16. März 2023

Sicherheitstipps zum Saison-Start

Nicht nur an der Soca ist Sicherheit ein wichtiges Thema (Foto: Stefan Bühler)

Jedes Jahr aufs Neue können es Millionen Paddlerinnen und Kanuten im Frühling nicht abwarten ihre Boote endlich wieder aus der Garage und dem Vereinslager zu holen, um bei den ersten warmen Sonnenstrahlen die erste Tour im Jahr zu genießen. Dabei sollten beide – Mensch und Material – ausreichend fit und vorbereitet sein.

Von Stefan Bühler, DKV-Ressortleiter Sicherheit und Material


Unfallprävention

Unfälle geschehen nicht zufällig. Unfälle passieren durch eine Verkettung von Unfallursachen, wie anhand des „Schweizer-Käse Modells“ nach Reason (s. Abbildung) aufgezeigt. Jedes Loch in einer der Käsescheibe stellt dabei eine Unfallursache dar. Je größer das Loch, desto größer der Mangel, bzw. desto größer das Unfallrisiko. Auf den Kanusport übertragen können das z.B. die fehlerhafte Fahrtenplanung, die mangelnde eigene Erfahrung, die falsche oder fehlende Ausrüstung, das fehlende eigene Können oder Sonstiges sein.
Im vorliegenden gedachten Beispiel wurde bei der Planung ein Wehr übersehen. Auf dem Wasser wurde das Wehr zu spät erkannt, ein Aussteigen vor dem Wehr war nicht mehr möglich. Der Kanute fuhr über das Wehr und blieb im Rücklauf hängen.
Beim gedachten Beispiel rechts in der Abbildung des „Schweizer-Käse Modells“ wurde das Wehr bei der Planung als fahrbar eingeschätzt. Durch die Situation vor Ort (z. B. hoher Wasserstand) entschied sich der Kanute, rechtzeitig vor dem Wehr anzulanden und es zu umtragen oder evtl. überhaupt nicht auf das Wasser zu gehen. Ein Unfall wurde verhindert. Je nach Beispiel kann man aber auch von einem Beinahe-Unfall sprechen.
Dieses Modell lässt sich natürlich auch auf andere Unfälle und die dazugehörigen Unfallursachen übertragen. Jeder, der schon mal einen Unfall oder Beinahe-Unfall erlebt hatte, sollte diesen reflektieren und die Unfallursachen herausarbeiten, um auf die nächste Situation besser vorbereitet zu sein.
Um Risiken bei einer Befahrung besser einschätzen zu können, kann auch eine Risikomatrix helfen.

Hier wird die Eintrittswahrscheinlichkeit mit dem möglichen Schadensmaß in Relation gesetzt. Grün markierte Bereiche sind akzeptabel, rot markierte Bereiche sind inakzeptabel. Zwischendrin liegen die gelb markierten Bereiche, die nach eigenem Ermessen inakzeptabel oder akzeptabel sind. So ist z.B. die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Kenterung für einen Anfänger recht hoch, auf der andern Seite sind die Auswirkungen in einem abgesicherten Bereich (z.B. Hallenbad) gering. Wir sind also im grünen Bereich. Beim Paddeln im Winter ist die Gefahr einer Unterkühlung wahrscheinlich; zumindest kommt sie gelegentlich vor. Je nach Gewässer und Situation (Schwall, Schiffsverkehr, Abgelegenheit) kann das Schadensmaß dabei aber von geringfügig bis katastrophal reichen. Hier sind wir dann schon im gelb bzw. rot markierten Bereich. Die Befahrung des Rheinfalls oder anderer hoher Wasserfälle ist für die meisten Paddler definitiv im roten Bereich, was die Eintrittswahrscheinlichkeit und das Schadensmaß anbelangt. Einen Profi in diesem Bereich mag zwar die Eintrittswahrscheinlichkeit senken, so dass er z.B. in einen gelben oder grünen Bereich kommt. Das Schadensmaß ist im Groben und Ganzen aber unabhängig von der Erfahrung und dem Können des Paddlers. Das Restrisiko ist je nach Situation unterschiedlich hoch. Ob man dies tragen möchte, ist zwar eine persönliche Entscheidung, aber auch die Situation der Mitpaddler ist zu betrachten. Dieser Zwiespalt ist in dem Film „Chasing Niagara“ sehr gut aufgezeigt, als Rafa Ortiz letztendlich auf die Befahrung der Niagarafälle, auch um Sorge um seine Gruppe aufgibt. Die Grenzen der Übergänge sind unscharf und für jeden Paddler anders. Daher soll die Tabelle eine grobe Hilfe bei der Entscheidungsfindung sein.
Um ohne Unfall nach Hause zu kommen, sind die An- und Abfahrt natürlich auch zu berücksichtigen. Hier kommen dann auch noch die Aspekte des Straßenverkehrs sowie kanutechnisch die Ladungssicherung hinzu. Zur Ladungssicherung sei auf die beiden Artikel im KANU-SPORT (05/2016 und 06/2016) hinweisen.


Wehre

Wehre sind ein künstliches Hindernis und gehören eigentlich nicht zum Kanusport. Der Verzicht auf eine Befahrung ist keine Schande und sollte eigentlich die Regel sein.

Wehre begegnen den meisten Kanuten regelmäßig bei ihren Fahrten und sicher ist jeder schon einmal das eine oder andere Wehr gefahren. Wer diesen Artikel liest, für den ist das offenbar gut ausgegangen, aber das ist leider nicht immer der Fall. Schaut man auf die Unfallstatistik des DKV, kommt es jedes Jahr zu schweren Unfällen an Wehren. Hinzu kommen die nicht gemeldeten Unfälle sowie die Unfälle mit Badegästen. Wehre sind ein künstliches Hindernis und gehören eigentlich nicht zum Kanusport. Der Verzicht auf eine Befahrung ist keine Schande und sollte eigentlich die Regel sein. Im Falle eines Unfalls sollte man trotzdem wissen, was zu tun ist, bzw. welche Gefahren es auch für mögliche Retter gibt.

Je nach Bauform des Wehres kann es nicht sichtbare Strömungen und Unterspülungen geben. Aufgrund der Strömungsverhältnisse und der Stärke der Strömungen ist eine Eigenrettung meist nicht möglich. Durch Treibgut im Rücklauf besteht Verletzungsgefahr. Durch festliegendes Treibgut oder Schrott bzw. Schäden am Wehr unter Wasser besteht Verklemmungsgefahr. In der Dynamik des Rücklaufs verliert ein Schwimmer (Opfer sowie Retter) schnell die Orientierung. Das stark mit Luft durchsetzte Wasser bietet keinen Auftrieb. Selbst ein Schwimmer mit Rettungsweste kann sich daher kaum an der Oberfläche halten. Durch die Walze kann sich ein zugeworfenes Rettungsseil so um den Schwimmer wickeln, dass sich dieser nicht mehr selbst vom Seil lösen kann. Die gleiche Gefahr gilt auch für einen angeleinten Schwimmer. Die Notauslösung der Cow-Tail-Befestigung hilft in diesem Fall nicht mehr.

Steilwehr mit gefährlichem Rücklauf

Eine Rettung aus einem Wehr sollte gut überlegt und gut vorbereitet sein. Dazu gehört, dass man eine solche Situation vorab schon einmal geübt hat, um die richtige Technik anwenden zu können. Das praktische Einüben sollte an bekannten Stellen z.B. auf einem Wildwasserkanal oder an kleinen Walzen auf einem Fluss unter bestmöglicher Absicherung erfolgen. Die Übungsstelle sollte so beschaffen sein, dass der Übende sich selbst aus dem Rücklauf retten kann, während seine Kameraden die Aktion von außen absichern. Für die Rettung bei Wehrunfällen gehört neben der sichereren Beherrschung des Wurfsacks auch der Aufbau einer Seilüberspannung, das Einbringen von Schwimmkörpern (z.B. auch Kajaks) und in letzter Konsequenz auch der Einsatz eines angeleinten Springers.
Jeder, der ein Wehr befährt, sollte sich aber im Klaren darüber sein, dass er nicht nur sein eigenes Leben riskiert, sondern auch das seiner eigenen Kameraden, die ihn ggf. anschließend aus dem Rücklauf ziehen müssen. Für die möglichen Retter sei nochmals betont, dass das Wichtigste in einer Unfallsituation das eigene Leben ist. Grundsätzlich muss und sollte sich niemand in Lebensgefahr begeben, um einen anderen zu retten.


Wurfsack & Co

Wurfsack, Schleppleine, Leash & Co sind wichtige Teile unserer Sicherheitsausrüstung. Trotzdem sind Seile auf fließendem Wasser an sich selbst ein Sicherheitsrisiko. Sie können den Paddler selbst, andere Paddler und auch Opfer in Not bei nicht sachgemäßer Benutzung gefährden. Die richtige Verwendung unserer Sicherheitsausrüstung ist essentiell und muss unbedingt regelmäßig geübt werden. Wird mit Seilen am Wasser gearbeitet, muss immer ein Messer griffbereit sein, um das Seil im Notfall kappen zu können. Feste Einhandmesser sind hier zu bevorzugen, da diese auch bei Kälte noch bedient werden können.
In der Trendsportart SUP gab es zuletzt leider ­einen tödlichen Unfall auf der Elbe, bei dem sich die ­Leash um eine Boje wickelte und Board und Paddler stromabwärts auf beiden Seiten der Boje festgehalten wurden. In diesem Fall wäre aufgrund der Rahmenbedingungen (die Gefahr des Materialverlusts war hier gering) der Verzicht auf eine Leash wahrscheinlich angebracht gewesen. Wenn eine Leash nötig ist, sollte die Notauslösung der Leash beim SUP in mindestens in Knie oder Hüfthöhe angebracht sein. Hier kann die Notauslösung auch noch in der Strömung erfolgreich ausgelöst werden.

Wurfsack mit Clean Line.

Kommen wir zum Wurfsack, die wichtigste Sicherheitsausrüstung im Wildwasserbereich. Im KANU-SPORT 09/2017 wurde die richtige Anwendung des Wurfsacks bereits erläutert. Ergänzend hierzu die Erklärung des „Clean-Line“-Prinzips, das von vielen Sicherheitsexperten favorisiert wird:
Nach dem Clean-Line-Prinzip verzichtet man beim Wurfsack auf die Schlaufe im Seil an dem Ende, das der Werfer festhält (Bsp. Bild #SB oder Palm „Clean Line“). Bei den meisten Wurfsäcken, die im Handel erhältlich sind, ist eine entsprechende Schlaufe inkl. Plastiküberzug bereits vorgefertigt. Diese Schlaufe kann aber leicht selbst entfernt werden. Dies hat wichtige Vorteile:

  1. Kann man bei einer Rettungsaktion den Wurfsack, an dem sich z.B. ein Schwimmerfesthält aufgrund der starken Strömung nicht halten, vermindert sich beim Abschwimmen die Gefahr, dass das lose Seilende sich irgendwo verhakt. Nehmen wir das o.a. Beispiel einer Rettung aus einem Rücklauf. Der Schwimmer verwickelt sich im Rücklauf im Seil und wir freigespült oder wird durch den Retter aus dem Rücklauf gezogen. Aufgrund der Strömung ist es aber nicht möglich den Schwimmer an das Ufer zu ziehen. Das Seil muss losgelassen werden. Verklemmt sich nun das Seilende, wird das Opfer durch die Strömung unter Wasser gedrückt. Eine Eigenrettung ist nicht mehr möglich. Ob eine Rettung von außen möglich ist, ist dann fraglich. Diese Situation ist nicht unwahrscheinlich. Die Kraft der Strömung wird hierbei gerne unterschätzt. Auch bei Fahrten im Touring-Bereich kann es zu solchen Situationen kommen.
  2. Bei der Verwendung eines Wurfsacks als Flaschenzug in einer Bergesituation, wird ein Blockieren des Flaschenzugs vermieden.

Natürlich ist eine Schlaufe auf der Werfer-Seite des Wurfsacks in einigen Fällen sinnvoll. Meistens wird sie aber in Bergeaktionen benötigt, die einem genügend Zeit geben, eine entsprechende Seilschlaufe selbst zu binden.


Verbesserungen am Wurfsack

  • Entfernung der Schlaufe auf der Werfer Seite des Wurfsachseils (s.o.).
  • Entfernung des Plastik-Überzugs und Verkürzung der Schlaufe am Wurfsackende. Die Entfernung des Plastiküberzugs gewährleistet die schnelle Trocknung der Wurfsackschlaufe. Durch den Plastik-Überzug wird die Trocknung verhindert. Es entsteht dadurch die Gefahr der Schimmelbildung und damit der Schwächung des Seils im Bereich der Schlaufe.
Wurfsack mit verkleinerter Schlaufe

Die Verkleinerung der Schlaufe am Wurfsackende sollte verhindern, dass ein mögliches Opfer die Hand durch die Schlaufe stecken kann und damit in der Strömung unlösbar mit dem Wurfsack verbunden ist. Neben der bereits oben beschrieben Gefahr durch die Verklemmung bei einem frei schwimmenden Wurfsack, besteht auch die Gefahr des Fingerbruchs durch die Belastung auf Zug und die Gefahr des unkontrollierten Abtauchens in der Strömung.
Die Benutzung des Wurfsacks muss geübt werden, auch in der Strömung. Die Kraft der Strömung wird oft unterschätzt. Im schlimmsten Fall gibt es dann zwei Opfer und ein loses Seil. Wichtig ist ein sicherer Stand des Werfers und ein Standpunkt, der es ihm erlaubt, den Schwimmer am Wurfsack in ein Kehrwasser einzupendeln. Eine Sicherung des Werfers durch einen weiteren Kameraden sollte in Betracht gezogen werden. Oft wird vergessen, vor dem Wurf Sichtkontakt mit dem Schwimmer / Opfer aufzunehmen. Ein präziser Wurf, den der Schwimmer nicht erkennen kann, ist wertlos und erfordert einen oder mehrere Nachwürfe und gefährdet in Extremfällen das Leben des Schwimmers. Also besser Sichtkontakt herstellen und im richtigen Moment werfen.

 

Zum Schluss noch zwei Praxistipps

  1. Befestigung Notauslösung
    Schnalle mit einfacher (oben) und
    doppelter (unten) Durchführung

    Aufgrund des Kostendrucks bei den Herstellern ist die Befestigung des Notauslösesytems auch bei namhaften Herstellern verbesserungswürdig. Bei einer einfachen Schlaufung besteht die Gefahr, dass sich die Reep-Schnur der Notauslösung in der Schnalle der Schwimmweste verklemmen kann. Das kann im Ernstfall zu einer Blockade der Notauslösung führen. Führt man die Reep-Schnur jedoch durch eine doppelte Bohrung in der Schalle und parallel zur Perle des Notauslösesystems wird diese Gefahr minimiert.
       

     

  2. Verbesserung Cow-Tail-Bergesystem
    Cowtail mit fixiertem Karabiner

    Aufgrund der Naht im Bereich der Karabinerbefestigung des Cow-Tails kann es je nach Produktion zu einem mehr oder weniger großen Spiel des Rettungskarabiners am Cow-Tail kommen. Das kann bei Rettungs- oder Bergeaktionen zu Verzögerungen und Sicherheitsrisiken führen. Durch eine Fixierung mit einem Gummi (Ski-Sport) kann der Karabinier im Cow-Tail fixiert werden und liegt dann bei Rettungs- und Bergeaktionen sicher in der Hand und fertig zum Einklinken.
   

Zum Abschluss das Wichtigste!

Alle Sicherheitsvorkehrungen oder -techniken, die man nicht beherrscht sind nutzlos oder gar gefährlich. Deshalb üben, üben, üben,...!

 


 

 

 


Diesen Artikel sowie weitere Touren, Beiträge und Themen findest du im KANU-SPORT 4/2018:

KANU-SPORT 4/2018
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