23. März 2023

MaterialCheck Wildwasser-Helme

Helme sind im Wildwasser unerlässlich (Foto: Jens Klatt)

Der Helm ist der wichtigste Ausrüstungsteil beim Wildwasserfahren. Bekommt man einen Schlag auf den Kopf und ist dieser nicht mit einem soliden Helm geschützt, dann hilft auch der Rest der Ausrüstung unter Umständen nichts mehr. Denn ohnmächtige Schwimmer verlieren in der Regel als erstes ihre Schwimmweste, dann die Schuhe. Deshalb sollten alle Paddler auf einen guten Helm setzen. Da es beim Helm auf viele Kriterien ankommt, wollen wir an dieser Stelle ein wenig Licht ins Dunkel bringen.

Von Christian Zicke, Outdoordirekt

 

Das Außen-Material

Foto: Jens Klatt für NRS Europe

Die meisten Kajak-Helme bestehen aus einem Thermoplast. Dieses Material ist leicht zu verarbeiten und ist, wenn es neu ist, sehr schlagfest. Es hat aber auch Nachteile. So altert es mit der Zeit, vor allem durch UV-Strahlung. Ist es zu alt, bricht der Helm bei einem Impact. Das wäre der Supergau. Auch deshalb bitte keine gebrauchten Helme kaufen. Du weißt weder, wie alt das Teil ist, noch wo es gelagert wurde oder ob der Vorbesitzer schon einmal einen auf die Birne bekommen hat damit. Denn auch wenn der Helm keine sichtlichen Schäden nach einem harten Aufschlag hat, dann ist das Material in der Regel geschwächt. Hat man Glück, so sieht man das an einem Weißbruch. Aber auch wenn nicht: hat es richtig gescheppert, dann ab in den Müll mit dem Helm. Thermoplast-Helme sollten nach einiger Zeit ausgetauscht werden. Auch wenn sie noch gut aussehen, spätestens aber, wenn sie anfangen auszubleichen.
Helme aus Faserverbundwerkstoffen wie Kohlefaser oder Glas unterliegen von Natur aus einer weniger starken Alterung durch Sonne, Wasser, Kälte und Hitze. Sie kann man in der Regel länger tragen, das amortisiert auch in der Regel den höheren Anschaffungspreis. Auch kann man die Schale nach einem harten Aufschlag auf Brüche in den Fasern oder im Gelcoat kontrollieren. Ist alles ganz, bestehen keine sichtbaren Schäden, so ist auch der Helm in der Regel noch ganz.
Auch gibt es Helme mit einer Außenschale aus Thermoplast und eingelegten Carbon-Pads, die an den wichtigsten Stellen eingesetzt die Schläge absorbieren und die Außenschale verstärken. So werden heutzutage auch die sichersten Helme im Kajaksport produziert.
 

Sitz des Helms

Häufig sieht man, gerade bei weniger versierten Paddlern, dass die Leute ihre Helme viel zu weit im Nacken sitzen haben. Die Stirn liegt komplett frei, leuchtet in der Sonne und auch die Schläfen biedern sich den Steinen im Unterwasser regelrecht an. So sollte heute niemand mehr aufs Wasser gelassen werden. Ein Helm muss die gesamte Stirn und die Schläfen abdecken. Auch darf er nicht nach hinten rutschen, wenn man etwas Druck unter die vordere Kante des Helms gibt. Sollte er rutschen, so muss der Sitz über die Gurt-Dreiecke an den Seiten angepasst werden. Rutscht der Helm zu weit nach hinten, so muss das vordere Band kürzer eingestellt werden. Rutscht er dir auf die Augen, so ist das hintere Band zu lang. Der Helm sollte niemanden würgen, der Kinnriemen sollte nicht zu eng sitzen. Bei einer korrekten Einstellen der Dreiecke muss er das aber auch nicht.
 

Fittings

Die meisten Helme werden heute komplett mit Schaum ausgekleidet verkauft. So wird der Kopf häufig gänzlich vom Schaum umschlossen und wackelt nicht im Helm umher. Diese Helme sind nicht mehr „one size fits all“ und passen daher nicht mehr jedem. In der Regel werden sie in verschiedenen Größen angeboten, die man dann noch über weiter Fittings aus Schaum an den Kopfumfang anpassen kann. Über einen Verstell-Mechanismus im Nacken, häufig ein Rädchen, wird dann feinjustiert, die Kopflänge angepasst. Wer sich seinen eigenen Helm zum ersten Mal einstellt, der sollte ein wenig Zeit einplanen.
Nur noch sehr günstige Helme verfügen über ein verstellbares Innen-Skelett, das man an nahezu jeden Kopf angepasst bekommt. Allerdings ist das heute nicht mehr zeitgemäß und taugt für den ernsten Wildwasser-Einsatz nicht. Man sieht in der Regel schon von weitem, wer einen solchen Helm trägt, denn dieser sitzt häufig krumm und schief auf dem Kopf und es gruselt einen bereits, bevor etwas passiert ist.
 

Half-, Fullcut oder Fullface

Halfcut

Foto: Jens Klatt für NRS Europe

Unter Halfcut versteht man eine Helm-Form, bei der die Ohren nicht vom Außenmaterials des Helms bedeckt sind. Der Hulf-Cut ist also um die Ohren ausgeschnitten. Vorteil dabei ist, dass man in der Regel besser hört. Nachteil ist, dass man einen Schlag auf das Ohr bekommen kann und das Wasser ungehindert mit Schuss ins Ohr eintreten kann. Deshalb werden viele Halfcut-Helme mit zusätzlichen Ohren-Pads versehen, die man bei Bedarf entfernen kann. Diese Ohren-Pads dämpfen Schläge auf das Ohr sehr gut. Außerdem haben sie den Vorteil, dass nicht nur Wasser, sondern auch ständiger Wind aus dem Ohr herausgehalten wird. Dies verhindert über die Zeit die Bildung von Exostosen. Sie stellen eine berühmte Paddler-Krankheit dar, bei der der Gehörgang aus Schutz vor Wasser und Wind langsam verknöchtert, also zuwächst.

Fullcut
Wer einen Fullcut-Helm kauft, der sollte schauen, ob der Schutz durch geschlossene Ohrenpads trotzdem gegeben ist, Wenn nur ein löchriges Plastik über dem Ohr sitzt, dann bietet der Helm unter Umständen weniger Schutz als ein durchdachter Half-Cut. So hat mal ein Teilnehmer von uns sein Ohr mit dem Plastik seines Full-Cut-Helmes beim Aufprall auf einen Stein durchtrennt und musste genäht werden.

Fullface
Am Fullface scheiden sich die Geister. Die einen wollen das Mehr an Sicherheit, wollen ihre Nase, das Kinn und den Kiefer schützen, die anderen verzichten lieber auf den Kinnbügel. In über zwanzig Jahren Kanuschulung hatten wir bisher kaum eine nennenswerte Gesichts-Verletzung, die durch einen Fullface hätte verhindert werden können. Und es gibt auch klare Nachteile, die man vor dem Kauf bedenken sollte: Unter Umständen kann sich beim Schwimmen Wasser zwischen Kinnbügel und Gesicht bilden, das Atmen wird dadurch erschwert oder unmöglich. Die Kommunikation ist noch mehr eingeschränkt, da der Bügel unter Umständen die Worte „frisst“. Bei einer Kenterung und anschließendem Grundkontakt kann der Kinnbügel nach hinten gerissen und das Genick deutlich überstreckt werden. Es gab schon Paddler, die mit dem Kinnbügel in einen Ast eingefädelt sind. Am Ende ist es wohl eine sehr persönliche Entscheidung für oder gegen den Fullface.

Schirmchen-Helme
Früher häufiger gesehen, heute nur noch selten, sind die berühmten Cappy-Helme mit Schirmchen, wie etwa der Sweet Strutter oder der WRSI Trident. Diese Helme haben den Ruf, nur als Freestyle-Helme ihren Dienst zu verrichten. Dabei tut man ihnen glatt ein bisschen unrecht. Viele von ihnen haben eine super robuste Schale aus Kohlefaser/Glasfaser oder zumindest eingelegte Carbon-Platten. Dies macht diese Art von Helmen langlebig und auch sicher. Sie sind in der Regel so ausgefittet, dass eine volle Schaumschale den Kopf umschließt, so werden Schläge gut absorbiert. Oft hat diese Art Helm keine Ohren-Pads, deshalb sollte man mindesten eine Neohaube griffbereit halten, damit man Wasser und Wind vom Ohr fern halten kann. Das Schirmchen kann natürlich theoretisch, genauso wie der Bügel beim Fullface-Helm, an einem Hindernis hängenbleiben und durch den großen Hebel die Nackenmuskeln ziemlich beanspruchen. Dafür sorgt das lange Schirmchen beim Paddeln in den Sonnenuntergang für guten Sonnenschutz. An Chiles Westküste paddeln ohne Strutter - kaum denkbar! Bei einem Klemmunfall, wenn Wasser von hinten über den Kopf strömt oder wenn man in Rückenlage am Wurfsackseil hängt, bildet sich unter dem Schirm zudem eine Luftblase, die das Atmen erleichtert - ein weiterer klarer Vorteil des langen Schirms.

 

Welchen Helm brauche ich also?

Foto: Jens Klatt für NRS Europe

Die oben genannten Unterschiede bei Material und Ausstattung spiegeln sich natürlich im Preis wieder. Deshalb bekommen wir häufig die Frage gestellt, ob man bereits am Anfang der Paddelkarriere 200,- Euro für einen Helm ausgeben sollte. Denjenigen sei gesagt: „gerade am Anfang“. Wenn man erst einmal paddeln kann, steckt man seltener den Kopf ins Wasser. Ein vermeintlich teurer Helm lohnt sich auf jeden Fall bereits am Anfang. Er ist schlicht das wichtigste Ausrüstungsteil.
Häufig werden wir auch gefragt, ob nicht auch ein Helm aus einer anderen Sportart seinen Zweck erfüllt - hier werden vor allem Fahrradhelme angeführt, die hat heute einfach fast jeder im Keller liegen. Das Problem beim Paddeln ist aber schlicht und ergreifend, dass ein Kajakhelm mehrere Schläge aushalten muss. Vergleicht man ihn zum Beispiel mit dem Fahrradhelm, so wird der Unterschied schnell klar. Der Fahrradhelm zerplatz förmlich beim ersten Aufprall auf dem Asphalt und nimmt so die Kräfte vom Kopf. Würde sich der Paddelhelm am ersten Fels in seine Einzelteile zerlegen, so wäre dies schlecht. Denn dein Kajak und du, ihr werdet auch nach dem Kentern und dem ersten Schlag noch von der Strömung weiter flussab getrieben - weitere Schläge auf den Kopf sind also zu erwarten.

 

 


 



 


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