Es wird viel zu analysieren sein: Die Weltmeisterschaften im Kanuslalom und Kajak-Cross im englischen Lee Valley war für die Deutschen ein Desaster. Ein so hartes Fazit muss gezogen werden. Keine einzige Medaille konnte das noch so erfolgreiche Team der vergangenen drei bis vier Jahre holen – Höhepunkt war die Heim-WM voriges Jahr in Augsburg. Noch schwerwiegender: Im Kajak-Herren-Bereich konnte der Olympia-Quotenplatz nicht geholt werden. Entsprechend deutliche Worte fand Cheftrainer Klaus Pohlen: „Da können wir jetzt nichts mehr schönreden. Da wird sicherlich noch einmal klar zu überlegen sein, ob wir alles in der unmittelbaren Vorbereitung richtig gemacht haben.“ Denn bezeichnend sei, dass die Deutschen noch vor vier Wochen beim Weltcup in Spanien ganz vorn mitfahren konnte, „und wir es aber in London nicht mehr auf den Punkt gebracht haben.“ Nun werde das gesamte Trainings- und Videomaterial sowie die leistungsdiagnostischen Daten zusammengefügt und analysiert werden. Insbesondere werden aber die vier Wochen vor den Wettkämpfen im Vergleich zur WM 2022 und Olympia in Tokio unter die Lupe genommen. „Und dann muss man sich im Winter zusammenfinden, eine neue Strategie ausarbeiten.“ Denn bei Olympia in Paris soll das nicht noch einmal passieren.
Das beste deutsche Ergebnis bei den Slalom-Wettkämpfen war der vierte Platz von Elena Lilik (KS Augsburg) im Canadier-Einer. Bitter insofern, dass Deutschland zwei Weltmeistertitel durch Andrea Herzog (Leipziger KC) und Sideris Tasiadis (KS Augsburg) zu verteidigen hatte. Zudem holte 2022 Herzogs Klubkamerad Franz Anton Bronze bei der WM in Augsburg. Doch beide Leipziger waren in Lee Valley bereits im Halbfinale ausgeschieden. Einzig Tasiadis paddelte als Halbfinal-Dritter sicher in den Endlauf und landete am Ende auf Platz acht. „Jeweils mit einem Boot bei den Damen und Herren im Finale vertreten, das geht erst einmal in Ordnung“, sagte Canadier-Bundestrainer Felix Michel. „So wie sich beide präsentiert haben, kann man nur den Hut ziehen. Man musste auf volles Risiko gehen und man musste wirklich Finalwürdiges zeigen. Das dort noch kleine Fehler passieren ist absolut menschlich und das nimmt ihnen auch niemand übel.“ Man brauche im Finale auch ein Quäntchen Glück und das habe an dem Tag den Deutschen etwas gefehlt. In die Zukunft blickend resümierte Michel, „ich male da nicht den schwarzen Peter an die Wand.“ Rückblickend in die vergangenen drei bis vier Jahren seien die Deutschen sehr erfolgreich gewesen, „jetzt haben wir zum ersten Mal einen kleinen Dämpfer erlebt. Dass das irgendwann einmal kommt, das ist im Leistungssport nun einmal so. Die bittere Pille sollte man einfach schlucken und nicht in Hektik verfallen. Das werde ich definitiv nicht.“ Analysen so kurz nach den Wettkämpfen seien nicht möglich. „Wir uns das in Ruhe mit dem ganzen Trainerstab auswerten und schauen, wie wir uns im nächsten Jahr vielleicht besser positionieren können – gerade für die Spiele 2024.“
Herzog war als Halbfinal-28. des 30-köpfigen Teilnehmerfeldes ausgeschieden, da sie wegen eines nicht korrekt befahrenen Tores eine 50-Sekunden-Strafe kassierte. Anton erreichte als 15. Im Halbfinale den Endlauf der Top-Ten nicht. Den Endlauf verpassten auch Timo Trummer (KV Zeitz) und Nele Bayn (Leipziger KC) mit den Plätzen 18 und 24.
Kein Quotenplatz für Kajak-Herren
Im Kajak-Einer lief es noch schlechter. Die Kajak-Herren konnten die Olympia-Quotenplatz nicht holen. Bester Deutscher war Hannes Aigner (Augsburger KV) als 29. Diese Platzierung reichte aber nicht aus. Somit wird Deutschland bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris im Kajak-Herren-Bereich nicht vertreten sein. Denn auch der zwölfte Platz bei den European Games von Aigner reicht nicht. Dieser Kontinentalplatz geht an Österreich.
Der zweite Halbfinalist, Stefan Hengst (KR Hamm), war deutlich an einem Tor vorbeigefahren. Aufgrund der 50-Sekunden-Strafe landete er damit auf Rang 37. Noah Hegge (KS Augsburg) schied bereits in der Qualifikation aus, Platz 42 für ihn.
Cheftrainer Klaus Pohlen sagte nach dem verpassten Quotenplatz, „wir sind schon etwas geschockt. Wir hatten uns durchaus gute Chancen ausgerechnet.“ Jetzt werde bis Paris 2024 der Fokus verstärkt auf den Kajak-Cross bei den Herren gelegt werden. Denn beim Weltcup in Prag im nächsten Jahr werden insgesamt noch drei Quotenplätze für diese Disziplin ausgefahren. „Da haben wir noch eine Chance und sind auch stark aufgestellt. Das müssen wir jetzt nutzen.“ Generell zu den Ergebnissen meinte er, „wir müssen nun jeden Stein umdrehen, uns fragen, ob wir alles in der Vorbereitung richtig gemacht haben.“ Zur Einordung sagte Pohlen aber auch, dass er Aigner seinen Respekt zolle, „dass er mit so einer starken Bauchmuskelverletzung, die wirklich massiv war, sich die ganze Saison sich gequält hat. Teilweise ist er auch unter starken Schmerzen an den Start bei Wettkämpfen gegangen.“ Und bei der aktuellen internationalen Kajak-Herren-Konkurrenz sei die Leistungsdichte so extrem, „da kann ich mir nicht leisten, etliche Wochen Trainingsausfall zu haben, um vorne mitzufahren.“
Auch die Kajak-Damen blieben unter ihrem Können
Die letzten Hoffnungen auf einen Podestplatz lagen auf Olympiasiegerin und Doppel-Weltmeisterin Ricarda Funk (KSV Bad Kreuznach). Doch auch sie erwischte diesmal keinen guten Lauf und musste sich als Siebte deutlich geschlagen geben. Viel schlechter erging es allerdings Lilik im Halbfinale, als sie bei der Überfahrt zum letzten Tor von einer Welle erfasst wurde und kenterte. Den Zeitverlust konnte sie nicht wettmachen, bedeutete am Ende Rang 24 für sie. Jasmin Schornberg (KR Hamm) landete auf dem 36. Platz, ausgeschieden in den Vorläufen.
Auch im Kajak-Cross erfolglos
Bei den abschließenden Kajak-Cross-Wettkämpfen erzielte Funk mit ihrem Viertelfinaleinzug das beste Ergebnis. Aigner schied in den Heats aus. Ebenfalls nicht über die Heats hinausgekommen, ist Elena Lilik (KS Augsburg). Jasmin Schornberg (KR Hamm) war als 22. ausgeschieden, weil nur die 20 Zeitschnellsten direkt weiterkommen. Genauso ging es Stefan Hengst (KR Hamm). Ihm fehlten sechs Hundertstelsekunden.
Team-Wettbewerbe ohne Podestplätze
Und auch in den nicht-olympischen Teamwettkämpfen kamen die Deutschen nicht annähernd an den Erfolg des vergangenen Jahres in Augsburg heran. Zweimal Gold und einmal Silber war zwar nicht zu erwarten, aber in Lee Valley waren die Mannschaften mit gleicher Besetzung weit von den Podestplätzen entfernt. Zwei sechste Plätze durch die Canadier-Teams der Damen und Herren sowie Rang sieben durch das Herren-Kajak-Team und Rang acht durch die K1-Damen waren die Ausbeute.
Als Fazit zu den Slalom-Wettkämpfen insgesamt – Kajak und Canadier – sagte Pohlen kritisch, „keiner war in der Lage, seine Leistungsfähigkeit abzurufen.“ Jetzt werde analysiert, woran es gelegen haben könnte. „Ausschließen kann ich, dass wir nicht häufig genug hier in London waren.“ Denn die Deutschen waren über die ganze Saison verteilt mehrmals in Lee Valley, etwa sechs Trainingslager vor Ort waren es in Summe.
Uta Büttner
