20.03.2014 | Kanu (Allg.)

Freya Hoffmeister:Amazonas-Mündung durchquert…. und Äquator überquert

Jeder Paddeltag stellt Freya Hoffmeister vor neue Herausforderungen. Das hat sich für sie auch nicht geändert, seitdem sie ab dem 16.2.14 entlang der brasilianischen Küste paddelt.

Einen Höhepunkt besonders herausragender Art stellte dabei sicherlich die Querung der Amazonas-Mündung dar. Immerhin handelt es sich bei dem Amazonas um den wasserreichsten Fluss, der nach 6.448 km Länge mit dem weltweit breitesten Delta in den Atlantik mündet.

Das Mündungsdelta

Wie breit das Mündungsdelta ist, hängt von der Betrachtungsweise ab. Zwischen den äußeren Rändern besteht ein Abstand von ca. 270 km (vom „Rio Sucuriju“ bis hinüber zum „Farol do Cabo do Maguari“ / Ausgang der „Baía de Marajó“) und zwischen den engeren Rändern (vom „Rio Araguari“ bis hinüber zum „Canal das Tartarugas“) beträgt der Abstand immerhin noch ca. 190 km.

Aufgrund der unsicheren Gewässer- und widrigen Windbedingungen hatte Freya erst gar nicht in Erwägung gezogen, dieses Delta an seiner engsten oder gar weitesten Stelle Non-Stop zu queren, obwohl sie ja uns bei ihrer 245 Tage dauernden Australienumrundung im Jahr 2009 am Beispiel des ca. 575 km breiten “Gulf of Carpentaria“ gezeigt hat, dass sie durchaus in der Lage ist, auch 8 Tage Non-Stop - also ohne Landgang - zu paddeln. Vielmehr ist sie insgesamt knapp 250 km ins von sieben Inseln geprägte Amazonasdelta hineingepaddelt, und zwar immer entlang eines Hauptarmes des Amazonas, dem „Canal do Norte“, um dann etwa 260 km wieder hinauszupaddeln, und zwar stets entlang eines südlichen Nebenarmes des Amazonas, dem „Canal Jurupari“.

„Pororoca“

Gedauert hat diese ca. 510 km lange Mündungsdeltapassage vom 2.-16.3.14, also 15 Tage, wobei an 11 Tagen gepaddelt wurde. Vier Tage dienten unterwegs der Erholung. Diese Erholung hatte Freya auch bitter nötig; denn schon am ersten Tag bei der Einfahrt in den äußeren Bereich des Deltas wurde sie am Ende einer 66,6 km langen Passage, die morgensum 6.45 Uhr begann und schließlich um 19.30 Uhr endete, von der „Pororoca“, der für den Amazonas typischen Gezeitenflutwelle, erwischt. Sie tritt nur jeweils bei Springflut auf und istin den trockeneren Wintermonaten besonders stark. Diese Welle soll im Extremfall bis zu 800 km Fluss aufwärts vordringen und an Engstellen maximal 65 km/h schnell sein.

„Das Grollen, welches die Ankunft der Welle ankündigt, lange bevor man sie visuell wahrnehmen kann, wird von den Ureinwohnern „Pororoca“ genannt, was überseetzt „Wasserdonnerlärm“ bedeutet.“ ( http://de.wikipedia.org/wiki/Pororoca )

Freya hatte diese Welle schon einen Tag vorher vom Land aus am „Rio Sucuriju“ erlebt. Sie übernachtete dort 3 Tag in der Polizeistation, um sich von den Strapazen der letzten 12 Tagezu erholen. Die Ruhepause hatte sie sich auch wirklich „erpaddelt“; denn diese 625 km langeWattpassage von „Cayenne“ bis zum „Rio Sucuriju“ ging an ihre Kraftreserven, die sie unterwegs während der Nächte nicht mehr regenerieren konnte. Kein Wunder, übernachtete sie doch während dieser Passage nur 4x im Zelt, ansonsten schlief sie in ihrem Kajak (1x) oder in ihrer Hängematte (7x)!

Einheimische am „Rio Sucuriju“ erzählten ihr, dass die “Pororoca“ nur am Voll- bzw. Neumondstag ein bis zwei Mal zu beobachten sei. Freya hoffte bei der momentan besonders ruhigen Wetterlage, dass nunmehr keine Gefahr bestand, von dieser Gezeitenwelle überrascht zu werden, nicht ahnend, dass während der gesamten Springflut-Zeit (1.-4.3.14) bei kritischen Konstellationen die „Pororoca“ auftreten kann, und zwar jeweils zwei Mal pro Tag und das vier Tage lang!

„Augen auf, Mund zu und durch!“

Früh morgens am 2.3.14, ihrem 612. Fahrtentag, startet Freya zu ihrer ersten von insgesamt 11 Amazonas-Tagesetappen. Es wurde gerade hell, als sie ihr Seekajak in den „Rio Sucuriju“ schob. Das Wasser war ruhig, lediglich die noch einlaufende Tiden-Strömung sorgte für etwas Kabbelwasser. Als die Tide kippte, paddelte sie ohne Probleme mit 4-5 km/h dicht entlang der Wattkante, direkt vor der Brandungszone Richtung „Rio Araguari“. In der Nähe des Mündungsbereichs dieses Flusses nahm jedoch die ablaufende Strömung zu und die See wurde unangenehm kabblig. Freya stieg daher an einer Sandbank aus und treidelte für eine Stunde entlang der Wattkante flussaufwärts. Dann setzte sie sich wieder in ihr Seekajak und querte per Seilfähre die Flussmündung.

Drüben angekommen wollte sie mit auflaufendem Wasser an den Sandbänken vorbei „tastend“ Richtung Küste paddeln. Sie hoffte, einen Übernachtungsplatz zu finden, wohl wissend, dass sie dabei in die Dunkelheit geraten würde. Aber das war sie ja nun schon gewohnt. Um 18.30 Uhr fiel ihr Seekajak mit einsetzender Abenddämmerung auf einer Sandfläche vor der Küste trocken. Erst eine Stunde später sollte die Tide kippen und das Wasser wieder hineinströmen und ansteigen. Sie nutzte die Zeit, um etwas zu essen und kurz einzunicken. Ihre Rettungsdecke legte sie sich um, damit sie nicht auskühlte.

Da hörte sie in der Ferne ein Rauschen, das immer stärker wurde. Erst dachte Freya an einen kräftigen Tropenregen … dann aber, als das Grollen langsam aber sicher immer näher kam, dämmerte es ihr:

„Das kann nur die „Pororoca“ sein … und das bei zunehmender Dunkelheit!“

Bald darauf wurde sie – immer noch sitzend in ihrem trocken gefallenen Seekajak - von einem ca. 80 cm hohen Brecher überspült und mitgerissen.

Freya blieb nichts anders übrig, als – wie beim Seitwärtssurf in der Brandung – so gut wie möglich hoch zu stützen, um eine Kenterung zu vermeiden:

„Ich stützte um mein Leben … und stützte und stützte … Ich spürte den Grund unter mir; denn die Gezeitenwelle schwappte über die Wattflächen Richtung der ca. 6 km entfernt liegenden Küste. Ich stützte und stützte. Ich lag vollkommen auf der Seite. Mein Seekajak schrammte angekantet über das Wasser-Sand-Gemenge. Ich stützte und stützte. Will denn dieser schreckliche Ritt inmitten der Brecher gar nicht enden? Natürlich, die Rettungsdecke war längst weggespült worden. Ich merkte, dass die Spritzdecke dem Wasserdruck auf Dauer nicht standhielt. Die Folge: Die Sitzluke meines Seekajaks füllte sich allmählich mit Wasser, Sand, Schlamm und sonstigem Treibsel. … und neben mir surften mehr oder weniger große Baumstämme mit meinem Seekajak um die Wette! Immer noch stützend polterte mein allmählich schwerer werdendes Boot über die zunehmend flacher werdenden Wattflächen. …“

Plötzlich lief ihr Seekajak auf Grund, drehte sich auf die andere Seite und ließ Freya in der Dunkelheit inmitten des stark strömenden Gezeitenstromes kentern. Nach dem Ausstieg wurde ihr leichter gewordenes Seekajak sofort wieder von der Strömung mitgenommen. Zum Glück war jedoch Freya dank einer „Life-Line“ mit ihrem Seekajak verbunden, sodass es ihr schließlich gelang, ihr Seekajak „einzufangen“ und am Bug-Toggle zu halten. Das war nicht einfach; denn nunmehr schwamm, richtiger: trieb sie neben ihrem Seekajak in der von der Flutwelle aufgewühlten See in der einen Hand ihr Seekajak und in der anderen ihr Paddel, dessen Sicherungsleine sich gelöst hatte.

Nach 10 – 15 Minuten, gefühlt: eine Ewigkeit, hatte dieser „Tidenspuk“ schließlich ein Ende. Die Brecher legten sich und die Strömung ließ langsam nach. Da tauchten aus der Dunkelheit ein paar dünne Mangrovenbäume auf, die ihr den nötigen Halt boten, um sich wieder aufrichten zu können. Ende gut, alles gut! Auf der Verlustliste wurden lediglich eine Rettungsdecke, eine Trinkflasche und eine einzelne Sandale vermerkt. Als sie am Abend noch ihr GPS checkte, stellte sie fest, dass sie zeitweise mit maximal 30 km/h von der Gezeitenwelle mitgenommen wurde, und das auf einer Strecke von etwa 8 km! Freya zog anschließend ihr Seekajak auf eine trittfestere Fläche mit Treibholz, lenzte und entsandete die Sitzluke, setzte sich wieder hinein und verbrachte dort die Nacht; denn in der Dunkelheit hat sie einfach keinen „Mut“ mehr gehabt, bei noch auflaufender Tide nach einem noch sicheren Übernachtungsplatz zu suchen.

Am Tag danach

Am nächsten Morgen (3.3.14) suchte sich Freya erst einmal einen geeigneten Platz für ihre Hängematte und legte dann einen Ruhetag ein; denn noch einmal wollte sie nicht mehr im Watt von der „Pororoca“ überrascht werden. Recht hatte sie, denn knapp 25 Stunden später rauschte abends die nächste Gezeitenwelle heran. Erst hörte sie nur das Grollen, welches allmählich immer lauter wurde. Eine halbe Stunde später stieg dann langsam das Wasser an. Die Springflut selbst war wohl unterwegs auf der Strecke geblieben. Aber Freya war dieses Mal darauf vorbereitet. Für den Fall, dass das Wasser zu hoch steigen würde, hatte sie zuvor alle Ausrüstung im Seekajak verpackt. Notfalls hätte sie sich sofort in die Sitzluke setzen und von der Flut Richtung unbekanntes Ufer treiben lassen können.

Noch einmal Glück gehabt, Freya! Sie erwischte nämlich die „Pororoca“ noch draußen im äußeren Mündungstrichter. Vier Tage später hätte sie sich in dem bis auf 8 km sich verengenden Hauptarm des Amazonas, dem „Canal do Norte“, befunden. Wer weiß, wie hoch sich dort die Tidenwelle aufgetürmt und wie weit sie dort das Land überspült hätte. Maximal soll sie ja bis zu 5 Meter aufsteilen und bis zu 100 m die Uferzone überfluten können!?

Der Rest, der war Routine

…. so z.B. die Querung des Äquators im „Canal Jurupari“ am 9.3.14, ihrem 619. Fahrtentag; denn schon einmal hatte Freya anlässlich ihrer Südamerikaumrundung den Äquator überquert, nämlich an der ecuadorianischen Pazifikküste am 29.01.13, ihrem 378. Fahrtentag.

Am 16.3.14, ihrem 626. Fahrtentag, konnte Freya schließlich nach 15 Tagen das Mündungsdelta des Amazonas abhaken. Einen Tag später schon befand sie sich auf dem Weg nach „Belém“, einer Großstadt mit über 1,5 Mio. Einwohnern.

Chronologie einer Amazonas-Mündungsdelta-Durchquerung
inkl. Äquator-Überquerung (ca. 512 km)


Äußerer Mündungstrichter (Nordseite):
02.3.14: 6.45–19.30 Uhr = 66,6 km (Punto do Congo) (Übernachtung: Kajak)
03.3.14: Ruhetag (Übernachtung: Hängematte)
04.3.14: 9.25-13.45 Uhr = 28,1 km (Ilha do Bailique) (Ü: Zelt in Hütte)
05.3.14: Ruhetag (Ü: Zelt in Hütte)

Canal do Norte:
06.3.14: 6.35-14.14 Uhr = 41,0 km (Ponta do Ceu) (Ü: Zelt in Hütte)
07.3.14: 6.35–18.00 Uhr = 61,1 km (Ilha Caviana de Dentro) (Ü: Zelt am Schiffsanleger)
08.3.14: 6.40-16.40 Uhr = 48,1 km (Eingang zum Canal Jurupari) (Ü: Zelt in Hütte)

Canal Jurupari:
09.3.14: 6.40-18.20 Uhr = 76,0 km (Äquator-Querung) (Chavez) (Ü: Gästehaus „Posada Maresia“)
10.3.14: Ruhetag (Ü: Gästehaus „Posada Maresia“)
11.3.14: Ruhetag (Ü: Gästehaus „Posada Maresia“)
12.3.14: 7.05-17.15 Uhr = 46,4 km (Fazenda Sana Catarina) (Ü: Zelt)
13.3.14: 6.40-15.00 Uhr = 33,8 km (Punta da Anunciacao) (Ü: offene Hütte)

Äußerer Mündungstrichter (Südseite):
14.3.14: 6.45-14.45 Uhr = 36,5 km („Ila do Ganhoao“) (Ü: Zelt)
15.3.14: 6.45-16.45 Uhr = 45,0 km (Ü: Zelt)
16.3.14: 7.05-13.10 Uhr = 29,1 km (nahe „Farol do Cabo do Maguari“) (Ü: Zelt)

Text: Udo Beier
Link: http://freyahoffmeister.com/2014/03/04/sun-0203-2014-day-612/

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