28. Januar 2021

Paddeln hat auch im Winter Saison

Es gibt eine besondere Spezies: Winterpaddler, die überzeugt sind, dass Kanu fahren gerade im Winter Saison hat. Das sind entweder jene, die der Paddelvirus derartig erwischt hat, dass sie nicht einmal vier Monate die Arme stillhalten können. Oder einfach solche, die wissen, mit welchen Eindrücken der Winter sie bei ihrem eisigen Paddelausflug belohnt und daher nach der Phrase „es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung“ auch bei Minusgraden ins Kanu steigen.

Von Sabine Stümges

Fest steht: Es lohnt sich auch in den Wintermonaten, das Kanu zu Wasser zu lassen. In der kalten Jahreszeit genießen Paddler die einzigartige Ruhe. Fernab vom Massentreiben herrscht klare Luft und völlige Stille. Die winterliche Landschaft mit aufsteigendem Nebel, durch den die Sonne bricht, präsentiert faszinierende Wintermotive. Bizarre Eiskunst an Schilf und Ästen, ein einzigartiges Licht und Farben am Ufer machen den Ausflug zum einmaligen Erlebnis. Während im Sommer oft niedrige Pegelstände kleine Nebenstrecken unpassierbar machen, können sie durch Schneeschmelze oder Niederschläge in den Wintermonaten wieder befahren werden.
 

Winterpaddeln wird immer beliebter

Auf dem Markt finden Sie eine immer größere Auswahl an funktioneller Kleidung, die auch im Winter über viele Stunden warmhält. Dadurch steigt langsam die Anzahl derer, die von einem Paddeln in der kalten Jahreszeit begeistert sind und jeden schönen Tag auf dem See ausnutzen. Eines darf man dabei aber nie vergessen: Paddeln im Winter ist und bleibt ein Sport unter völlig anderen Bedingungen. Damit Sie auch im Winter sicher paddeln gehen können, hier ein paar grundlegende Hinweise zum Paddeln im kalten Winter!
Soviel vorweg: zum „echten“ Winterpaddeln gehören Witterungen mit einer Luft- oder Wassertemperatur von weniger als 10°C. Spätestens hier müssen bei jedem Ausflug auf dem Wasser Sicherheitsvorkehrungen für alle Paddler (auch Mitpaddler) getroffen werden, um Mensch und Material auf die Risiken des Winters vorzubereiten.
 

Frostige Risiken


Wenn man von Gefahren beim Winterpaddeln spricht, dann stehen diese logischer Weise immer im Zusammenhang mit den niedrigen Temperaturen. Gerade wer beim Paddeln besondere Anstrengungen unternimmt, muss sich und seinem Körper besondere Aufmerksamkeit widmen. Zwar produziert der Körper durch Aktivität Wärme; trotzdem kann ein Absinken der Körpertemperatur und ein Auskühlen nicht verhindert werden, wenn die Wärmeproduktion über lange Zeit geringer ist als die Wärmeabgabe. Somit wäre es ein fataler Trugschluss anzunehmen, man kühle nicht aus, weil man sich beim Paddeln im Winter ausreichend sportlich bewegt.
 

Der Windchill-Faktor


Wie wichtig das Gefühl für den eigenen Körper ist, zeigt auch der Windchill-Faktor. Bei der Planung des Paddelns bei eisigen Temperaturen ist die vorhergesagte messbare Temperatur bei Windstille irrelevant. Es zählt die gefühlte Temperatur, die durch den Wind beeinflusst wird. Je kälter die gefühlte Temperatur, desto schneller kühlt der Körper auch tatsächlich aus. Starker Wind wirbelt körpernahe Luftpolster auf und erhöht zudem die Verdunstungsrate.
 

Im Wasser ist die Kälte in ihrem Element


Auch aufgrund des wichtigsten Elements des Paddelns – dem Wasser – muss dem eigenem Körpergefühl besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Wasser ist ein besonderer Stoff mit besonderen Wärmespeichereigenschaften. Es entzieht dem Körper Wärme 25 Mal stärker als Luft. Das ist vor allem deshalb relevant, weil  Wasser nicht nur im Falle einer Kenterung zum Thema wird, sondern auch gelegentliches Nasswerden je nach Bootstyp und Gewässer an der Tagesordnung ist.

 

Der Sturz ins Wasser ist ein Schock


Das Auskühlen des eigenen Körpers über der Wasseroberfläche ist ein sehr kalkulierbares Risiko. Der Sturz ins Wasser gehört zu den unberechenbarsten. Je größer der Unterschied zwischen Körpertemperatur und Wassertemperatur, desto wahrscheinlicher der Kälteschock. Das betrifft besonders die Herbst- und Frühjahrsmonate, in denen es in der Sonne teilweise schon angenehm warm ist, die Wassertemperatur jedoch nur um 10° C oder deutlich darunter beträgt. Dann kommt es innerhalb der ersten Minuten zu parallelen Reaktionen von Atmung, Kreislauf, Muskulatur und Nervensystem. Zu den Folgen des Kälteschocks gehören daher der Ebbecke-Reflex mit unkontrolliertem und intensiven Einatmen. Daneben steigt die Herzfrequenz extrem an, Panik tritt auf und die Bewegungen können nicht mehr richtig kontrolliert werden. Ein Kälteschock erhöht deshalb stark die Gefahr zu ertrinken. Wechselduschen oder Saunagänge können hier vorbeugend wirken. Doch auch ohne diese besonderen Risiken hat jemand, der ins Wasser gestürzt ist, nur wenig Zeit. Gemäß einer Faustformel entspricht die Zeit in Minuten, in der man sich im kalten Wasser kontrolliert bewegen kann, der Temperatur in Grad Celsius. Dies bedeutet, dass in drei Grad kaltem Wasser ohne Schutzkleidung die „Nutzzeit“ nur rund drei Minuten beträgt.
Extratipp: In Monaten mit „R“ das Risiko eines Kälteschocks bei der Planung der Paddeltour berücksichtigen.


Gute Vorbereitung hält warm


Allen Risiken zum Trotz bleibt es dabei, dass Winterpaddeln eine tolle Erfahrung ist, die jeder unbedingt einmal testen sollte. Es ist lediglich wichtig, sich der Gefahren bewusst zu sein, um sich wirkungsvoll vor diesen zu schützen und sie gar nicht erst zum Thema werden zu lassen. Diese Auflistung ist allgemein und an alle Kanuten gerichtet. Für jede Sportart gelten natürlich auch unabhängig der Jahreszeit eigene Schutzmaßnahmen.

  1. Nichts für Anfänger
    Egal ob Wildwasser, SUP oder Wanderpaddeln. Keine dieser Sportarten lernt man im Winter. Erst wer sicher und kontrolliert paddelt, ist bereit für den Winter.
  2. Nicht der Wille entscheidet
    Sondern die Signale des Körpers. Kühlt ein Körper aus, arbeitet er auch Hochtouren um Eigenwärme zu produzieren. Muskelzittern tritt auf. Hat dies keinen Erfolg und kühlt der Körper auf unter ca. 32° C aus, werden die Extremitäten mit weniger Blut versorgt, um den Torso zu schützen. Dadurch sind die Gliedmaßen schwerer zu bewegen. Mit fatalen Folgen für einen Gekenterten, der sich aus dem Wasser retten muss. Daher sich unbedingt schon im frühesten Zustand einer Unterkühlung schnellstmöglich aufwärmen. Planen Sie als erste Winter-Tour einen kurzen ein- bis zweistündigen Ausflug in bekanntem Terrain, um Ihre Kraftreserven einzuschätzen zu lernen.
  3. Winterpaddeln kostet Kraft
    Um sich warm halten zu können und gleichzeitig die Energie zum Paddeln aufzubringen, braucht der eigene Körper Kraft. Daher nie hungrig, durstig oder leicht angeschlagen in den Ausflug starten. Sonst kann die Kraft des Körpers schlagartig absacken. Da viele Gaststätten entlang der Paddelrouten im Winter geschlossen sein können, auch an einen Snack und warme Getränke zur Stärkung denken.
  4. Nahe an sicheren Ufern
    Besonders im Winter geht Sicherheit vor, daher unbedingt eine Strecke nahe am Ufer wählen. Je nach Witterung (hohe Wellen, Sturm, Hochwasser, starke Strömung, Nebel, Kälte usw.) sollte der Paddelausflug verschoben werden.
  5. Die Ausrüstung macht den Unterschied
    An die Bedingungen des Winters angepasste Kleidung ist eine Investition in die eigene Sicherheit. Minimum ist ein spezieller Neoprenanzug für den Winter. Da dessen Wärmeisolierung und der Schutz vor Feuchtigkeit jedoch begrenzt sind, empfiehlt sich ein Trockenanzug mit dichten Abschlüssen an Armen und Hals. In Kombination mit Schuhen mit fester Sohle, Thermounterwäsche und -socken kühlt der Körper wesentlich langsamer aus, da Wasser gar nicht erst eindringen kann. Dabei auch Ohren und Hände nicht vergessen und mit einer winddichten Fleece- oder einer Neoprenmütze und -handschuhen schützen. Bitte unbedingt vor dem Ausflug testen, ob die Kombination Mütze und ggf. Helm gut sitzt.
    Vor allem Paddler mit einem hohen Risiko ins Wasser zu fallen sollten die Ausgaben für die Ausrüstung unbedingt vor dem ersten Ausflug auf dem eiskalten Wasser in Betracht ziehen. Die Beine können je nach Bootsgattung zusätzlich mit einer Spritzdecke warmgehalten werden. Für den Fall eines Sturzes auch an Wechselsachen in einer wasserdichten Tonne oder Sack denken.
    Extratipp: Beim Paddeln im ­Sonnenschein oder in Schneelandschaften Sonnenbrille und -schutz nicht vergessen!

  6. Nicht vergessen: Boot winterfit machen
    Vor jeder Fahrt das Boot einem kurzen Sicherheitscheck unterziehen, bevor es ins Wasser gelassen wird. Dabei auch auf mögliche Beschädigungen durch die letzte Fahrt achten. Nicht nur, aber besonders im Winter besonders wichtig: Sind im Kanu Auftriebskörper und Schlaufen zur Bergung vorhanden?
  7. Sicher im Team
    Wenn Sie sich für ein Paddeln in der Gruppe entscheiden, gewinnen Sie ein Extra-Plus an Sicherheit. Nicht nur im Falle einer Kenterung können Sie sich direkt auf Hilfe durch Freunde verlassen. Auch bei plötzlicher Erschöpfung oder Frieren können die Mitpaddler helfen und im Notfall schnell einen Notruf absetzen.
  8.  Weste für zusätzliche Isolation und Sicherheit
    Eine Schwimmweste kann alle Risiken des Winterpaddelns reduzieren. Zum einen isolieren die Schaumkörper zusätzlich. Zu anderen verleiht die Weste natürlich wichtigen Auftrieb. Für die erste Orientierung nach einem Sturz ins Wasser, wenn man noch schwer Luft kriegt. Und als hervorragendes Hilfsmittel zur Rettung bei Kenterungen.
    Extratipp: Unter einer Wassertemperatur von 15° C sollte man auf jedem Gewässer eine Weste tragen!
  9. Nicht nur im Winter…
    Eine Rettungsausrüstung ist in jeder Zeit unerlässlich und soll im Zusammenhang mit dem Winterpaddeln nur besonders erwähnt werden, die hier der Aspekt Sicherheit eine hohe Bedeutung hat. Wurfsack, Erste-Hilfe-Material, Rettungsdecke und ein wasserdichtes Handy hat jeder verantwortungsbewusste Paddler unbedingt bei jedem Paddelausflug dabei. Im Winter bitte zusätzlich an ein wasserunempfindliches Feuerzeug oder wasserdichtes Streichhölzer denken, um sich im Notfall an einem kleinem Feuer schnell aufwärmen zu können.

 

DKV-Hinweis
Bitte nicht zuletzt im Hinblick auf den Versicherungsschutz Vorsorge für die eigene Sicherheit und Rettung treffen. Daher unbedingt vorab bei der eigenen Versicherung über die Bedingungen informieren.

 

 


Weiterführende Links zum Thema Paddeln im Winter
 

Sicherheit

Sicherheits-Tipps
Sicherheits-Flyer
Unfall-Meldebogen
Notfallnummern

 


 


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KANU-SPORT 01/2016
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Fotos: Isrun Bolinger & Thomas Reschke



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