14. September 2023

Wiedererwecktes Engagement brachte die Wende

Beim Piratenwochenende 2016 war damals viel los. Der Startschuss für einen Neuanfang bei der Kanu-Abteilung des Castroper Turnvereins. (Foto: Castroper TV 1874, Abteilung Kanu)

Vereine im Porträt. Was zeichnet sie aus und wie fallen sie auf? In seiner Serie „Kanu-Vereine im Blick“ stellen wir in loser Folge einen Club und seine Mitglieder in den Fokus. In diesem Beitrag präsentieren wir die Kanuabteilung des Castroper Turnvereins 1874 e.V. Noch vor vier Jahren galt er wohl eher als „graue Maus“ in der Vereinslandschaft Nordrhein-Westfalens. Die Mitgliederzahl dümpelte bei etwa 40 vor sich hin, Vereinsaktivitäten ließen zu wünschen übrig und von einer Jugendarbeit konnte erst recht keine Rede sein. Heute, ist der Verein kaum wiederzuerkennen.

Von Hans-Peter Wagner 
(Fotos: Castroper TV 1874, Abteilung Kanu)

Der Castroper TV möchte den Kindern und Jugendlichen eine tolle Zeit im und am Bootshaus bieten.

Kanu-Abteilungsleiter Oliver Kalweit muss sich manchmal selbst kneifen, ob das wahr ist, was seit 2015 passiert ist. Den damals 37-Jährigen hatte die missliche Situation im Verein gestört und so entschloss er sich kurzerhand, die Leitung der Kanuabteilung zu übernehmen. Die Bedingungen beim Start waren alles andere, als man sich bei der Übernahme einer neuen Funktion wünscht: Unter den mehr oder weniger aktiven etwa 40 Vereinsmitgliedern fanden sich gerade mal vier Kinder – passive Mitglieder –, es gab keine Übungsaktivitäten und schon gar keinen Wettkampfbetrieb, es mangelte an Material und von der Kanuabteilung nahm kaum jemand Notiz – wahrlich keine guten Voraussetzungen für eine florierende Vereins- und Jugendarbeit. Oliver Kalweit ließ sich dadurch nicht beirren, sondern nahm die Herausforderung an und hielt trotz aller Widrigkeiten an seinem Credo fest: „Eine tolle Zeit im und am Bootshaus verbringen zu können – das ist es, was ich den Kindern und Jugendlichen bieten möchte. Sie sollen spüren, dass sie mit dem Bootshaus einen Ort haben, wo sie ihre Freunde treffen, gemeinsam Spaß haben und die Freizeit sinnvoll verbringen können.“ Und er sagte sich damals, wenn schon Neuanfang, dann richtig. Ihm schwebte vor, die Kanuabteilung in vier Sparten zu entwickeln: Kanu-Rennsport, Kanu-Polo, Wildwasserrennsport und Kanuwandern, „so dass für jeden etwas dabei ist“, wie er sagt.


Piraten-Wochenende geriet zum Highlight

Der Castroper TV schloss sich der Kampagne „Junge Paddelpiraten – Abenteuer im Kanu“ an und organisierten im Mai 2016 ein „Piratenwochenende“ am Bootshaus.

Er selbst ging mit gutem Beispiel voran und erwarb als erstes 2016 den C-Trainerschein Kanu-Rennsport. Ihm war aber auch klar, dass er seine Vision nicht allein erreichen konnte, sondern sich auf die Suche nach Mitstreitern machen musste. „Ich hab‘ mir damals die Liste der Mitglieder, die gekündigt hatten, vorgenommen und begonnen die Leute abzutelefonieren, ob sie nicht wieder in den Verein kommen möchten.“ Die Idee ging auf: Er konnte tatsächlich einige dazu animieren, sich wieder im Verein zu engagieren. Und er fand neue Mitstreiter, einen sogar in der Jagdhorn-Bläsergruppe, in der er mitwirkte, und von dem er nicht wusste, dass er Rennsporttrainer beim FS98 Dortmund war. Heute ist sein Bläser-Kollege ebenfalls beim Castroper TV, eine andere Mitstreiterin kam vom KEL Datteln. „Ich hab‘ schnell gemerkt, dass die Leute gern dorthin gehen, wo sich was tut“, sagt Oliver Kalweit. Das trifft auch auf die Mitgliederwerbung zu. Den Castropern kam damals eine neue Initiative des Kanu-Verbandes NRW zu Hilfe. Oliver Kalweit und seine mittlerweile gefundenen Mitstreiter schlossen sich der Kampagne „Junge Paddelpiraten – Abenteuer im Kanu“ an und organisierten im Mai 2016 ein „Piratenwochenende“ am Bootshaus, an dem 45 Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren teilnahmen und bei Sport, Spiel und Spaß ein tolles Erlebnis hatten. Der damalige Vorsitzende des Gesamtvereins Reinhard Nimz meinte nach dem Wochenende: „Wir fanden, dass ein solches Piraten-Event für uns der passende Einstieg ist. Wir haben entsprechend Werbung in den Schulen und in der Nachbarschaft dafür gemacht. Das hat offenbar die Kinder angezogen, die Resonanz aber hat uns echt überrascht, mit einer solchen Teilnehmerzahl hatten wir nicht gerechnet.“ Erfreulich war obendrein, dass sich direkt nach dem Piratenwochenende 6 Kinder für einen Vereinsbeitritt entschieden, die wiederum 4 weitere Kinder mitbrachten. Aus indirekter Resonanz zu dieser Veranstaltung kamen außerdem 8 weitere Neulinge hinzu, so dass der Verein insgesamt 18 neue Kinder und Jugendliche begrüßen konnte. Außerdem traten im Zuge dessen auch einige Eltern dem Verein bei.

"So mancher wurde beim Freibadfest auf den Kanusport aufmerksam und nutzte die Möglichkeit, ein paar Versuche im Paddelboot zu wagen."

2016 nahmen die Castroper mit ihren Booten auch am Freibadfest in Castrop-Rauxel teil. So mancher wurde da auf den Kanusport aufmerksam und nutzte die Möglichkeit, ein paar Versuche im Paddelboot zu wagen. Im Ergebnis gewann der Verein weitere 10 neue Mitglieder, selbst Kinder aus anderen Abteilungen des Gesamtvereins wechselten zum Kanu. „Als die Kinder nun wieder zu uns kamen, mussten wir natürlich auch anfangen, ein Trainerteam aufzustellen“, erzählt Oliver Kalweit. Er selbst kümmerte sich um das Rennsport-Training, noch im gleichen Jahr nahm er mit einigen seiner Schützlinge erstmals wieder an einer Regatta teil. In dem früheren Wildwasser-Fahrer Jan Schendekehl fand er einen jungen Mann, der sich für Kanu-Polo interessierte und 2016/17 die Trainer C-Ausbildung in dieser Sparte absolvierte. Die Castroper sind dann zur Kanu-Gesellschaft Wanderfalke Essen gefahren, haben sich dort das Polotraining angeschaut, Lust bekommen und sodann die Sparte bei sich im Verein eingeführt. Über eine erfolgreiche Crowdfunding-Aktion beschafften sie sich Tore und Equipment. Noch ist die junge Sparte beim Castroper TV im Aufbau, noch hat der Verein nicht genügend Spieler, um in den einzelnen Altersklassen komplette Mannschaften bilden zu können. Der Kontakt zum Polo-Fachwart des Kanu-Verbandes NRW aber ist hergestellt, als nächstes soll es sozusagen als Premiere für die neue Vereinssparte ein Freundschaftsspiel geben.


Rennsport-Nachwuchs verzeichnet erste Erfolge

Rasant voran ging es auch im Kanu-Rennsport. 2017 war der Verein bereits auf fünf Regatten vertreten und in diesem Jahr fuhren die jungen Rennsportler erste bemerkenswerte Erfolge ein: Nur mit den Resultaten der Schüler B und C belegten die jungen Kanuten vom Castroper TV in der NRW-Nachwuchswertung einen komfortablen 16. Platz unter 26 Vereinen.

"Wir versuchen, die Inhalte über den Spaß zu vermitteln"

Darüber hinaus trainieren derzeit zwei Mädchen in einem vom Duisburger Stützpunkttrainer André Brendel geleiteten landesweiten Projekt „Canadier Mädchen“ mit. „Wir versuchen, die Inhalte über den Spaß zu vermitteln“, beschreibt Oliver Kalweit das „Erfolgsrezept“, und das tun sie durchaus über die Spartengrenzen hinweg. So sind die Rennkanuten auch schon mal im Wildwasserboot unterwegs. „Bei uns lernen auch alle Kinder das Rollen“, so der Kanu-Abteilungsleiter.

Erfolge im Rennsport-Nachwuchs:  Liam Buch gewann 2018 bei der NRW-Landesmeisterschaft in Duisburg die Mehrkampf-Wertung im Kajak.

Die Aktivitäten beschränken sich dabei längst nicht nur auf den Wettkampfsport. Mittlerweile hat sich im Gesamtverein auch wieder eine rege, Sportart übergreifende Jugendarbeit etabliert. Jana Weiland, eine 20-jährige angehende Erzieherin und Trainerin C, übt neben der Betreuung der Anfängergruppe im Verein seit einem Jahr das lange Zeit nur auf dem Papier existierende das Amt der Jugendwartin mit viel Engagement und Ideen aus. „Ich wollte, dass die Jugendfreizeitaktivitäten im Verein wieder anlaufen. Ein Vereinsleben war ja kaum existent, die Kinder kannten sich zum Teil nicht einmal“, schildert Jana Weiland ihre damaligen Überlegungen. Sie hat mit dafür gesorgt, dass der Verein seine Jugendordnung überarbeitet hat und die Jugendlichen überhaupt ein eigenes Budget bekommen haben. Auch war sie mit den Kids bei verschiedenen Maßnahmen unterwegs, so z. B. zu Beginn dieses Jahres mit 55 Kindern im Trampolinpark Superfly in Dortmund, in der Kletterhalle und mit 30 Kindern zu einem Erlebniswochenende am Möhnesee. Von all diesen Veranstaltungen nahm sie ein positives Feedback mit. „Mir gefällt es sehr, den Kindern etwas beizubringen“, meint Jana. So ist es nur folgerichtig, dass sie inzwischen auch bei der Gruppenhelfer-Ausbildung im KV NRW mitwirkt.
Die Vereinsaktivitäten beschränken sich aber nicht nur auf die Kinder- und Jugendlichen. Für die Erwachsenen ist unter Leitung von Wanderwartin Antje Reschke montags ab 18 Uhr ein Angebot „After Work Paddeln“ eingerichtet worden, das von durchschnittlich 20 Mitgliedern dankbar angenommen wird. Ihm sei wichtig, dass „nicht einer alles allein macht, sondern die Aktivitäten auf viele Schultern verteilt werden und die Verantwortung jeweils klar geregelt ist. Die Frage ist stets, wer übernimmt eine Aufgabe freiwillig, so identifizieren sich alle mit ihren Aufgaben und niemand fühlt sich überlastet“, betont Oliver Kalweit. So gelang es auch, neben Jan Schendekehl als Polotrainer zwei Jugendliche in die Gruppenhelfer-Ausbildung zu entsenden sowie zwei Fahrtenleiter zu gewinnen.

   


Gestiegenes Renommeé strahlt ins Umfeld

Die Aktivitäten gehen weit über das eigentliche Paddeln hinaus - Ziel ist „gemeinsam Spaß zu haben“. Wie beispielsweise beim gemeinsamen Klettern.

Auch in den Räumen des Bootshauses ist inzwischen wieder mehr los. Seitdem die Räumlichkeiten renoviert und damit auch für Vermietungen geeignet sind, fühlen sich die Leute wieder wohl. Die Castroper denken schon über weitere Investitionen nach, denn im Sanitärbereich (Umkleiden, Duschen und Toiletten) stößt man angesichts der erheblich gestiegenen Mitgliederzahl bereits an die Grenzen. In der Stadt Castrop-Rauxel hat das Renommeé des Vereins ebenfalls zugenommen. Der Stadtsportbund unterstützte die Kanuabteilung bei der dringend notwendigen Anschaffung von Bootsmaterial, der Beach Club gegenüber dem Bootshaus überließ dem Verein kostengünstig Hallenkapazitäten, eine Kooperation mit der Volksbank Waltrop brachte eine Spende von 1.000 Euro ein, die GTÜ-Prüfstelle Castrop-Rauxel finanzierte die Polowesten und einige weitere Aktionen und Kooperationen brachten ebenfalls Spenden ein. Mittlerweile kommen Sponsoren sogar von sich aus auf den Verein zu.
Trotz aller Dynamik in der Vereinsentwicklung in den letzten Jahren gehen Oliver Kalweit und seinen Mitstreitern die Ideen noch lange nicht aus. Auch wenn der Castroper Turnverein 1874 e.V. in den vier Jahren vielleicht noch nicht so bekannt geworden ist wie ein „bunter Hund“, eine graue Maus aber ist er längst nicht mehr.   

 

 

 


 


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