Über zwei Sekunden Vorsprung leuchteten im Ziel auf der Anzeigetafel auf, als die 16-jährige die Linie überquerte. Sekundenbruchteile später bekam das Boot der jungen Sportlerin zwei kräftige Schläge gepaart mit einem lauten Freudenschrei zu spüren. „Der Lauf war eigentlich optimal“ und es folgte nur noch eine Sportlerin. Da für Paulina Pirro klar, dass eine Medaille sicher ist. Doch die schnellste des Halbfinales Klara Kneblova (CZ) konnte ihren Heimvorteil nicht nutzen und blieb hinter dem fehlerfreien Lauf von Pirro zurück. „Ich bin super happy mit dem Ergebnis und dass ich sozusagen meinen Titel wiederhabe.“ Dabei war vor dem Lauf reichlich Nervenflattern angesagt, wie Jürgen Schubert berichtet: „Sie kam zehn Minuten vor ihrem Lauf zu mir und sagte, sie könne nicht fahren.“ Doch der erfahrene Bundestrainer ging nochmals im Schnelldurchlauf die Strecke mit ihr durch. Die unsichere Nachfrage zur angepeilten Zielzeit beantwortete er kurz: „Bestzeit, ganz einfach!“
An der Startlinie waren bei Pirro alle Zweifel beseitigt. Als sie beobachtete, wie die zuvor gestartete Tschechin Samkova das erste Aufwärtstor nur mit einem Schlag befuhr, kehrte neben Selbstbewusstsein auch ein wenig Risikofreudigkeit zurück: „Da habe ich mir gedacht: ‚Jetzt alles oder nichts – ich fahre das auch so‘.“ So bestätigte die Bronzemedaillengewinnerin der diesjährigen WM vor knapp vier Wochen ihre Leistungsstärke und stand dieses Mal – wie schon 2020 in Krakau – erneut ganz oben auf dem europäischen Treppchen.
Ebenfalls einen Traumlauf legte die Augsburgerin Emily Apel im K1 der U23-Damen auf die Moldau. Mit einer furiosen Fahrtzeit von 86,82 Sekunden hätte auch sie ganz nach oben greifen können. Keiner schaffte eine schnellere Fahrt. „Ich habe keinen hier gesehen, der eine bessere Linie gefunden hat“ lobte Bundestrainer David Krajnik. Doch leider kassierte die 20-jährige zwei Torstabberührungen aufgrund der enorm engen Fahrweise und landete mit 1,94 Sekunden Rückstand auf den Bronzerang. Nur eine Berührung weniger hätte also für den Titel gereicht. „Die Frage, ob ich Gold verloren, oder Bronze gewonnen habe, stellt sich für mich nicht. Ich bin einfach nur glücklich über meinen Lauf und die Medaille. Alles andere ist mir gerade egal“ strahlte sie im Ziel. Für Apel war es nach dem Europameistertitel in der Mannschaft am Donnerstag die erste Einzelmedaille überhaupt.
Eine weitere Bronzemedaille konnte der Bad Kreuznacher Joshua Dietz im K1 der U23-Herren für sich verbuchen. Gemeinsam mit seinem Teamkollegen Tim Bremer (KST Rhein-Ruhr) schaffte er die Hürde der besten 15 im Semifinale und konnte sich als zweitschnellster für den Entscheidungslauf qualifizieren. Hier lieferten sich beide ein starkes Rennen um die Ränge. Bremer war früh im Finale gestartet und führte das Klassement zunächst an. Doch für ihn sprang trotz des fehlerfreien Laufes am Ende nur der fünfte Rang heraus. Joshua Dietz startete unglücklich in den Lauf. Gleich am Aufwärtstor eins kassierte er eine zwei-Sekunden Zeitstrafe für eine Torstabberührung. Doch der 22-jährige ließ sich davon nicht abbringen, fuhr seine Linie ins Ziel. Als dort der zweite Rang aufleuchtete, konnte er es zunächst gar nicht begreifen, was gerade geschehen war. Nur einer, der Lokalmatador Jakub Krejci (CZ), folgte noch. Eine Medaille war somit sicher. Der Tscheche wurde seiner Favoritenrolle gerecht und kam mit 2,25 Sekunden Vorsprung vor Dietz ins Ziel, der schließlich die Bronzemedaille gewann. Es war dann sein Mannschafts- und Trainingskollege Bremer, der ihn als erster überhaupt in den Arm nahm und gratulierte. „Es ist ein Team. Heute der eine – morgen der andere“ war im Ziel nur zu hören.
Text & Fotos: Philipp Reichenbach