04. Mai 2021

Packrafting - Boote für den Rucksack

Foto: Annika Seidl

Viele Kanuinteressierte haben ein Problem: Kein Auto, keine Garage oder zumindest beengte Wohn- oder Transportmöglichkeiten. Dafür gibt es nun Abhilfe in Form von superleichten Paddelbooten die in der kleinsten Studentenbude Platz finden und sowohl mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder in jedem Kleinwagen oder gar per Bike transportiert werden können. Das Zauberwort heißt Packrafting.

Von Alfons Zaunhuber

 

Nun gibt es keine Ausreden mehr, Kanusport ist jetzt für Jedermann möglich der bisher immer nur davon träumte. Nach ersten Anfängen bietet der Markt zwischenzeitlich ein breit gefächertes Angebot für jeden Geschmack und jeden Anwendungsbereich an. Und der Einsatzbereich dieser Boote beginnt praktisch wenige Meter vor der Haustüre. Die Idee eines ultra-portablen Kanus ist so alt wie das Schlauchboot selbst. Abstrahiert man vom Begriff, fällt die Erfindung des aufblasbaren Wasserfahrzeuges mit dem Packrafting-Gedanken zusammen. Schon 1844 gab es das "Cloth-Boat" der britischen Navy. Heute widmen sich zahlreiche Hersteller dem Konzept.

 

1. Reviere für Packrafts

Wildwasser

Packrafts sind wegen ihrer Wendigkeit prädestiniert für Strömung und Wildwasser. Sie sind kippstabiler als klassische WW-Boote und äußerst wendig. Dennoch sollten die Gefahren im Wildwasser nicht unterschätzt werden. Wer vor einem Felsblock klemmt oder in einem Rücksog gefangen ist gerät in Schwierigkeiten. Ein Kurs in einer Wildwasserschule ist daher unbedingt notwendig, um sich auf die vielfältigen Gefahren vorzubereiten und die Techniken in allen Strömungsformen sicher zu beherrschen. Neben den prinzipiellen Vorteilen wie kleines Packmaß und problemloser Transport sind Packrafts unkomplizierte Spaßboote mit denen man zahlreiche interessante Gewässer relativ mühelos befahren kann. Trotz der minimalistischen Größe lässt sich sogar im bescheidenen Umfang Übernachtungsgepäck mitnehmen und wenn es allzu ruppig wird packt man sein Schiffchen wieder in den Rucksack und läuft zu Fuß weiter.

Bild: Annika Seidl

   

Alfons´ Tipps

Zu den WW-Booten am Markt zählen das Nortik Trekraft mit Verdeck, das MRS Microraft, das Anfibio Rebel 2K oder Alligator (bzw Alligator 2S Pro), das Kokopelli Nirwana oder die Alpacka Modelle Series oder Gnarwhal, die in verschiedenen Größen erhältlich sind (sinnvoll vor allem für besonders große Paddler, die in einigen anderen Booten zu wenig Platz für ihre Beine finden). MRS bietet mit dem Barracuda R2 Pro ein vollwertiges WW-Zweierboot in makelloser Ausstattung an. Das Kokopelli Nirwana in der SB-Ausstattung ist selbstlenzend und macht eine Spritzdecke überflüssig, alle anderen benötigen sinnvollerweise eine Original-Spritzdecke vom jeweiligen Hersteller.

 

Cityrafting

Paddler, die vor allem die nahen und meist strömungslosen oder strömungsarmen Gewässer der näheren Umgebung erkunden wollen, bemängeln bei manchen Packrafts mit Recht den mangelhaften Geradeauslauf. Modelle mit einer (abnehmbaren) Finne schaffen hier jedoch Abhilfe.

   

Alfons´ Tipps

Wer sein näheres Umfeld mit Hilfe von Google Maps einer klassischen Umgebungskarte oder einem regionalen Kanuführer durchforstet wird so manches Paddelgewässer entdecken, dessen Start- und Endpunkt man per öffentliche Verkehrsmittel erreicht. Als Beispiel aus dem Münchner Verkehrsnetz nenne ich z.B. die Isar zwischen Wolfratshausen und München-Thalkirchen, die Amper zwischen Grafrath und Fürstenfeldbruck, die Loisach zwischen Farchant und Eschenlohe. Weitere Beispiele gibt es in allen Regionen zuhauf. Die meisten guten Kanuführer wie z.B. die Kanuführer des Deutschen Kanuverbands oder die Kanu Kompakt- oder Kanu Kompass-Serie im Thomas Kettler Verlag verweisen auf die Bahnhöfe entlang der jeweiligen Flüsse. Deutsche Städte wie Hamburg, Berlin, Leipzig, Heilbronn oder Bamberg bieten teilweise ein ganzes Netz von Gewässern (auch Rundtouren) die es zu entdecken lohnt. In Österreich lockt eine Stadtdurchquerung von Graz auf der Mur (ein besonders attraktiver und bei Normalwasser leichter Wildwassertrip durch die  steirische Landeshauptstadt und „Kulturhauptstadt Europas 2003“). In Norditalien sind  genussreiche und szenische Paddeltouren durch die Lagunenstädte Venedig, Chioggia oder Comacchio ein guter Tipp und auf Grund der geringen Packmaße der Boote ohne großen logistischen Aufwand durchführbar.

 

Bikerafting

Nicht nur in Deutschland wurde in den letzten Jahren das Netz der Flussradwege immer breiter ausgebaut. Somit kann man als Paddler fast immer sein Fahrzeug nach der Tour problemlos mit dem Bike zurückholen, bzw. mit Bike und Boot zum Startpunkt zurückkehren. Ebenso ist es möglich längere Flüsse zu befahren und nach Lust und Laune das Sportgerät wechseln, je nachdem ob die Etappe landschaftlich oder sportlich interessant ist, oder wenn es eine längere Staustrecke (oder Wehre)  zu überwinden gilt. Allerdings lassen sich hierfür nur kleine Klapp- oder Falträder verwenden und das Boot sollte schon etwas Stauraum haben und das Bike sehr klein zerlegbar sein. Diese Hightecbikes lassen sich dann in allen geräumigeren Pachrafts verstauen und die kombinierte Flusstour kann beginnen. Eine weitere Alternative ist die Mitnahme von Inlineskates im Boot für die coole Anreise/Rückfahrt, da man die meisten Flussradwege mit den Skates befahren kann. Der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt.
Foto: Anfibio Packrafting

   

Bergseen, Kombitouren in der Wildnis

Szenische Alpenseen in großartiger Gebirgskulisse oder Gewässer in völlig abgelegener Wildnis auf Fernreisen sind Sehnsuchtsziele eines jeden Paddlers. Meist hat man gerade an solchen Traumplätzen aus Platzgründen kein Boot dabei.

   

Alfons´ Tipps

Ultraleichtboote wie das Anfibio Nano SL (830 Gramm), das Anibio Nano RTC (997 Gramm) oder Anfibio Alpha XC (1750 Gramm) passen aber in jeden Rucksack und ermöglichen es nahezu überall aktiv zu werden. „Pack your raft and raft your pack“ ist das Motto. Auch wasserführende Höhlen, Canyons mit überlangen Schwimmstellen im eiskalten Wasser oder nahezu ungangbare Flussdurchquerungen in der Wildnis zählen zum Einsatzbereich dieser Boote die selbst für Bergradler noch zumutbar sind.

 

Familyrafting

Wenn man mit Kindern im Urlaub unterwegs ist findet sich wegen der Gepäckfülle meist kein Platz mehr im Fahrzeug und so bleibt der Kanusport dann in der Regel außen vor. Dabei sind Kinder Wasserratten und lieben Abwechslung. Selbst der „Ferienalltag“ am Pool bringt mit einem Packraft neue Inspiration. Das Boot wird zum Spielobjekt und so lernen die Kinder den Umgang für spätere Touren auf Seen und Flüssen. Das Boot wird zum SUP und das Paddeln im Stehen zu einer guten Gleichgewichtsübung. Oder das Boot wird bewusst gekentert, dann schwimmend wieder umgedreht und bestiegen. Später, auf einem See oder Fluss unterwegs, ist das Packraft bereits ein vertrautes Spiel- und Sportgerät. Selbst der mäßige Geradeauslauf ist schon nach kurzer Zeit kein Problem mehr. Die Kids lernen eben ganz spielerisch und auch zu zweit im Boot haben sie immer richtig Spass. Wichtig: Eine passende Schwimmweste ist für die Kids ein absolutes Muss.

 

Foto: Anfibio Packrafting
 

Alfons´ Tipps

Nortik hat in seinem Sortiment ein Modell „FamilyRaft“. Dieses ist auch geeignet für einen Erwachsenen mit Kind oder zwei Kinder. Von einer Person gepaddelt bietet das 290 cm lange Boot ebenfalls guten Geradeauslauf und viel Platz für längere Beine und Gepäck oder Hund. MRS Adventure X 2 ist ein weiteres Boot für 2 Personen oder einen Erwachsenen + Kind oder Bike/Gepäck. Es lässt sich gerne mit Stechpaddeln vorwärts bewegen und kann mit dem ISS-System bestellt werden. Mit 234 cm Länge ist das Anfibio Delta MX für ein Familyboot etwas klein aber dennoch interessant und hat eine Zuladung von 180 kg. Mit 312cm Länge ist das Kokopelli Twain besonders geräumig aber auch schwerer als die meisten Boote. Es hat eine Flosse für den verbesserten Geradeauslauf und ist gegen Aufpreis mit dem T-Zip zur Gepäckaufnahme innerhalb der Schläuche ausrüstbar.

 

 

 

2. Zubehör und Sonderausstattung

Paddel

Ein kleines 4-teiliges Doppelpaddel ist beim Packrafting die Regel. Preiswerte Paddel sind aus Fiberglas oder schlagfesten PE, hochwertige und vor allem leichtere Paddel aus Carbon. Je nach Körpergröße, Bootstyp und Einsatzzweck empfehlen sich Längen zwischen 215 cm und 230 cm.
Nur bei Zweierbooten kommen vereinzelt auch Stechpaddel zum Einsatz.


Internal Storage System (ISS), Cargo Fly, T-ZIP

Wer auf auf völlig abgelegenen Wildflüssen auf einer mehrtägigen Expedition unterwegs ist wird ein System schätzen bei dem man das Gepäck innerhalb der Schlauchkörper transportiert. Somit  geht selbst nach einer Kenterung nichts verloren. Das ganze nennt sich ISS und ist keine islamische Terrororganisation, sondern das Internal Storage System. Einige Boote von MRS Boote sind mit einem druckdichten Gepäckreißverschluss mit zwei inneren wasserdichten Packsäcken auszustatten um Ausrüstungsgegenstände wie Schlafsack, Ersatzkleidung oder Lebensmitte im Boot zu verstauen. So man einen tieferen Schwerpunkt und auch mehr Aktionsraum. Eine Nachrüstung ist jedoch nicht möglich. Das vergleichbare System von Alpacka nennt sich Cargo Fly, bei Kokopelli T-Zip.


Transport-Rucksack

Der robuste und unbedingt wasserdichte Rucksack mit bequemen Schultergurten und Hüftgurt ermöglicht es das Packraft samt der gesamten Ausrüstung zum Ort des Geschehens zu tragen bzw. zu lagern. Ein normaler Rucksack ist ungeeignet da es sich während der Bootsfahrt voll Wasser saugt und damit sehr schwer wird. Wer Übernachtungsgepäck mitführt benötigt eine Größe von mindestens 70-80 Liter Volumen. Wertgegenstände und die Kamera sollte man aber besser in einen wasserdichten Extrabeutel packen und mit einen Karabiner sichern um schnelleren Zugriff zu haben.


Sicherheit

Ein Wurfsack mit einer schwimmfähigen Leine ist ein Rettungsgerät zur aktiven Kameradenhilfe im Notfall, aber auch ein sinnvolles Gerät für einfache Abseilaktionen im schwierigen Gelände und sogar als Wäscheleine zum Trocknen der Kanubekleidung zu gebrauchen. Als Kopfschutz ist ein spezieller WW-Helm zwingend erforderlich.Auch ein Erste-Hilfe-Set sollte immer an Bord sein.


Schwimmweste

Im Wildwasser ist ein Schwimmweste ein „Muss“. Anfibio bietet eine besonders aufblasbare Weste mit kaum über 330 Gramm Gewicht für Flusswanderer an. Kinder sollten niemals „ohne“ auf dem Wasser unterwegs sein.


Kälteschutzbekleidung

Ein Neopren- oder Trockenanzug schützt vor Nässe und Kälte (auch auf eiskalten Seengewässern). Anfibio bietet einen robusten, atmungsaktiven und bezahlbaren Trockenanzug an. Neoprenschuhe, wasserfeste Bergschuhe + Neoprensochen oder Trekkingsandalen schützen die Füsse (je nach Anforderung).


Spritzdecke

Nur eine wirklich passende Spritzdecke verhindert das Eindringen von Spritzwasser. Dafür ist meist ein Modell des jeweiligen Herstellers anzuraten. Bei selbstlenzenden Booten ist keine Spritzdecke erforderlich, dafür aber wegen dem Spritzwasser entsprechende wasserfeste Kälteschutzbekeidung.


Reparaturset

Obwohl die Packrafts trotz des minimalen Gewichts extrem robust sind und selbst heftige Felsberührungen kaum zu sichtbaren Kratzern führen (schließlich sind die Boote zumeist aus PU-beschichteten Nylon bzw. Aramidfasern mit abriebfester Oberflächenbehandlung, oder Hochleistungs-Ultraleicht-TPU), empfiehlt es sich, ein Reparaturset des jeweiligen Herstellers im Gepäck mitzuführen. Nur so ist man auf der sicheren Seite.  


Segel

Anfibio bietet ein 340 Gramm leichtes und preiswertes Segel um auf stehenden Gewässern flotter vorwärtszukommen. Dieses Anfibio Packsail passt logischerweise in die Hosentasche und hat eine Größe von 107-140 cm².

 

 

3. Technik & Packrafting Spezifisches

Packrafts sind Handtaschen- oder Rucksackboote und bieten durch ihr minimales Gewicht und Packmaß zahlreiche Vorteile in Sachen Transport. Zum Gewässer kommt man mit öffentlichen Verkehrsmitteln, per Bike oder zu Fuß. Aufgepumpt werden die Winzlinge üblicherweise mit einem federleichten Befüllsack und Puste. So kann man sich die Mitnahme eines Blasebalgs sparen. Das Reisegepäck wird üblicherweise im wasserdichten Rucksack am Bug befestigt. Eine andere Möglichkeit ist ein Boot mit innenliegender Gepäckaufbewahrung im Bootskörper zu kaufen (ISS, Cargo Fy oder T-Zip). Damit hat man einen tieferen Schwerpunkt und das Gepäck stört nicht beim Paddeln oder bei der Eskimorolle.
Blutige Kanuanfänger werden von der enormen Kippstabilität sofort begeistert sein, da die Packrafts Sicherheit vermitteln und schnelle Erfolgserlebnisse bescheren. So hat man schnell Spaß am Kanusport und kaum abschreckenden Kentererlebnisse. Wer sich ohne Erfahrung ins Wildwasser begibt sollte dennoch die Techniken von Grund auf erlernen. Bisher gibt es nur ganz wenige Kanuschulen die spezielle Packraftingkurse und geführte Flussreisen und Wildnis-Expeditionen anbieten.
 

Fotos: Annika Seidl und Alfons Zaunhuber

 


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KANU-SPORT 9/2018
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Buchtipp:

Kanusport mit Luftbooten

ISBN: 978-3-937743-43-1
Autor: Alfons Zaunhuber
Verlag: DKV-Verlag
Gewicht: 0,505 kg

Kanusport mit aufblasbaren Booten auf Flüssen und Seen liegt voll im Trend: Minimales Packmaß, aber maximaler Spaß. Einfach aufpumpen und schon geht es los. Das neue Thema „Packrafting“ gibt dem Luftbootthema weitere Impulse und sorgt für frischen Wind im Kanusport. Die Kosten für ein Luftboot sind überschaubar, Transport und Lagerung sind absolut unkompliziert und so steht einem spritzigen Vergnügen auf dem Wasser nichts im Wege.

Dieses Handbuch informiert über erforderliche Ausrüstung, stellt die wichtigsten Hersteller und Modelle vor und gibt wertvolle Tipps über Zubehör und Pflege. Im Technikteil werden die wichtigsten Paddelschläge in Wort und Bild erklärt. Ferner werden auch alle grundsätzlichen Themen des Kanusports behandelt (z.B. Kanusport mit Kindern, Sicherheit, Naturschutz) und wichtige Adressen sowie weiterführende Literatur genannt. Ein Kapitel widmet sich dem Thema „Rafting“ und nennt die schönsten und wildesten Strecken in Europa. Ausführliche Tourenbeschreibungen von 30 abwechslungsreichen Gewässern mit stimmungsvollen Bildern, farbigen Jübermann-Gewässerkarten und üppigen Infos runden dieses Standardwerk des Kanusports ab.


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