Portrait - Hannes Aigner

Der Vollblut-Paddler mit grünem Daumen

Für Hannes Aigner sind es in Tokio die dritten Olympischen Spiele. Mit einem klaren Ziel.

von Uta Büttner

Paddeln ist seine Leidenschaft. Dabei muss es nicht immer Slalom sein. Im Gegenteil. „Kanusport ist sehr viel mehr als Slalom zwischen den Toren“, sagt Hannes Aigner. Der Kajak-Spezialist ist gern bei anderen Veranstaltungsformaten dabei. Sei es der Dolomitenmann im österreichischen Lienz, der ehemalige Extremkajak-Wettkampf „Adidas Sickline“ im Ötztal oder auch Slalom-Extrem. Ebenso liebt er Stand-up-Paddling. Der gebürtige Augsburger bedauert, dass der Freizeit-Kanusport für ihn viel zu kurz kommt. „Einfach mal das Boot nehmen und in die Berge fahren und auf dem Fluss paddeln. Dafür habe ich viel zu wenig Zeit, weil das tägliche Training sehr viel Zeit in Anspruch nimmt.“

Hannes Aigner gehört seit Jahren zur Weltspitze. In Tokio wird der 32-Jährige zum dritten Mal bei Olympischen Spielen an den Start gehen. 2012, in London, holte er Bronze. Vier Jahre später in Rio verpasste er um Haaresbreite Edelmetall. 2018 wurde er an gleicher Stelle Weltmeister. Welcher seiner beiden größten Erfolge schöner war, kann Aigner gar nicht sagen. „Die Olympia-Medaille vor so einer Zuschauer-Kulisse zu erleben, war natürlich etwas ganz Besonderes.“ Bei der WM in Rio gab es aufgrund der Sicherheitslage keine Zuschauer, „aber sportlich war es ein toller Erfolg.“
 

Sein Leben hat sich verändert

2019 hatte sich Hannes Aigner in dem nervenaufreibenden, langen Qualifikationsmodus des Deutschen Kanu-Verbandes den Olympia-Startplatz gesichert. Zudem holte er für Deutschland den Olympia-Quotenplatz bei der WM. Keine leichte Aufgabe, zumal er in dem Jahr Vater wurde. Dadurch hat sich einiges in seinem Leben geändert. Nach einem harten Trainingstag einfach nur ausruhen, das ist vorbei. „Niklas ist ein Energiebündel und zerrt mich dann durchs Haus. Es fällt mir schon schwer herumzuspringen, zum Beispiel zum Verstecken spielen“, sagt Aigner lachend, „aber es ist ja auch etwas Schönes.“ Momentan nutzt er das ungewöhnlich viele Zuhausesein, um Zeit mit seinem Sohn zu verbringen. „Er ist ja auch nur einmal klein. Ich merke immer die Fortschritte, wenn ich länger weg war. Das ist dann auch schade.“ Die Olympia-Verschiebung im vorigen Jahr hat Aigner deshalb mit einem weinenden und lachenden Auge gesehen. So konnte er viele Entwicklungsschritte seines kleinen Niklas miterleben. 

Wie lange Aigner seinen Sport noch betreiben wird, weiß er noch nicht. „Es wird sich zeigen, ob das Familienleben drunter leidet, wenn ich dann immer noch so häufig weg bin oder ob mein Sohn sagt: Fahr mal vier Wochen weg, das macht mir gar nichts. Das werde ich sehen“, sagt er lachend. 
 

Mit dem Kanusport aufgewachsen

Die Liebe zum Kanusport entdeckte Aigner durch seine Eltern, die als Hobby-Paddler Mitglieder im Augsburger Kanuverein sind. Richtig Ehrgeiz entwickelte er etwa mit 15 Jahren. 2006 fuhr er sich das erste Mal in die Junioren-Nationalmannschaft. Nach seinem Abiturabschluss und der Absolvierung des Grundwehrdienstes kam er in die Sportfördergruppe der Bundeswehr. „Seitdem kann ich mich zu 100 Prozent auf den Sport konzentrieren. Es ist für mich der wichtigste Förderbaustein, den ich bisher hatte. So habe ich viele Möglichkeiten, den Sport so zu praktizieren“, sagt der Sportsoldat. 

Nebenbei schloss Aigner 2016 sein Studium der Betriebswirtschaftslehre (BWL) mit dem Master ab. Weil das schon einige Jahre her ist, bildet er sich derzeit noch an der WHU in Düsseldorf in Sportbusiness weiter. BWL studierte er, „weil ich irgendwie ein Pragmatiker bin. Das ist ein Studium, mit dem man relativ gute Jobaussichten hat. Natürlich auch ein Studiengang, den viele wählen. Aber danach hat man auch die größte Auswahl an Arbeitsplätzen oder die meisten Möglichkeiten.“ Zudem, so sagt er, waren in Augsburg die Rahmenbedingungen sehr gut. Die Universität ist Partnerschule des Spitzensports, „und ich hatte eine kurze Anfahrt.“ Hinzu kamen viele Freiheiten, keine Anwesenheitspflicht. „Aber ich finde auch viele andere Dinge interessant. BWL hat in der Gesamtheit am besten gepasst.“ 

An der Sportart Kanu-Slalom reizt Aigner das vielfältige Training, „es wird nicht so schnell langweilig“. Training und Wettkampf bestreitet er seinem Wesen nach. „Ich versuche, Risiken zu minimieren, wo es geht. Ich bin ein bisschen ein vorsichtiger Mensch.“ Zum Beispiel wenn im Winter Eiszapfen an den Toren hängen, setze er ganz gern einen Helm auf, was viele nicht machen würden. „Bei den meisten Dingen denke ich schon vorher nach, ob da auch etwas schief gehen kann und versuche es dann zu vermeiden, wenn es so ist.“ Er versuche abzuwägen, „wobei die Risikoeinschätzung auch für jeden unterschiedlich ist, beispielsweise beim Sickline-Wettkampf scheiden sich auch die Geister“, sagt Aigner mit einem Schmunzeln.

 

Er handelt gern pragmatisch 

Im Slalom-Wettkampf sei er inzwischen im Gegensatz zu früher etwas risikobereiter. Das muss er auch sein, denn der Sport hat sich gewandelt. Als es noch zwei Wertungsläufe gab, musste über beide ein solides Ergebnis gefahren werden. Inzwischen wurde die Fahrweise immer aggressiver, die Strecken kürzer, es gibt nur noch einen Finallauf. Auch das Material hat sich verändert. „Und in dieser Kombination ist es notwendiger geworden, riskanter zu fahren. Das habe ich dann auch irgendwann einsehen müssen. So habe ich vor drei oder vier Jahren gemerkt, dass ich mit einem soliden Lauf zwar mit vorn dabei bin, aber es reicht nicht ganz nach vorn. Ich hatte dann zwar die Sicherheit, dass ich gut runterkomme, aber eben auch die Sicherheit, dass ich damit nicht aufs Treppchen fahre“, sagt Aigner lachend. „Deshalb habe ich versucht, das zu ändern. Leicht war die Umstellung nicht, es ist ja auch ein Lernprozess.“

Was einmal nach seiner Sportkarriere kommt, das weiß der 32-Jährige noch nicht. Aber er mache sich schon sehr viele Gedanken. „Meine Aufgabe bisher war immer, Sportler zu sein. Mein Ziel ist, nach der sportlichen Karriere etwas zu finden, wo ich auch bereits bin, so viel Energie hineinzusetzen wie jetzt im Sport. Und was mich hoffentlich auch zufrieden macht.“
 

Olympia-Medaille im Visier

Auf eventuelle Träume angesprochen, überlegt Aigner. Die gebe es nicht so richtig. „Eine Paddel-Expedition würde ich mal ganz gerne machen. Das ist aber eher Zukunftsmusik.“ Und ganz seines Pragmatismus folgend meint er, „wenn es nicht klappt, ist es auch nicht schlimm. Ich bin auch sehr gerne zu Hause. Und dort, sofern freie Minuten da sind, verbringt Aigner gern auch Zeit in seinem Garten, baut Obst und Gemüse an. „Es macht mir Freude, wenn ich sehe, dass da etwas heranwächst.“ Wenn er allerdings längere Zeit weg ist, „kann es schon einmal sein, dass viel Arbeit einfach für die Katz war“, erzählt er lachend. Sein Fazit: „Ich bin eigentlich ganz zufrieden, so wie alles ist.“

Wenn nicht ein Traum, so hat Hannes Aigner aber ein ganz klares Ziel für die Olympischen Spiele in Tokio vor den Augen. „Ich möchte mit einer Medaille nach Hause fahren. Vierter war ich schon einmal, das war nicht so schön.“ Dafür heißt es, auf den Punkt genau fit zu sein, bei voller Konzentration. „Das ist psychisch sehr anstrengend. „Man hat Jahre auf diesen einen Tag trainiert. Und am Wettkampftag hat man wahnsinnig viel Zeit, darüber nachzudenken, was passiert, wenn es schlecht oder gut läuft.“ Doch trotz Nervosität trinke er vor einem Wettkampf schon gern einmal einen Kaffee. „Ich kann auch eine Stunde vor dem Wettkampf noch ein Powernap machen. Aber die Aufregung ist auch wichtig. Die brauche ich auch, um mein Bestes zu geben.“
 


Hannes Aigner


 

Persönliche Daten

Geburtsdatum 19.03.1989
Geburtsort Augsburg
Wohnort Augsburg
Bootsklasse Kajak Herren + Kanu-Slalom Extreme
Kanusport seit 1997
Verein AKV Augsburg
Coach Thomas Apel
  

Im Internet

 

  

Sportliche Erfolge

Olympische Spiele:
2021 Tokyo/JPN: Bronze K1
2012 London/GBR: Bronze K1

Weltmeisterschaften:
2018 Rio de Janeiro/BRA: Gold K1
2011 Bratislava/SVK: Gold K1 Team
2010 Tacen/SLO: Gold K1 Team

Weltcup:
2018 6.
2017 18.

Europameisterschaften:
2021 Ivrea/ITA: Silber K1 Team
2016 Liptovsky Mikulas/SVK: Bronze K1
2015 Markkleeberg/GER: Gold K1 Team
2012 Augsburg/GER: Bronze K1, Silber K1 Team
2010 Bratislava/SVK: Silber K1 Team
 

Auflistung der Erfolge

2022 EM: 3. K1 Team
2022 WM: 1. K1 Team
2021 OS: 3. K1
2021 WM: 9. K1 Einzel, 16. K1 Team
2021 EM: 2. K1 Team
2018 WM: 1. K1 Einzel, 5. K1 Team
2016 OS: 4. K1
2016 EM: 3. K1, 6. K1 Team
2015 EM: 1. K1 Team, 14. K1 Einzel
2015 WM: 4. K1 Team
2013 WM 5. K1 Einzel, 7. K1 Team
2013 EM 2. K1 Team
2012 OS 3. K1 Einzel
2012 EM 2. K1 Team, 3. K1 Einzel
2011 WM 1. K1 Team
2010 WM 1. K1 Team
2010 EM 2. K1 Team
2010 U23 EM 2. K1 Einzel
2007 JEM 1. K1 Einzel, 2. K1 Team
2009 U23 EM 2. K1 Team, 9. K1 Einzel
2006 JWM 1. K1 Team, 3. K1 Einzel
 

Gefragt

Blick ins Familienalbum:
Seine Eltern sind Hobbypaddler.

Karriere/Lebenslauf:
Durch seine Eltern, selbst Hobbypaddler, kam Hannes schon früh
mit dem Kanusport in Kontakt. Da er sich irgendwann auch einmal
selbst ins Boot setzen wollte, kam er in die Schülergruppe beim
Augsburger Kajak Verein, dem auch seine Eltern angehören.
Sein Training wurde mit den Jahren immer intensiver. Mit 15 Jahren
hatte er schließlich das Ziel, sich in die Nationalmannschaft der
Junioren zu fahren. Das gelang ihm zwei Jahre später, als er sich
2006 erstmals qualifizieren konnte und sogar mit zwei Medaillen
von der Junioren-WM zurückkehrte. 2008 kam er nach dem Abitur
in die Sportfördergruppe der Bundeswehr, seitdem kann er sich zu
100 Prozent auf den Sport konzentrieren. Nebenher hat er noch ein
Bachelor- (2013) und Masterstudium in BWL (2016) an der Universiät
Augsburg abgeschlossen. Derzeit nimmt er  am „General Management
Program in Sports Business“ an der international renommierten
Business School „WHU - Otto Beisheim School of Management“ teil.

 

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