09.03.2021 | DKV / Verbände

Abwehr von sexualisierter Gewalt im Deutschen Kanu-Verband

Es ist noch nicht so lange her, da wurde sexualisierte Gewalt in unserem Land fast totgeschwiegen. Inzwischen hat die Sensibilität für das Thema Sexualisierte Gewalt zugenommen, doch immer noch gibt es Barrieren.
Prävention sexualisierter Gewalt

“X hat mich mit einem Messer bedroht!” Okay, X muss bestraft werden. “Y hat mein Handy gestohlen!” Okay, Y muss bestraft werden. “Z hat mich gedemütigt und angefasst!” “Na, komm, das kann ich gar nicht glauben. Und wenn schon, stell dich nicht so an.” Erst knapp vier Jahre ist es her, seit #metoo die Medien füllte. “Die Frauen, die sich da melden, wollen die mächtigen Männer doch nur abzocken. Der Beweis ist, dass die sich erst nach 20, 30 Jahren melden.” 

Hat die Sensibilität zugenommen? Wahrscheinlich ist es wie so oft: sowohl, als auch. Es gibt immer mehr Menschen, die den Opfern zuhören. Die sich bemühen, die Wahrheit herauszufinden und weitere Straftaten zu verhindern.

Während in den 60er Jahren noch die Meinung vorherrschte, dass Vergewaltigungen seltene Delikte sind, die von psychisch abnormen Tätern begangen werden, die den Frauen unbekannt sind, mehrten sich in der jüngeren Vergangenheit die Hinweise, dass bestimmte Strukturen in Organisationen Übergriffe auf Kinder und Erwachsene begünstigen. Internate, Kindertagesstätten und die katholische Kirche rückten in den Focus. Und auch der Sport. 

Daher befragten Wissenschaftler*innen des Instituts für Soziologie und Genderforschung der Sporthochschule Köln für die Studie “Safe sport” 1.800 Kaderathlet*innen (2014-2017). Sie fragten nach ihren Erfahrungen mit sexualisierten Gewalthandlungen mit Körperkontakt, mit solchen ohne Körperkontakt und mit grenzverletzendem Verhalten. Das Ergebnis: Etwa jede*r Dritte der befragten Kadersportler*innen hatte schon einmal eine der genannten Formen von sexualisierter Gewalt im Sport erlebt. Und eine*r von neun befragten Sportler*innen hatte sogar schwere und/oder länger andauernde sexualisierte Gewalt erlitten! Fazit der Studie: “Sexualisierte Gewalt ist also im Bereich des organisierten Leistungs- und Wettkampfsports genauso präsent wie in der Allgemeinbevölkerung.”

In der Allgemeinbevölkerung? Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik hat jede*r siebte bis achte Erwachsene in Deutschland sexuelle Gewalt in Kindheit und Jugend erlitten. Es ist davon auszugehen, dass etwa ein bis zwei Schüler*innen in jeder Schulklasse von sexueller Gewalt betroffenen waren oder sind (2019, Dunkelfeldforschungen). Das bedeutet, dass sexuelle oder sexualisierte Gewalt für viele Menschen in unserem Land zur Normalität gehört – für die einen als Duldende, für die andern als Ausübende.

Viele von uns möchten dazu beitragen, dem ein Ende zu setzen. Doch was können wir tun?

Eins ist klar: Es gibt keinen hundertprozentigen Schutz vor sexualisierter Gewalt. Darum müssen wir alles daransetzen, es den Täterinnen und Tätern in unserem Verband und in unseren Vereinen so ungemütlich wie möglich zu machen, damit sie wegbleiben und uns und unsere Kinder in Ruhe lassen.


Alle wichtigen Beiträge auf einer Website

Der DKV hat seine Verantwortung erkannt und die Beauftragte für Chancengleichheit gebeten, sich des Themas anzunehmen. Ihr Leitgedanke: Alle Betroffenen maximal gut vorzubereiten, um im Ernstfall wohl abgewogene Hilfestellungen zu gewährleisten und Fehlverhalten oder Überreaktionen zu verhindern. Als Betroffene gelten hier neben dem Opfer und seiner Familie alle Menschen in deren Umfeld, zum Beispiel auch die Funktionsträger*innen des Vereins, denn von ihnen ist in der Phase der Intervention eine besonnene, aber auch zielgerichtete Reaktion gefordert. 

Zusammen mit der neu gegründeten AG PISG hat die Beauftragte daher zahlreiche Informationen zusammengetragen. Sie geben Antworten auf viele Fragen 

  • von Eltern und Athlet*innen, 
  • von erwachsenen Opfern, 
  • von Ansprechpartner*innen in Verbänden/Vereinen, 
  • von Verbandspräsident*innen und Vereinsvorständen, 
  • von Trainer*innen, Übungsleiter*innen und Betreuer*innen, die Sorge vor ungerechtfertigtem Verdacht haben oder ihre Arbeit mit Kindern und Jugendlichen so transparent wie möglich gestalten wollen, 
  • auch auf Fragen von Trainer*innen, Übungsleiter*innen und Betreuer*innen, an die sich Opfer wenden. 

Die Beiträge erläutern darüber hinaus, wie sich der DKV zum Thema Sexualisierte Gewalt positioniert, wie Täterinnen und Täter vorgehen und welche Sanktionen im Ernstfall möglich sind. Nach und nach werden weitere Themen dazukommen und bestehende Kapitel werden immer wieder aktualisiert und angepasst.
 

PISG heißt: Prävention von und Intervention bei Sexualisierter Gewalt

Alle Texte zusammen bilden die „Grundlagen eines Handlungsleitfadens zur Prävention von und Intervention bei Sexualisierter Gewalt (PISG)“, weil sie jedem Verband und jedem Verein als Grundlage eigener Handlungsleitfäden dienen sollen. Der Verbandsausschuss hat die “Grundlagen“ im November vorigen Jahres mit diesem Zweck verabschiedet, und sie stehen auf der Website Service -> Schutz vor sexualisierter Gewalt auf kanu.de zum Download bereit. Um Interessierten das umfangreiche Werk leichter zugänglich zu machen, hat Oliver Strubel die Kapitel darüber hinaus in einem FAQ (Antworten auf häufige Fragen) nach Themen geordnet dargestellt. Auf der Seite sind darüber hinaus auch alle anderen Beiträge des DKV zu dem Thema übersichtlich zusammengestellt. 


Nicht wegschauen - Verantwortung übernehmen!

Das nächste Thema ist die Stärkung der Kinder und Jugendlichen in unserer Obhut. Dazu gehört die Entwicklung von Plakaten für die Bootshäuser und Umkleiden, die die jungen Menschen ermuntern, Nein! zu sagen und Hilfe zu suchen, wenn sie sich bedrängt oder unwohl fühlen. Sie entstehen in enger Zusammenarbeit mit Jana Glindmeyer, Trägerin des Publikumspreises in Gold von “Sterne des Sports 2020”, und dem VfL Pinneberg.

Darüber hinaus ist das von der Bundesregierung ausgezeichnete Gewaltpräventionsprojekt „Nicht mit mir!“ des Deutschen Ju-Jutsu-Verbands empfehlenswert. Die Kurse stärken die Kinder in folgenden Themenbereichen: (1) Auf Situationen aufmerksam machen. (2) Helfen und Hilfe holen. (3) Nicht mit Fremden mitgehen! (4) Nein sagen – gute und schlechte Geheimnisse. (5) Ich bin stark! – Rettungsinsel. (6) Ich bin stark und zeige es meinen Eltern! Für einen LKV lohnt es sich vielleicht, dass sich eine Person zur Kursleiterin/zum Kursleiter „Nicht mit mir!“ ausbilden lässt und die Kurse in ihrer Umgebung anbietet. Für Interessierte ist die Ansprechpartnerin Fatma Keckstein, fatma.keckstein@hjjv.net.
 

Ansprechpartner*innen PISG stärken

Diejenigen, die sich entschlossen haben, gegen sexualisierte Gewalt einzutreten, stehen mit ihrer Aufgabe häufig recht allein da. Alle hoffen, dass nichts passiert, und plötzlich ist die Situation doch da. Für sie sollen in den nächsten Monaten konkrete Hilfestellungen und Herangehensweisen erarbeitet werden. Dazu soll sich eine Kooperationsgemeinschaft zum Erfahrungsaustausch und als Beratungsgremium finden. Gemeinsam können die Situationen in den eigenen Vereinen analysiert werden: Wann und wo sind Kinder, Jugendliche oder Erwachsene konkret gefährdet?

Wir müssen das Thema Sexualisierte Gewalt aus der Schmuddelecke herausholen und offen darüber sprechen. Auf allen Ebenen, auch in den Vereinen. Wir müssen darüber aufklären, vor allem diejenigen, die am meisten gefährdet sind bzw. ihre Eltern, und gemeinsam mit ihnen beraten. Und wir müssen dafür sorgen, dass die übrigen eine Haltung zu dem Thema entwickeln. Aufmerksam sind, hinschauen und Verantwortung übernehmen.

Durch einen offenen Umgang mit dem Thema signalisieren wir allen Mitgliedern, dass wir uns der Gefahren bewusst sind und aktiv dagegen vorgehen. Natürlich besteht die Befürchtung, dass von dem hässlichen Thema an den Akteuren etwas kleben bleibt. Aber wir müssen uns bewusst machen: 

Die Beschäftigung mit dem Kinderschutz ist für einen Verein kein Makel, sondern ein Qualitätsmerkmal!

Und schließlich: Die Täterinnen und Täter wissen, dass sie unter den spezifischen Rahmenbedingungen des organisierten Sports Nischen finden, in denen sie ungestört ihre Fühler ausstrecken können. Wenn es ungemütlich wird, weil man ihnen auf die Schliche kommt, weichen sie in andere Vereine aus. Denn sie sind gut vorbereitet: Sind freundlich und immer hilfsbereit, erwerben Qualifikationen und machen sich nützlich. Durch einen offensiven Umgang mit dem Thema signalisieren wir ihnen, dass in unserer Mitte kein Raum für sie ist: Wir dulden in unseren Vereinen keinerlei Gewalt, auch keine sexualisierte Gewalt gegenüber Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen, seien die Opfer Mädchen oder Jungen, Frauen, Männer oder Menschen eines dritten Geschlechts. Unsere Aufmerksamkeit richtet sich gleichermaßen auf erwachsene und jugendliche Täter*innen.

Ich freue mich über jede und jeden, die/der sich aktiv beteiligen möchte an der Abwehr von Sexualisierter Gewalt im DKV. Nehmen Sie bitte Kontakt auf mit mir:


Dr. Heike Diekmann
Beauftragte für Chancengleichheit
chancengleichheit@deutscherkanuverband.de


Weitere Informationen:

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