06. Juli 2023

TechnikCheck: Manöver in der Brandung

Brandungszonen sind das Salz in der Suppe für jeden Seekajaker. Kein anderes Revier zeigt dir so deutlich deine Grenzen auf. Gleichzeitig kannst du auch nirgendwo besser deine Skills trainieren als hier. Willst du deine Paddelkompetenzen weiterentwickeln, heiße die Brandung willkommen. (Foto: Thomas Klinkenberg)

TechnikCheck mit dem EPP: Der kleine (?) Unterschied. Während Wildwasserkajaks mit ihren flachen Unterschiffen über die Wasseroberfläche gleiten, schneiden Seekajaks das Wasser. Die spurtreuen Seekajaks sind deshalb anders zu steuern und zu lenken. In mehreren Beiträgen wollen wir euch einige Schlüsseltechniken zeigen und beschreiben. Dieses Mal: der Manöver in der Brandung.

Von Lars Everding, DKV-Referent Ausbildung Küste

TechnikCheck: Manöver in der Brandung


Starten in der Brandung

An unserer norddeutschen Tidenküste und an vielen Stränden der Ostsee startest du von einem Sandstrand aus in die Brandung. Denk daran dich vorher zu vergewissern, dass dein Boot und Equipment den notwendigen Sicherheitsanforderungen entspricht (siehe Safety First). Dazu gehört auch das du beim Training deine Aufklappsteueranlage demontierst, und dein Skeg komplett  einfährst, um Verletzungen deiner Mitpaddler oder Beschädigungen am Steuer bzw. Skeg zu vermeiden.
 

Beim Robbenstart ist es besonders wichtig, den Bug im Neunzig-Grad-Winkel zur anrollenden Brandung auszurichten. Dann heißt es, sich per Handarbeit dem Wasser und den Wellen zu nähern.

Starten im Team: Ist man zu zweit nutzt du beim Starten die Unterstützung deines Mitpaddlers. Dieser stellt sich mit dem Rücken zur Brandung und nimmt deinen vorderen Cockpitbereich zwischen seine Beine. So kann er dich mit dem Rücken vor den Wellen schützen und gleichzeitig dein Boot stabilisieren und somit ein Querschlagen verhindern. Nach dem du dich klariert hast, verlässt dein Partner seine Position und schiebt dich noch einmal von hinten an.
Solo-Start: Bist du alleine oder in der Gruppe der letzte an Land nutzt du den Robbenstart. Der Name ist in diesem Fall Programm. Du suchst dir die Linie, in der die höchsten Wellen noch etwas Wasser auf den Strand spülen, positionierst die Spitze deines Bootes so, dass sie im rechten Winkel zu den Wellen ausgerichtet ist (nicht zur Wasserlinie), setzt dich ins Boot, schließt die Spritzdecke, greifst dein Paddel in der Mitte mit deiner Hand auf der windabgewandten Seite und stößt dich mit deinen Fäusten fest vom Strand ab. Hierbei bleibst du in maximaler Körpervorlage und „robbst“ im Sand nach vorne. Fängt dein Boot an leicht aufzutreiben, kannst du jetzt das auf der windabgewandten Seite geführte Paddel als Hebelverlängerung seitlich hinter deinem Boot im Sand verankern und dich damit zusätzlich abstoßen. Das Einsetzen dieses Hebels auf der richtigen Seite verhindert ein Querschlagen deines Bootes durch den seitlichen Winddruck.
Resettechnik (Neustart): Solltest du nun doch durch den Wind oder durch die brechenden Wellen quer schlagen, kannst du die Situation noch einmal bereinigen und den Startvorgang durch folgende Technik resetten (neustarten). Werfe dich mit deinem Oberkörper kräftig zu einer Seite (am besten zur Seeseite) und bringe das Boot dadurch 90° in Seitenlage. Schon kannst du mit etwas Druck mit deinen Armen im Sand das Boot erneut wieder ausrichten. Diese Technik kannst du so oft wiederholen bis der Start geklappt hat. Schwimmt dein Boot jetzt vollständig auf kannst du mit kurzen kräftigen Paddelschlägen dein Kajak aus der Flachwasserzone beschleunigen.

   


Überwinden der Brandungszone

Jetzt bleibt es weiter spannend. In der Regel folgen jetzt je nach Brandungsintensität einige sich brechende Wellen unterschiedlicher Höhe und Intensität, die es nun zu durchfahren gilt. Häufig ist es gar nicht die einzelne Welle in ihrer Höhe und Kraft die dir Probleme bereitet. Die Erste lässt sich noch gut überwinden, die Zweite aber lauert auf dich und erwischt dich häufig unvorbereitet. Also was kannst du tun? Das Zauberwort heißt in diesem Fall Timing und das richtige Setup. Du musst an der richtigen Stelle zum richtigen Zeitpunkt in das richtige Setup kommen und zwar immer wieder solange, bis du die letzte Brandungswelle überwunden hast. Das kann je nach Wellenintensität und enger Abfolge (Frequenz) durchaus anstrengend sein.
 

Hat man es geschafft, das Boot vom Strand in die Brandung zu Bugsieren, heißt es Gas geben. Eine starke Brandungswelle kann einen schnell wieder zurück an den Strand katapultieren.

Kommen wir zu deinem Setup:

Idealerweise befindest du dich soweit vor der brechenden Welle, dass diese zum großen Teil ihre Energie und Höhe durch das Brechen ihres Wellenkammes schon abgebaut hat. D.h. die Welle ist nicht mehr steil und hoch, sondern sie bildet mit Ihrem Walzenschaum eher eine Rampe den du zum Über- bzw. Durchfahren nutzen kannst. Wenn jetzt deine Bootspitze in den Walzenschaum sticht bleibst du schwerpunktneutral mit deinem Oberkörper aufrecht, ziehst dein Paddel noch einmal in der Durchzugphase zur optimalen Beschleunigung durchs Wasser, um dann in dem Moment, wo dein Körper durch die Welle sticht, mit deinem Paddel in Speerhaltung über die Welle zu greifen und im selben Moment dein Becken und Boot explosiv nach oben vorne zu schieben und dabei dein aktives Paddelblatt durch das Kanten deines Bootes so tief wie möglich im Grünwasser zu verankern. Deine daraus resultierende Körpervorlage verhindert das Aufsteigen deines Bugs und führt dich direkt in die nächste Bereitschaftshaltung (Setup) für deine folgenden Aktivitäten. Dein weiterer Erfolg hängt jetzt wieder von deinem Timing und deiner Antizipationsfähigkeit ab. Dein geschultes Auge sollte jetzt erkennen, ob die nächste Welle schon „reif“ zum Durchfahren ist. Konsequenterweise musst du in dieser Phase dein Boot entweder beschleunigen oder eben verzögern, um zum richtigen Zeitpunkt in die nächste Welle zu stechen.  Denn das nächste Setup muss genauso passen, damit dir ein Überwinden der Brandungslinie gelingt.


Quer zur Welle/Seitsurf

Auf der Seeseite einer Insel lässt sich das Queren von Brandungszonen nicht immer vermeiden. Aber auch hier gibt es ein paar Überlegungen die dir das Fahren, quer zur brechenden Welle, vereinfachen können.

Durch das Lehnen in Richtung Walzenpolster kommst du in den "Seitsurf".

Die Wellen mit Walzenkamm kommen mehr oder weniger regelmäßig von der Seeseite. Sie bauen sich auf, brechen sich und schieben dich im Schaum Richtung Land. In der Regel sind diese brechenden Wellen in ihrer Länge begrenzt und zu ihrer Nachbarwelle seitlich und zeitlich versetzt. Häufig reicht es zum Ausweichen schon aus, wenn du dein Boot mit kurzen Schlägen beschleunigst oder abbremst, um den brechenden Hauptkämmen auszuweichen und die sich durch den zeitlichen Versatz entstehenden Korridore nutzen zu können.
Okay, früher oder später wird dich einer dieser Brecher in der Regel dann doch erwischen. Dafür solltest du dich vorbereiten. Nochmal kurz zur Wiederholung. Die grüne Welle ist für dich neutral, nur die Wellen mit Schaum wirken auf dich ein.
Das Boot wird Richtung Wellental umgeworfen. Jetzt kommt deine Technik „Leaning“ zum Einsatz. Du verlässt deinen Systemschwerpunkt und lehnst dich je nach Wellengröße auf das Walzenpolster. Bei kleineren Wellen mit viel Gefühl und unterstützt durch eine flache Stütze in dem du das Paddelblatt in den Schaum legst, um zusätzlichen dynamischen Auftrieb zu erzeugen. Dein Ziel ist es, ein Kräftegleichgewicht zu erreichen. Die Kraftvektoren des Lehnes und des Drehimpulses gleichen sich aus. Ein in sich stabiles System entsteht und du kommst in den „Seitsurf“. Wenn die Welle an Kraft verloren hat, richtest du dich wie bei der flachen Stütze beschrieben, wieder auf. Je stärker und höher der Brecher, desto stärker musst du dich lehnen. Bei größeren Brandungswellen ab 2 m reicht ein einfaches Lehnen häufig nicht aus, um eine Kenterung zu vermeiden. Hier musst du etwas engagierter zu Werke gehen. Du verzichtest auf die flache Stütze und wirfst dich im Setup einer Bogenschlagrolle beherzt mit dem Rücken in den Walzenkamm. Der Rücken und die Schultern bekommen Auftrieb und erweitern somit die notwendige Unterstützungsfläche um dein komplettes Kentern zu verhindern. Das Praktische dabei, du liegst dabei direkt im richtigen Setup zum anschließenden Aufrollen.

 

Seefahrers Wissen - Wieso brechen Wellen?

Zum Wirkprinzip der sich brechenden Welle: Das Schaumpolster ist Luft durchsetzt und fängt unser Boot sozusagen ein. Das Boot rutscht im Walzenschaum in der Geschwindigkeit der Welle über dessen Wellenschulter. Somit entsteht durch die Bewegung des Bootes zum Wasser und der dadurch entstehenden Reibung ein Drehimpuls zur Längsachse des Bootes und zwar in Richtung Wellental und somit Richtung Land.
 

 

Anlanden/Surf

Wenn du nicht für immer auf See bleiben willst, musst du wohl früher oder später in den sauren Apfel beißen und dich für einen Weg durch die Brandung ans Ufer entscheiden. Seekajaks sind mit ihrer langen Kiellinie keine brandungsoptimierten Sportgeräte. Kontrolliertes Fahren fordert viel Erfahrung und ein gutes Auge für die Situation.

Wer ablandet, der muss auch anlanden. Das sollte jedem bewusst sein, der bei Wind und Welle den sicheren Hafen verlässt. Hilfreich bei der Planung ist es daher, nach windgeschützte Ecken, Häfen oder Naturhäfen zu suchen.

Kommen wir zur Praxis: Als erstes fährst du dein Skeg komplett oder je nach Bootsform zu ¾ ein. Dadurch bleibt dein Boot über Kanten und Lehnen manövrierfähig und es kommt später in Ufernähe nicht auf Grund und wird beschädigt. Möchtest du in Vorwärtsfahrt anlanden, gilt es zur Orientierung erst einmal die Linie zu finden, auf der die Wellen anfangen sich zu brechen. Hast du diese Linie gefunden, kannst du die Wellen, die unter dir durchrollen, vor dir brechen sehen. Während du auf der noch grünen Welle durch langsames Rückwärtspaddeln deine Position hältst, versucht du den Wellenrhythmus zu spüren und dann die größte grüne Welle noch unter dir durchrollen zu lassen. Dieser vor dir brechenden Welle folgst du dann bis dich die folgende Welle einholt. Jetzt hast du zwei Möglichkeiten. Du paddelst kräftig rückwärts, um dann auf der jetzt kleineren Welle auf dem oberen Walzenkamm zu bleiben. Dein Heck und dein Bug sind bei diesem Setup frei und du kannst dein Kajak gut über die Hüfte mit Konterschlägen steuern (Top Turn). Die andere Möglichkeit ist, dass du dein Kajak, sobald du merkst, dass dein Heck von der Welle angehoben wird, mit kräftigen Schlägen so beschleunigst, dass du vor dem Wellenkamm im unteren Bereich der Wellenschulter bleibst. Auch hier bleibt dein Boot manövrierfähig und du kannst es durch Heckruderschläge in der Richtung korrigieren (Bottom Turn). Wenn du in Strandnähe in den flachen Uferbereich kommst, sorgst du als vorausschauender Seekajaker vor und öffnest schon mal deine Spritzdecke, fädelst deine Beine beidseits aus der Luke und kannst so deine Geschwindigkeit reduzieren und deine Stabiltät erhöhen. Sobald es flach genug ist, kannst du beherzt dein Kajak verlassen und zwar bevor es am Strand in der letzten Welle quer schlägt.

 

Spüre den Flow

Dein persönliches Energiemanagement spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Lerne mit deinen Ressourcen hauszuhalten. Versuche im submaximalen Belastungsbereich zu bleiben. Kontrolliere deine Atmung, bleibe in der Vollatmung (Zwerchfell, Brust und Lungenspitze). Agiere dabei ruhig und fokussiert. Differenziere zwischen Ruhe- und Belastungsphasen. Baue dir zwischen den Wellen kleine lohnende Pausen ein die du mit deinem Atemrhythmus kombinierst. Komme in deinen eigenen Flow.
 

 

 

 


 

 

 


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