16. Mai 2023

Formenkunde Canadier - die wichtigsten Eigenschaften im Überblick

Canadier See (Foto: Pixabay)

Gemütliche Tagesausflüge, längere Touren mit der ganzen Familie am Wochenende, Reisen mit viel Gepäck oder anstrengendes Training: der Canadier hat als eine ganze Erlebniswelt im Gepäck. Eine Kaufberatung mit Unterstützung von Jörg Rostock und Frank Moerke helfen bei der Entscheidungsfindung für den passenden Canadier.

Der Canadier wird immer noch häufig als „Lastkahn der Indianer“, als „Winnetous Boot“ oder auch mal abfällig als „Badewanne“ bezeichnet. Die Indianer Nordamerikas verpassten der Grundform den wesentlichen Vorzug dieses Bootstyps: Die Boote waren einfach mit riesigen Gepäckmengen zu beladen. Mittlerweile entdecken nicht nur der nostalgisch angehauchte Großstadtindianer, sondern auch naturbegeisterte Familien oder sportliche Wasserenthusiasten und Fluss- und Seelandschaften in ganz Deutschland und Europa per Canadier. Das Angebot ist so unterschiedlich, dass sich der kaufambitionierte Paddler sich im besten Fall erst einen Überblick verschaffen sollte, bevor er den Fachhändler seines Vertrauens besucht. Jörg Rostock von Wavecrest und Frank Moerke, Paddellehrer und Inhaber der Website www.canadier.com teilen ihr Fachwissen und fassen wichtigste Charakteristika der Canadier zusammen.

 

Fahreigenschaften

Die Fahreigenschaften eines Canadiers können durch folgende drei Merkmale charakterisiert werden:

  • Schnelligkeit
  • Wendigkeit bzw. Richtungsstabilität
  • Kippstabilität

Der Schlüssel für das Fahrverhalten eines Kanus liegt darin, wie sich die Form des Unterwasserschiffes (Länge, Breite, Rumpfform) durch das Wasser bewegt. Die gewünschten Merkmale und damit die Rumpfform hängen vom Einsatzzweck ab (siehe Fragen, Kasten unten). Einfluss auf das Fahrverhalten haben:

 

1. Für die Schnelligkeit

"Die Faustregel lautet ‘Länge statt Breite’. Aber man sollte zusätzlich auf die kleinen Details achten.“
 Jörg Rostock, Wavecrest

Man unterscheidet zwischen maximaler Geschwindigkeit und Leichtlauf. Leichtlauf hängt vom Verdrängungs- und Reibungswiderstand ab. Je mehr Länge im Verhältnis zur Breite der im Wasser liegende Teil hat, desto leicher, spurtreuer und schneller wird das Boot gleiten. Natürlich spielt auch der Eintrittswinkel des Wassers am Bootsrumpf eine wichtige Rolle. Wenn das Vorschiff schon kurz nach den Spitzen breit wird („Badewanne“), muss man beim Paddeln mehr Kraft aufwenden als bei einem Boot, das nur langsam breiter wird. Boote, die sogar für Wildwasser geeignet sind, haben zur Erzielung eines hohen Auftriebes voluminöseren Bug und Heck. Im Gegenzug verringert sich bei Canadiern mit schlankeren Vorschiffen das Platzangebot und die Zuladung.

 

 
2. Für die Kippstabilität

Die Stabilität ist differenziert zu betrachten. Anfangsstabilität drückt aus, wie „kippelig“ sich ein Canadier beim Ein- und Aussteigen auf ruhigem Wasser anfühlt. DIe Endstabilität sagt, wie kippstabil ein Boot in Fahrt, angekantet oder bei stärkerem Wind oder höheren Wellen ist. Den Mittelbereich eines Canadiers charakterisieren unterschiedliche Querschnitte, die einen großen Einfluss auf die Anfangs- und Entstabilität haben.

   
  • Flachboden = höchste Anfangsstabilität, geringe Endstabilität und geringe Reservestabilität (bemerkbar bei unvorhergesehenden Wellen oder leichtem Hinauslehnen, bei denen schnell ein kritischer Kipp-Winkel überschritten wird)
  • Der flache Rundboden (gewölbter Boden, flache Krümmung, shallow arch) ist eine gängige Konstruktionsgrundlage für Touren- und Seekajaks. Bei Wildwassercanadiern findet sich ein noch etwas stärker rundlicher Boden. Ein flacher Rundspant reagiert vorhersehbar und zuverlässig auf Gewichtsverlagerungen. Dabei bleibt er ausreichend anfangsstabil, ziemlich endstabil auch in gekantetem Zustand bei Wind und Welle. Je runder der Boden, desto sportlicher wird es: schneller, endstabiler, wellentauglicher, aber auch wenig anfangsstabil und gemütlich.    
  • flacher V-Boden (shallow V) mit Steg unter der Mittellinie, ähnlich einem Kiel = hohe Anfangs- und Endstabilität, geringe Reservestabilität (tendenziell Seecanadier, da auch größerer Tiefgang).
  • Boote mit einem vollständig runden Unterschiff findet man meist nur im Rennsport.

 

3. Für die Wendigkeit bzw. Richtungsstabilität

Viele Canadier sind so gestaltet, dass ein möglichst guter Geradeauslauf geboten wird. Letztendlich ist es weniger anstrengend, ein Boot zu drehen, als es permantent auf geradem Kurs zu halten. Welche Eigenschaft jedoch bevorzugt wird, hängt u.a. vom Gewässertyp ab.
Die Wendigkeit (auch Manövrierfähigkeit) resultiert aus drei Faktoren:

  • Länge des Bootes
    • kurz = wendig (tendenziell Wildwasserboot)
    • lang = richtungsstabil (tendenziell Wanderboot)
  • Querschnitt des Unterwasserschiffes
    • Flachboden = Canadier mit flachem Boden können schnell in jede Richtung gedreht werden. Diese seitliche Manövrierfähigkeit (geringer Querwiderstand) macht es schwieriger, das Boot auf geradem Kurs zu halten.
    • V-Boden = lässt sich besser auf Kurs halten, da das V wie ein Kiel wirkt. Im Gegesatz dazu veringert dies aber die Drehfreudigkeit.  
    • Flacher Rundboden = Der Boden mit flacher Krümmung oder elliptischer Kontur ist ein Kompromiss zwischen Halbkreisform und flachem Boden. Diese Form bietet eine gute Anfangsstabilität und ist besser auf Kurs zu halten als Boote mit flachem Boden.
    • Kiellinie (Kielsprung bzw. Rocker)
      Die Kielkontur selbst wirkt sich auf die Manövrierfähigkeit und Kursstabilität aus. Je stärker der Kielsprung wird, umso kürzer wird die Wasserlinie des Bootes und umso leichter lässt es sich seitlich drehen.
   

Zusammenfassung: Bootstypen

Die individuelle Bootsform eines bestimmten Canadiers stellt immer einen Kompromiss dar. Beispielsweise kann ein Wandercanadier nicht optimal schnell sein (schmales Boot) und gleichzeitig sehr kippstabil (breites Boot). Canadier kann man in vier Grundkategorien einteilen. Im Mutterland Nordamerika unterscheidet man Recreation Canoes (Wandercanadier), Riverrunning Canoes (Flusstourer), Touring Canoes (Tourencanadier) und White Water Canoes (Wildwassercanadier). Hier stehen jeweils unterschiedliche Charaktereigenschaften im Vordergrund. Welche Bootsform für einen die richtige ist, entscheidet der Einsatzzweck.

  • Wandercanadier: Dieser Bootstyp ist kein Spezialist mit besonderen Fähigkeiten, sondern der Allrounder. Merkmale: recht flacher Boden, leichter Kielsprung, Länge: 4,00 m bis 4,70 m
  • Flusstourer: Diese Klasse eignet sich für spritziges Gewässer. Merkmale: Voluminöse Spitzen, nach außen weisende Seitenwand (flare), hohe Seitenwände, leichter Rundboden, starker Kielsprung
  • Tourencanadier: Große Entfernungen auf weiten, ruhigen Wasserflächen sind das optimale Revier. Merkmale: leichter Rund- oder V-Boden, meist gerade Steven zieht die Kiellinie auf fast die gesamte Bootslänge aus, einen Kielsprung sieht man selten, mindestens 4,80 m lang
  • Wildwassercanadier: für extremes Wildwasser. Merkmale: Outfitting mit Luftsäcken, Kniegurten und sattelähnlichen Sitzen, bulligen Formen, Länge von ultrakurz bis maximal vier Meter

 


 

 

 


Diesen Artikel sowie weitere Touren, Beiträge und Themen findest du im KANU-SPORT 7/2018:

KANU-SPORT 7/2018
Weitere Infos zum Heft
und Online-Bestellung



Letzte News