bis die Membran leicht anquillt und die Wasserdampfmoleküle schließlich huckepack nach außen transportiert werden können. Diese Membrane gelten zwar als robuster, funktionieren doch nur mit einer gewissen Zeitverzögerung. Beispiel: Sympatex


 

Übersicht über verschiedene Laminate:

   


2-Lagen-Laminat
Die 2-Lagen-Konstruktion besitzt eine mikroporöse Membran, die auf ein schützendes Obermaterial laminiert und dadadurch zu einem 2-Lagen(stoff)-Laminat verbunden wird. Von innen wird die Membran durch ein separates Futter geschützt, das ­lose in der Jacke hängt und den direkten Kontakt mit dem Funktionsstoff verhindert, der mit der Zeit aufgrund der Kondensation feucht werden könnte. Das ist meist die günstigste und leichteste Variante.

2,5-Lagen-Laminat

Zusätzlich zur 2-Lagen-Konstruktion wird bei 2,5 Lagen-Stoffen von innen an die Membran eine Schutzschicht – meist eine fettabweisende Substanz oder Karbon – angebracht, die ein Netzfutter im Bekleidungsstück unnötig macht. Diese Schutzschicht ist quasi eine „halbe Lage“ und oft an ihrem folienartigen Charakter zu erkennen. Je nach Qualität der Beschichtung ist dieses Laminat deutlich abriebfester als andere 2-Lagen-Laminate.

3-Lagen-Laminat

Futter, Membran und Oberstoff werden zu einem 3-Lagen-Laminat verbunden. Ein 3-Lagen-Laminat ist das langlebigste Laminat und besteht aus einer Membran, die an beiden Seiten von einer Stoffschicht geschützt wird. Die äußere Schicht besteht normalerweise aus einem widerstandsfähigen Stoff, innen wird ein starkes Futter benutzt. Der Unterschied hierbei ist die höhere Strapazierfähigkeit, aber auch meist das höhere Gewicht. Außerdem variiert die Qualität des Innenstoffes deutlich, was man am Preisunterschied, aber auch am Tragekomfort bemerken kann.
 

 

Fazit: Eine Frage des Verhältnisses

Atmungsaktivität und Wasserwiderstand scheinen auf den ersten Blick schwer in Einklang zu bringen zu sein.
Dennoch kann mit einer gut abgestimmten Mischung der jeweiligen Funktionen ein optimales Kleidungskonzept für die jeweillige Wetterregion geschaffen werden
Denn bei Wassersäule und Atmungsaktivität handelt es sich um kein genormtes oder festes Verhältnis. Je nach Hersteller, Produkt oder Textillaminat varrieren die Werte zur Atmungsaktivität und Wassersäule.
Dadurch können Paddler auf ihr persönlich angemessenes Verhältnis zwischen Wasserdichte und Atmungsaktivität achten. Paddler die körperlich sehr aktiv sind und deshalb besonders atmungsaktive Bekleidung haben möchten, müssen dafür Abstriche beim Regenschutz machen. Je nach Ansprüchen kann man die Werte auch durch ein gut abgestimmtes Zwiebelprinzip verbessern.
Es kommt also nicht nur darauf an, ob man als Wildwasser-, Küsten-, Wanderpaddler unterwegs ist, sondern auch auf die Luft- und Wassertemperaturen.

 

 

 

Kaufentscheidung: Was muss die eigene Paddelbekleidung leisten?


Wer sich überlegt, was einen auf der nächsten Paddeltour erwartet, kann seine persönlichen Anforderungen an die Paddelkleidung eingrenzen.

  • Wetterschutz Sonne, Wind, Regen
  • Schutz vor Spritzwasser, Wellen, Gischt - insbesondere im Zusammenhang mit Wind.
  • Wärmebedarf - Wärmehaushalt des Körpers beim Paddeln
  • Kenterung - Alltag oder Ausnahme
  • Welche Folgen drohen durch eine Kenterung?
    • Wassertemperatur (Achtung Faustformel: 10°C Wassertemperatur = 10 Minuten Handlungsfähig )
    • Wie schnell kann das Ufer erreicht werden?
    • Sind Wechselklamotten griffbereit? Oder muss der Gekenterte noch länger in der Bekleidung unterwegs sein?
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Diesen Artikel sowie weitere Touren, Beiträge und Themen findest du im KANU SPORT 11/2018:

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