Der Klimawandel und gute Bekleidungstechniken haben dazu geführt, dass sich die Paddelsaison verlängert hat. Dadurch entstehen allerdings Konflikte mit der Natur.
Der Klimawandel und gute Bekleidungstechniken haben dazu geführt, dass sich die Paddelsaison verlängert hat. Dadurch entstehen allerdings Konflikte mit der Natur.
Von Antje Schnellbächer-Bühler, Referentin Ökologie im DKV-Ressort Umwelt und Gewässer
Die großen Seen, aber auch viele kleinere Gewässer sind wichtige Rast- und Überwinterungsplätze für Zugvögel. Zu Zehntausenden kommen sie zum Beispiel an den Bodensee, wo sie in den Flachwasserzonen Nahrung und Ruhe finden. Hier können sie Kraft tanken für den Weiterflug oder für die Überwinterung. Sie haben schon einen weiten Weg hinter sich und vielleicht auch noch vor sich. Bereits ab Oktober, meist im November/ Dezember treffen die großen Vogelschwärme ein. Zu einer Zeit also in der früher kein Wassersport mehr stattgefunden hat, abgesehen von extrem wenigen Ausnahmen. Viele Tiere kommen aus dem hohen Norden Europas und Sibiriens, also aus dünn besiedelten Gebieten, in denen sie Menschen nur selten begegnet sind. Anders als die Wasservögel, die den Sommer in Deutschland verbringen, hier vielleicht sogar gebrütet haben, sind die Zugvögel an die Menschen und die vielfältigen Freizeitaktivitäten am und auf dem Wasser nicht gewöhnt.
Und hier beginnt das Problem: diese Vögel sind sehr störanfällig. Schon harmlose Begegnungen mit Spaziergängern können Stressreaktionen auslösen.
Stressreaktionen oder auch Störreaktionen sind nicht erst das Fliehen bzw. Auffliegen. Schon bevor die Vögel eine sichtbare Reaktion zeigen, steigt der Stresspegel und damit der Energieverbrauch. Es werden Stresshormone ausgeschüttet, die eine Erhöhung von Atemfrequenz und Herzschlagrate auslösen, ganz wie bei uns Menschen. Bei häufigen Störungen sind sie insgesamt nervöser, was noch mehr Energie verbraucht. Stress kann auch bei Tieren chronisch werden. Als nächstes reagieren die Tiere mit Wegschwimmen oder Abtauchen. Erst als letztes Mittel fliegen sie auf, da dies die meiste Energie verbraucht. Energie, die die Tiere dringend brauchen, um durch den Winter zu kommen. Denn wenn wir längst wieder warm eingekuschelt auf dem Sofa sitzen und der Neo im Heizungskeller trocknet, sind die Tiere immer noch draußen auf dem Wasser, bei Wind und Wetter.
Das Nahrungsangebot ist im Winter auch nicht mehr so üppig wie im Sommer und die kürzeren Tage verkürzen die Zeit der Nahrungsaufnahme. Wenn die Vögel die Zeit mit Herumfliegen und Zurückkehren zum Nahrungsplatz verbringen, fehlt diese Zeit zur Nahrungsaufnahme.
An geeigneten Stellen für die Futtersuche kommen oft große Gruppen zusammen. Der „Schwarm“ bietet auch Schutz- viele Augen sehen mehr als zwei! Das führt zu den berüchtigten Massenstarts: Wenn ein Vogel auffliegt, reißt er andere mit. So können zehntausende Vögel auffliegen und sich der Störeffekt auf eine große Distanz auswirken.
Die Tiere fliehen über unterschiedlich große Strecken und kehren erst nach einiger Zeit zurück. Manchmal, wenn die Möglichkeit besteht, ziehen sie sich an andere Gewässer oder Gewässerabschnitte zurück, wo es für sie hoffentlich ruhiger zugeht. Über kurz oder lang kehren sie aber zurück. Sie sind auf das Futter angewiesen, oder auf die windstille Bucht. Auch dieser Weg braucht wieder Kraft. Werden sie dann wieder gestört, beginnt das Ganze von neuem, ein Teufelskreis.
Schon jetzt kann nachgewiesen werden, dass bei regelmäßigen Störungen –und das können auch wenige, über den Tag verteilte Einzelereignisse sein- sich das Verhalten der Tiere ändert: Sie ziehen früher zum Schlafplatz, sie suchen - weniger erfolgreich - Nahrung in der Nacht, sie meiden eigentlich gute Nahrungsplätze. All das führt zu einer verminderten Fitness, die die Überlebensrate senkt und auch den Bruterfolg im nächsten Jahr verringern kann.
Störungen im Winter führen mehr noch als im Sommer zu Stress, Energieverlust, weniger Zeit für die Nahrungsaufnahme, geringerer Nutzung der Nahrungsressourcen, Verhaltensänderungen und damit in der Summe zu verminderter Fitness und Überlebensrate. Klimawandel und Insektensterben (einige Tiere fressen die im Wasser lebenden Insektenlarven) machen den Tieren zusätzlich zu schaffen.
Mehr noch als im Sommer gilt, unbedingt die Schutzzonen einzuhalten und sich von Vogelansammlungen fernzuhalten.
Und „fern“ kann in diesem Zusammenhang wörtlich genommen werden. Welche Distanz angemessen ist, lässt sich nicht an einer absoluten Zahl festmachen. Man sollte die Tiere gut beobachten. Sobald die ersten beginnen, ihre Aktivität schwimmend zu verstärken, sollte man den Abstand vergrößern oder einen anderen Kurs wählen.
Auch finden sich rastende und überwinternde Vögel immer wieder an den gleichen Stellen. Man sollte also überlegen, ob man im Winter unbedingt in diesen Bereichen unterwegs sein muss, oder ob es andere Gewässer(-abschnitte) gibt, die weniger empfindlich für die Vogelwelt sind.
Der Spaß an unserem Sport sollte nicht zu Lasten anderer Lebewesen gehen! Mit rücksichtsvollem Verhalten können wir aktiv zum Erhalt der Biodiversität auf unseren Gewässern beitragen.
KANU-SPORT 1/2021 |