28.09.2022 | Olympia / Paralympics

„Es gibt keinen Frieden ohne Solidarität“

Gastbeitrag von IOC-Präsident Thomas Bach erschienen in internationalen Medien am Weltfriedenstag (Mittwoch, 21. September 2022)
IOC-Präsident Thomas Bach

Das Thema des diesjährigen Weltfriedenstags: „Rassismus beenden. Frieden schaffen.“ trifft beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und der Olympischen Bewegung auf besondere Resonanz.

Die Grundidee der Olympischen Spielen ist es, die gesamte Welt im friedlichen Wettbewerb zu vereinen. Frieden ist im Herzen dieser Mission. 

Bei den Olympischen Spielen verkörpern die Athletinnen und Athleten diese Friedensmission, indem sie die Unterschiede beiseitelegen, die die Welt trennen. Sie kämpfen mit vollem Einsatz miteinander um den höchsten Preis, während sie im Olympischen Dorf friedlich unter einem Dach zusammenleben. Das macht die Olympischen Spiele zu einem kraftvollen Symbol des Friedens. 

Aber Frieden ist viel mehr, als Unterschiede beiseitezulegen. Es geht darum, eine bessere Welt zu schaffen, in der alle Menschen aufblühen können, in der alle gleich behandelt werden und in der Rassismus und alle Formen von Diskriminierung keinen Platz haben. 

Pierre de Coubertin hat die Olympischen Spiele wiederbelebt, um durch Sport einen Beitrag zum Frieden zu leisten. Er sagte: „Wir werden keinen Frieden finden, solange die Vorurteile, die jetzt die verschiedenen Rassen trennen, nicht überwunden sind.“

Nichtdiskriminierung liegt daher in der DNA des IOC und der Olympischen Spiele. Bei den Spielen sind alle gleich, unabhängig von ethnischer Herkunft, sozialem Hintergrund, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Überzeugung. Das Prinzip der Nichtdiskriminierung ist in der Olympischen Charta verankert. Die Athleten erwecken dieses Prinzip während der Olympischen Spiele zum Leben und inspirieren Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt. 

Wenn es darum geht, dauerhaften Frieden zu schaffen, reicht Nichtdiskriminierung allein jedoch nicht aus. Es reicht nicht aus, sich gegenseitig zu respektieren – wir müssen noch einen Schritt weiter gehen und uns gegenseitig unterstützen. Wir müssen solidarisch zusammenhalten. Es gibt keinen Frieden ohne Solidarität. 

Solidarität ist das Herzstück der Olympischen Spiele. Deshalb gibt das IOC 90 Prozent seiner Einnahmen weiter, um Athleten und die Entwicklung des Sports auf der ganzen Welt zu unterstützen. 

Unser Engagement für Solidarität führte dazu, dass das IOC das erste olympische Flüchtlingsteam für die Olympischen Spiele Rio 2016 und ein weiteres für die Olympischen Spiele Tokio 2020 ins Leben gerufen hat. Zum ersten Mal in der olympischen Geschichte traten geflüchtete Athleten Seite an Seite mit den Teams aller anderen Nationalen Olympischen Komitees an und sandten eine Botschaft der Hoffnung und Inklusion an alle Geflüchteten in der Welt. Da sie kein Nationalteam haben, dem sie angehören, keine Flagge, hinter der sie marschieren können, keine Hymne, die sie singen können, und kein Zuhause, das sie ihr Eigen nennen können, begrüßten wir die geflüchteten Athleten bei den Olympischen Spielen mit der Olympischen Flagge und der Olympischen Hymne. Wir gaben ihnen ein Zuhause im Olympischen Dorf. Die olympische Botschaft dieses emotionalen Moments war: Ihr seid unsere Mitmenschen und ihr seid eine Bereicherung für unsere Olympische Gemeinschaft. 

Heute stehen wir solidarisch an der Seite der Olympischen Gemeinschaft der Ukraine. Was für die Ukraine gilt, gilt auch für andere Mitglieder unserer Olympischen Gemeinschaft. Wir sind eine globale Organisation. Aus diesem Grund unterstützen wir die Olympischen Gemeinschaften in Afghanistan, im Jemen und an vielen anderen Orten auf der ganzen Welt, die von Kriegen und Konflikten betroffen sind. 

Diese Solidaritätsbemühungen sind auch der Kern unseres Engagements für ein besseres Verständnis unter den Menschen. So hat das IOC durch Sport Brücken gebaut und Türen zu besserem Verständnis, Frieden und Versöhnung geöffnet. Dies war in den vergangenen Jahren in vielen Konfliktsituationen wie Nord- und Südkorea, Armenien, Aserbaidschan, Serbien, Kosovo, Israel, Palästina, Iran und vielen anderen der Fall. 

In einer Zeit, in der die Menschheit gleichzeitig mit so vielen existenziellen Krisen konfrontiert ist, ist unsere Mission des Friedens und der Solidarität wichtiger denn je. 

Die Olympischen Spiele können Kriege und Konflikte nicht verhindern. Sie können nicht alle politischen und sozialen Herausforderungen unserer Welt lösen. Aber sie können ein Vorbild für eine Welt sein, in der sich jeder an die gleichen Regeln hält und sich gegenseitig respektiert. 

Es entsteht gerade eine neue Weltordnung. Wir können schon heute sehen, dass diese neue Weltordnung gespaltener sein wird als die, die wir anstreben. 

Diese bedauerliche Tendenz steht im direkten Gegensatz zu unserer olympischen Mission, die Welt in friedlichem Wettbewerb zu vereinen. Wir wissen, dass wir in dieser gespaltenen und konfrontativen Zeit auf der Suche nach einer gemeinsamen Verbindung für die Menschheit nicht allein sind. Millionen von Menschen weltweit sehnen sich nach Frieden. Gemeinsam mit all diesen Menschen guten Willens wollen wir unseren bescheidenen Beitrag zum Frieden leisten, indem wir die gesamte Welt in friedlichem Wettbewerb vereinen. 

Um uns noch weiter für diese vereinende Friedensmission zu engagieren, haben wir kürzlich unser olympisches Motto geändert: Schneller, höher, stärker – gemeinsam. 

Das Wort „gemeinsam“ unterstreicht die Tatsache, dass wir zur Bewältigung von Herausforderungen – ob als Individuen, als Gemeinschaft oder als Menschheit – zusammenhalten müssen. 

An diesem Internationalen Tag des Friedens und im olympischen Geist der Solidarität und des Friedens wiederhole ich nachdrücklich den Appell an alle politischen Führer auf der ganzen Welt, den ich bereits bei den Olympischen Winterspielen Peking 2022 vor einem Publikum von Hunderten von Millionen Menschen auf der ganzen Welt gemacht habe:

Give peace a chane (Gebt dem Frieden eine Chance).
 

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