18.10.2023 | SUP

Die Challenge ihres Lebens- Mit Prothese meistert Kathariana Rüsbüldt die SUP-City Tour in den Niederlanden

Innerhalb von fünf Tagen hat Kaharina Rüsbüldt knapp 206 Kilometer auf ihrem SUP-Board zurückgelegt. Obwohl sie anfangs, unteranderem wegen ihres Prothesegelenks einige Zweifel hatte, wuchs sie während der Tour über sich selbst hinaus.

Punkt auf meiner Bucketlist

Die Teilnahme an diesem Rennen stand seit Jahren auf meiner Bucketlist, und immer wieder war der Gedanke: „Irgendwann … eines Tages werde ich …“ 2023 sollte es dann heißen: „Ich werde!“ Es gab für mich zwei Möglichkeiten der Teilnahme: entweder die Tour (mit zwei Pausen pro Etappe und alles gechillt) oder die Competition in der entsprechenden Kategorie (Alters- bzw. Leistungsklasse). Ich hatte mich für den Wettkampf (Competition) entschieden. Ganz oder gar nicht! Ich brauche den Wettkampfgedanken.

Training und Teilnahmeanfrage mit Beinprothese

Physisch war ich gut vorbereitet, ich hatte lange dafür trainiert. Mental gab es da die ein oder andere Hürde. Die Frage, ob ich überhaupt mit Prothese teilnehmen sollte, stellte sich mir nicht, weil ich weiß, was ich kann. Jedoch musste ich dies im Vorfeld abklären und die Sicherheit haben, dass ich mit adaptierten Regeln mitfahren darf. Denn: Bei diesem Rennen ist grundsätzlich jegliche Hilfe untersagt. Das Go kam.

Hilfe würde nötig sein

Viele Menschen rennen auf einer Wiese, Sup-Boards unter den Armen. Sie sind von hinten zu sehen.Ich trage mein Material generell selbst, aber ich wusste im Vorfeld schon, dass ich beim Herausheben Hilfe benötige werde. Und das aus folgendem Grund: Mir war im Vorhinein klar, dass ich nach 15 bis 20 km im Schaft schwitzen werde und dieser ggf. nicht mehr so fest sitzen würde wie zuvor. Das bedeutet, dass Bewegungen sehr rutschig werden. Auf diese Tatsache habe ich keinen Einfluss, es ist einfach so, und ich muss es nehmen, wie es ist. Somit war die Pause von 15 Minuten eine „Freude“, da ich hier die Möglichkeit hatte, die Prothese auszuziehen, zu trocknen und neu anzuziehen. Zusätzlich musste ich in dieser Viertelstunde alles wie beim Boxenstopp in der Formel 1 erledigen: schnell auf die Toilette, schnell essen, schnell trinken – Druckbetankung sozusagen.

Schleusen und Seegras an der Finne

Die vierte Etappe machte mir Sorgen, da dort zwei Schleusen bewältigt werden mussten. Bei der ersten nach 12 km musste man das Board rausnehmen und 80 m damit gehen, dahinter wieder einsetzen. Da war schon ein kleiner Atlantik im Schaft, aber hier hieß es: 10 km weiterpaddeln bis zur nächsten Schleuse. 
Dort war Pause, und danach mussten noch 22 km bis zum Finish des Tages geschafft werden. Weitere Herausforderung: Es schwamm viel loses Seegras im Wasser, und gefühlt hatte ich alles mit meiner Finne eingesammelt. Das Problem teilte ich mit einigen anderen Teilnehmenden, und so half man sich gegenseitig, die Finnen zu säubern. Shit happens … da muss man dann durch. Auch unter den Brücken – mal nach vorne gebeugt, mal kniend, mal liegend. Auf einem Fluss in mitten grüner Umgebung paddeln mehrere Menschen auf einem Board stehend.

Time Trial für mehr Pause

An zwei Tagen gab es ein Time Trial (Zeitrennen): am dritten Tag sowie am Finaltag. Beim ersten Zeitrennen musste (bzw. konnte) man die ersten 12 km so schnell wie möglich paddeln – wer sich beeilt hat, hatte länger Pause (Yay! 32 Minuten!!), denn der Zeitpunkt des Neustarts des Rennens war festgesetzt. Die restlichen 30 km wurden durchgepaddelt. Am Finaltag waren es 27 km ohne Pause.

Der Finaltag – der Tag der Tage

Für alle Paddler:innen erfolgte der Start im 30-Sekunden-Takt. Er war in Startklassen unterteilt: zuerst der:die Langsamste und zum Schluss der:die Schnellste der vorangegangenen Etappe. An diesem Tag wollte ich alles geben. Ich hatte die Nacht gut geschlafen, war fit, und ja, auch aufgeregt. 5, 4, 3, 2, 1 – Goooo! Mein Start fühlte sich gut an. Mein Ziel war es, ein einheitliches Tempo zu fahren, anfangs nicht zu sehr verausgaben und dann einen Rhythmus finden, in dem ich zügig vorankomme.

An diesem letzten Tag war das Wetter nicht so gut wie in den vorangegangenen Tagen. Es war bedeckt, kühl, windig und fing an, zu regnen. Irgendwann ging es links ab, und da kam der Wind frontal, zusammen mit dem Regen. Das war gefühlt die härteste Etappe. Aber das war mir an dem Tag egal, ich wollte so viele Kilometer wie möglich schaffen, bevor die ganzen schnellen Paddler:innen kamen – allen voran die Herren und folgend die Frauen aus der Profiklasse. Bis Kilometer 15 war ich gut dabei und dann kam einer nach dem anderen. Aber das war nicht weiter schlimm, ich hatte nur noch 12 km vor mir. Als ich in Leeuwarden ankam und über die Ziellinie fuhr, stutzte ich. Ich hatte es tatsächlich geschafft!

Persönliche Bestzeit und zweiter Platz

Und an diesem Tag bin ich sogar meine persönliche Bestzeit gefahren! Ich kniete mich hin, beugte mich nach vorne, küsste mein Board und fing an, zu weinen. Erschöpft, voller Freude, überwältigt. Da war echt ’ne Menge los, die Leute jubelten, brüllten, die Musik … ein:e Paddler:in nach dem:der anderen … aber mein Kopf machte kurz mal die Luken dicht – dieser Moment, nur ein paar Sekunden –, ich war stolz und hatte das Gefühl, endlich was geleistet zu haben. So fühlt sich das also an, wenn man mit anderen was gemein hat, wenn man dazugehört. Also bin ich hin und hab mein Golden Cross abgeholt … Fünf Tage zuvor stellte ich mich noch infrage, ob ich gut genug bin.

3 Frauen stehen vor einem Plakatwand, sie sind untergehakt. Die linke und die rechte Frau heben jeweils die Arme und halten ein Tuch und eine Packung Würste in die Höhe. Sie tragen Medaillen.

Dieses Rennen in Holland zu paddeln, war eine der besten Entscheidungen, die ich treffen konnte. Ich vermag es kaum in Worte zu fassen, weil mir diese fehlen, um zu beschreiben, was in fünf Tagen alles passieren kann, oder eben auch musste.

Die Fakten

Ich bin insgesamt 205,71 km gepaddelt mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 7,0 km/h mit 74 647 Paddelschlägen, hab dabei 17 465 Kalorien verbrannt. Insgesamt habe ich 30:7:51 Stunden auf dem Wasser verbracht (offizielle Zeit inklusive Pausen), und für die 27 km Time Trial 3:45 Stunden. In meiner Startklasse Diva wurde ich Zweite.

Eine Frau mit Beinprothese paddelt stehend auf einem Board, auf einem Fluss. Links und rechts Grünes.

Unterbringung

Man kann ein Bett auf einem Boot buchen – so wie ich – oder in einem bestimmten Hotel (hier ist dann Shuttleservice). Die Schiffe machen immer in der Nähe des Eventgeländes fest. Man hat dann zwar Fußweg, aber das war okay. Ich war auf der Aaltje Engelen (unbedingt googeln – der Kahn ist von 1800-irgendwas und ein Traum von Hotel!) untergebracht.

Deutschland, Frankreich, Brasilien, England, Australien … diese Nationen waren allein auf meinem Schiff vertreten! Die Teilnehmenden insgesamt kamen aus Schottland, Spanien, Italien, Kanada, USA, Holland, Dänemark, Finnland.  Die Atmosphäre auf meinem Schiff war klasse – schon am zweiten Tag waren wir wie eine kleine Familie. Generell ist die Stimmung bei diesem Event unglaublich. Es ist wirklich ein großer Aufwand, so was zu organisieren und reibungslose Abläufe zu bieten. Es war immer alles da – kam man zum Rest-Point, war alles fertig, schlingfertig vorbereitet. War man im Ziel – das gleiche Bild. An den Foodtrucks musste man nicht wirklich warten, es gab immer Antworten auf Fragen, und es stimmte, was man mir im Vorfeld sagte: Es ist die SUP11-Bubble. Und wenn du auf dem Heimweg bist, dauert es bis zur Grenze, bis du realisierst, dass es vorbei ist – und schon schmiedet man Pläne fürs nächste Jahr.

Startklassen

Open Class (alle unter 40 Jahre und/oder Profis) Diva/Master (40–49 Jahre) Grand Diva/Grand Master (50 +) Prone (liegend auf dem Board, paddeln ohne Paddel)

Tagesablauf

Ich bin jeden Morgen um 6 Uhr aufgestanden. Alles, was ich für den nächsten Tag brauchte, hatte ich schon am Vorabend vorbereitet. Auf dem Wasser hatte ich meinen Trinkrucksack auf dem Rücken und Magnesium-Sticks im Ärmel meines Shirts stecken. Auf dem Board hatte ich immer einen kleinen wasserdichten Rucksack, in dem ich meine Anziehhilfe, ein kleines Tuch, Handy und GPS-Tracker verstaut hatte.

Jeden Morgen Skippers-Meeting (verpflichtend), GPS-Tracker abholen, Start, paddeln, im Ziel der Tagesetappe Board verräumen und sich schnellstmöglich in die Massageliste eintragen ;-), GPS-Tracker abgeben, während des Wartens unbedingt essen und trinken und mit all den Menschen chillen und sich austauschen, nach der Massage duschen, alles für den nächsten Tag vorbereiten, Abend ausklingen lassen und schlafen … Sleep, SUP, Eat, Massage, Repeat.

Fazit

Die Sorgen, dass mein Prothesengelenk den Geist aufgibt oder ich zu sehr im Schaft schwitze, dann rumrutsche, die Prothese „verliere“, mein Stumpf komplett wund wird, mein lebendes Knie den Geist aufgibt oder die Blasen an den Händen mich in den Wahnsinn treiben … nichts davon ist eingetreten. Ich habe im Schaft sehr geschwitzt und es sammelte sich Wasser, und ja, mein Stumpf war im vorderen Bereich wund, und ich hatte Blasen an den Händen wie alle anderen auch. Ich habe fünf Tage gebraucht, um mir selbst zuzugestehen, dass mehr in mir steckt, als ich mir selbst zugetraut habe.

Text: Katharina Rüsbüldt

Zurück zur Liste