28.04.2021 | Olympia / Paralympics

Empfehlungen der IOC-Athletenkommission zur Regel 50 und zur Meinungsäußerung von Athleten bei Olympischen Spielen von IOC-Exekutive angenommen

Die Athletenkommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) hat die volle Unterstützung der IOC-Exekutive für ihre Empfehlungen zur sogenannten Regel 50 der Olympischen Charter und zur Meinungsäußerung von Athletinnen und Athleten bei Olympischen Spielen erhalten. Dieser Beschluss wurde auf der Exekutivsitzung am vergangenen Mittwoch (21. April 2021) gefasst. Die Regel 50 setzt den Rahmen, um die Neutralität des Sports und der Olympischen Spiele zu gewährleisten.
IOC

Die sechs Empfehlungen sind das Ergebnis einer umfangreichen, qualitativen und quantitativen Konsultation der IOC-Athletenkommission, die im Juni 2020 startete und an der sich über 3500 Athletinnen und Athleten aus 185 Nationalen Olympischen Komitees (NOKs) und allen 41 olympischen Sportarten beteiligten. Die Beteiligten waren zur Hälfte weiblich und zur anderen Hälfte männlich. Die Konsultation wurde von den Athletenkommissionen der kontinentalen Vereinigungen der NOKs sowie der World Olympians Association unterstützt.

Ein professionelles Meinungsforschungsinstitut (Publicis Sport & Entertainment) war beauftragt worden, die quantitative Studie vorzunehmen. Die Umfrage wurde von unabhängigen Experten des Schweizer Kompetenzzentrum Sozialwissenschaften (FORS) begleitet und Methode, Fragebogen, Ausführung sowie die Interpretation der Daten wurden von FORS überprüft. Die Empfehlungen der IOC-Athletenkommission basieren zudem auf dem Feedback von Menschenrechts- und Sportrechtsexperten.

Das IOC und die IOC-Athletenkommission unterstützten die freie Meinungsfreiheit vollumfänglich. Dieses Prinzip ist auch Teil der Athletes’ Rights and Responsibilities Declaration.

Bereits Anfang 2020 hatte die IOC-Athletenkommission die bestehenden Möglichkeiten zur freien Meinungsäußerung bei Olympischen Spielen betont, wie beispielsweise in Pressekonferenzen und in Interviews, in Team-Meetings oder in den sozialen oder traditionellen Medien. Die Empfehlungen, die auf der nun erfolgten Athletenkonsultation basieren, bringen zusätzliche Möglichkeiten für Athletinnen und Athleten, ihre Sicht der Dinge bei Olympischen Spielen darzulegen und sorgen zudem für zusätzliche Klarheit.

Schwimm-Olympiasiegerin Kirsty Coventry, Vorsitzende der IOC-Athletenkommission, sagte: „Das Ziel der Konsultation war es, von den Athletinnen und Athleten zu hören, wie sie über die bestehenden Möglichkeiten denken und welche neuen Möglichkeiten sie sich wünschen, um ihrer Meinung bei Olympischen Spielen und außerhalb der Spiele Gehör zu verschaffen. Wie wollen die Athletenstimmen verstärken und mehr Wege finden, um Unterstützung für die Werte, für die die Olympischen Spiele und der Sport stehen, zum Ausdruck zu bringen. Die Konsultation war ein wichtiger Prozess für uns und Teil eines kontinuierlichen Dialoges mit der Athletengemeinschaft. Wir freuen uns sehr darüber, dass die IOC-Exekutive unsere Vorschläge vollumfänglich unterstützt hat.“

 



Die übersetzten Empfehlungen der IOC-Athletenkommission (es gilt das offizielle Original in Englisch):

 

1.     Mehr Möglichkeiten zur Meinungsäußerung bei Olympischen Spielen schaffen:

a)    Bei Eröffnungs- und Schlussfeiern

  • Die Bedeutung von Solidarität, Einheit und Nicht-Diskriminierung sollte bei Eröffnungs- und Schlussfeiern stärker hervorgehoben werden.
  • Der Olympische Eid sollte angepasst und um die Themen Inklusion und Nicht-Diskriminierung ergänzt werden.

 

Hier ist der angepasste Olympische Eid, wie er von der IOC-Exekutive bestätigt worden ist:

“In the name of the athletes”, “In the name of all judges” or “In the name of all the coaches and officials”.

“We promise to take part in these Olympic Games, respecting and abiding by the rules and in the spirit of fair play, inclusion and equality. Together we stand in solidarity and commit ourselves to sport without doping, without cheating, without any form of discrimination. We do this for the honour of our teams, in respect for the Fundamental Principles of Olympism, and to make the world a better place through sport.”

b)    Im Branding des Olympischen Dorfes

  • Gemeinsame Botschaften sollten im Branding des Olympischen Dorfs enthalten sein, um die Themen Frieden, Respekt, Solidarität, Inklusion und Gleichberechtigung zu betonen.

c)     Durch die olympische Friedenswand (Olympic Truce Mural)

Kontext: Das Konzept hinter der Gestaltung der olympischen Friedenswand im Olympischen Dorf ist „Frame of Peace“, das Vielfalt anerkennt, Menschen verbindet und Harmonie bringt. Die Athletinnen und Athleten sollten stärker auf diese Möglichkeit im Olympischen Dorf aufmerksam gemacht werden, um hier ihre Unterstützung für diese Werte zum Ausdruck zu bringen.

  • Die olympische Friedenswand im Olympischen Dorf sollte für Athletinnen und Athleten noch attraktiver werden, und die Unterstützung für die Ideale des olympischen Friedens sollte auch digital zum Ausdruck gebracht werden können.

d)    Durch Athletenbekleidung

  • Athletenbekleidung mit gemeinschaftlichen Botschaften sollte Athletinnen und Athleten und ihren Betreuern während der Spiele zur Verfügung gestellt werden.
  • Die vorgeschlagene Worte sind: Frieden, Respekt, Solidarität, Inklusion und Gleichberechtigung.

e)    Durch eine Social-Media-Kampagne

  • Aufbauend auf der „Stronger Together“-Kampagne sollte zusammen mit der Athletengemeinschaft auf die gemeinsamen Werte Frieden, Respekt, Solidarität, Inklusion und Gleichberechtigung aufmerksam gemacht werden.

f)      Digitale Botschaften in der Präsentation der Sportarten

  • Digitale Botschaften rund um die gemeinsamen Werte sollten in die Präsentation der Sportarten in den Wettkampfstätten integriert werden.

 

2.     Mehr Möglichkeiten zur Meinungsäußerung außerhalb der Olympischen Spiele schaffen:

Kontext: Als olympische Athletinnen und Athleten haben wir eine große Leidenschaft für unseren Sport. Diese Leidenschaft haben wir auch in unserem Alltag, wo wir für Veränderungen bei wichtigen Themen eintreten, die für uns und die Gesellschaft, in der wir leben, wichtig sind. Denn Athletinnen und Athleten sollten zu Themen, die ihnen sehr nahe sind, nicht schweigen. Dies sind unterschiedliche Themen abhängig von den Gesellschaften und Kulturen, aus denen die aus aller Welt stammenden Athletinnen und Athleten kommen.

Der besondere Charakter der Spiele lässt Athletinnen und Athleten aus der ganzen Welt in Frieden und Harmonie zusammenfinden. Wenn wir an den Olympischen Spielen teilnehmen und durch die Plattform, die die Olympischen Spiele bieten, steigt unsere Sichtbarkeit und unsere Reichweite in der Gesellschaft über die 16 Tage der Spiele hinaus. Wir glauben, dass wir eine besondere Vorbildwirkung haben, wenn wir mit den Besten der Welt wettstreiten und zugleich in Harmonie gemeinsam im Olympischen Dorf wohnen. Dies ist eine einmalige, positive Botschaft, die wir in eine zunehmend auseinander driftenden Welt senden.

Empfehlung:

  • Athletinnen und Athleten eine Plattform, einschließlich Athlete365, zur Verfügung stellen, um Themen, die ihnen wichtig sind, zu diskutieren und hervorzuheben. Die Meinungsäußerung sollte immer respektvoll und im Einklang mit den olympischen Werten sein.

 

3.     Das Podium, das Spielfeld (FoP) und die offiziellen Zeremonien freihalten:

Kontext: In der quantitativen Studie gab eine klare Mehrheit der Athletinnen und Athleten an, dass sie es nicht angemessen finden, auf dem Spielfeld (70 % der Befragten), bei offiziellen Zeremonien (70 % der Befragten) oder auf dem Podium (67 % der Befragten) zu demonstrieren oder ihre Meinung zu äußern.

Diese Position wurde auch in der qualitativen Konsultation der IOC-Athletenkommission immer wieder zum Ausdruck gebracht. Das Argument war sicherzustellen, dass die Athletinnen und Athleten und ihre besonderen Momente respektiert werden, und dass der Schwerpunkt der Olympischen Spiele auf der Feier der Leistungen der Athleten, des Sports und der olympischen Werte liegen sollte. Einige Athletenvertreter und -vertreterinnen waren jedoch anderer Ansicht und führten die Meinungsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung als Argument an. Sie äußerten, dass dies die anderen Argumente überwiege.

Die IOC-Athletenkommission berücksichtigte beide Ansichten und konsultierte Menschenrechts- und Sportrechtsexperten. In diesen Gesprächen wurde deutlich das:

I. Obwohl die Rede- und Meinungsfreiheit ein allgemein anerkanntes grundlegendes Menschenrecht ist, sie nicht absolut ist. Ein solches Recht geht mit Pflichten und Verantwortung einher.

II. Die Rede- und Meinungsfreiheit unter engen Rahmenbedingungen eingeschränkt werden kann. Die Beschreibung dieser Rahmenbedingungen ist sensibel und hängt von den Umständen ab (daher die Empfehlungen 4, 5 und 6).

Nach Anhörung der Athletenkommissionen im Rahmen der qualitativen Konsultation ist die IOC-Athletenkommission sehr besorgt über das Risiko der Politisierung der Athletinnen und Athleten sowie das Risiko, dass externer Druck auf Athletinnen und Athleten ausgeübt werden könnte. Es ist wichtig, die Athletinnen und Athleten vor den potenziellen Folgen einer solchen Situation zu schützen. Athleten dürfen nicht in eine Situation gebracht werden, in der sie gezwungen sein könnten, unabhängig von ihren Überzeugungen öffentlich Position zu einem bestimmten nationalen oder internationalen Thema zu beziehen. Die politische Neutralität der Olympischen Spiele ist eine Möglichkeit, Athletinnen und Athleten vor politischer Beeinflussung zu schützen (siehe Abschnitt zur Bewertung der Meinungsfreiheit für weitere Details).

Zusammenfassend zeigen die quantitativen und qualitativen Ergebnisse, dass die Mehrheit der Athletinnen und Athleten das Spielfeld, die offiziellen Zeremonien und das Podium schützen möchte.

Empfehlung:

  • Das Podium, das Spielfeld und die offiziellen Zeremonien von jeglicher Art von Protesten und Demonstrationen oder von Handlungen, die als solche wahrgenommen werden, zu schützen.

 

4.     Klarheit über Sanktionen schaffen:

Empfehlung:

  • Wie es die derzeitige Praxis in den IOC-Disziplinarverfahren gemäß der Regel-50-Richtlinien des IOC ist, Verstöße gegen den aktuellen Absatz 2 der Regel 50 von Fall zu Fall zu prüfen, um ein ordnungsgemäßes Verfahren und die Verhältnismäßigkeit der Sanktionen sicherzustellen.
  • Die IOC-Athletenkommission empfiehlt der juristischen Kommission, zu gegebener Zeit die Bandbreite der Sanktionen zu klären, die bei einem Verstoß gegen die Regel verhängt werden können, wobei der Kontext jedes einzelnen Falles zu berücksichtigen ist.

 

5.     Mehr Informationen zu Regel 50 bereitstellen:

Empfehlung:

Verstärkte und erweiterte Informationen bereitstellen über:

  • Den Zweck und den Anwendungsbereich von Regel 50.2 (Äußerungen von Athletinnen und Athleten) und die zugehörigen Richtlinien.
  • Wie die olympischen Werte und der Grundsatz der Nicht-Diskriminierung von allen Beteiligten umgesetzt und gefördert werden.

 

6.     Regel 50 in zwei Regeln teilen und die Klarheit von Regel 50.2 verbessern:

Kontext: Die Kombination von Regel 50.1 und Regel 50.2 in Regel 50 führt zu einem Mangel an Klarheit über den Anwendungsbereich und Zweck von Regel 50.

Empfehlung:

  • Regel 50.1 und Regel 50.2 in zwei Regeln teilen.
  • Mehr Klarheit zum Umfang von Regel 50.2 schaffen, inklusive durch die direkte Aufnahme von einigen Elementen in die Regel selbst, die derzeit schon in den Regel-50-Guidelines enthalten sind.

 

Zeitleiste

Die Schlussfolgerungen, die von der IOC-Athletenkommission präsentiert worden sind, werden beginnend mit den Olympischen Spielen Tokio 2020 in diesem Sommer berücksichtigt. Die vorgeschlagene Änderung der Regel 50 der Olympischen Charta wird angegangen, nachdem die Empfehlungen der IOC-Athletenkommission bei einer Ausgabe der Olympischen Spiele (Tokio 2020) und einer Ausgabe der Olympischen Winterspiele (Peking 2022) umgesetzt worden sind. Dabei sollen die Erfahrungen von Tokio 2020 und Peking 2022 berücksichtigt werden.

 

Die Athletenkonsultation

Unter den neuen Möglichkeiten, die in der quantitativen Umfrage vorgeschlagen worden sind, wurde ein Moment der Solidarität gegen Diskriminierung während der Eröffnungsfeier und eine gemeinsame Botschaft rund um Inklusion und Solidarität auf dem Spielfeld als am geeignesten betrachtet, um sie einzuführen. Darüber hinaus ergab die Konsultation das klare Ergebnis, dass gemeinschaftliche Botschaften zur Förderung der olympischen Werte und des Olympischen Friedens gegenüber individuellen Botschaften zu einem bestimmten Thema zu bevorzugen sind.

Die Mehrheit der teilnehmenden Athletinnen und Athleten hielt es nicht für angemessen, dass Athleten während der Eröffnungsfeier, auf dem Podium oder auf dem Spielfeld individuelle Ansichten äußern. Die Befragten hielten es am ehesten für angemessen, dass Athleten ihre individuellen Ansichten in den Medien, bei Pressekonferenzen und in den Mixed Zones äußern.

Die Empfehlungen der IOC-Athletenkommission stimmen mit den Gesamtergebnissen der NOKs mit der höchsten Anzahl an Antworten in der quantitativen Umfrage überein. Das Feedback aus der qualitativen Befragung zeigte insgesamt ähnliche Trends.

Als Teil des qualitativen Prozesses gingen auch schriftliche Stellungnahmen von verschiedenen Athletenkommissionen aus der ganzen Welt ein. Diese Stellungnahmen können auf Athlete365 eingesehen werden.

Den vollständigen Bericht der IOC-Athletenkommission und die Umfrageergebnisse von Publicis Sport & Entertainment können Sie ebenfalls nachlesen.

 

Hintergrund

Derzeit verbietet die Regel 50 nicht nur Werbung in olympischen Stätten, sondern besagt auch Folgendes: „Keine Art von Demonstration oder politischer, religiöser oder rassistischer Propaganda ist in den olympischen Stätten, Austragungsorten oder anderen Bereichen erlaubt.“ Die Regel soll sicherstellen, dass der Fokus bei den Olympischen Spielen auf den Leistungen der Athletinnen und Athleten, dem Sport, der Einheit und der Universalität liegt.

2019 konsultierte die IOC-Athletenkommission die weltweite Athletengemeinschaft bei der Ausarbeitung der Regel-50-Richtlinien. Sie sollen den Athletinnen und Athleten Klarheit darüber geben, welche Möglichkeiten bestehen, ihre Meinung bei den Olympischen Spielen zu äußern, und wo eine solche Äußerung nicht angebracht ist.

 

Im Juni 2020, nach der Veröffentlichung einer Resolution durch die IOC-Exekutive, in der Diskriminierung aufs Schärfste verurteilt wird, wurde die IOC-Athletenkommission damit beauftragt, zusätzliche Möglichkeiten zu erkunden, wie olympische Athletinnen und Athleten ihre Unterstützung für die in der Olympischen Charta verankerten Grundsätze zum Ausdruck bringen können, ohne dabei den olympischen Geist zu verletzen – auch während der Olympischen Spiele.

Weiterführende Informationen inklusive der Ergebnisse der quantiativen Umfrage bei den Athletenkommissionen der einzelnen NOKs finden Sie hier.


Quelle IOC

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