06.06.2024 | Inklusion

Inklusion ja, und ohne aber ...! (2)

Ein Kommentar des DKV-Referenten für Inklusion Heinz Ehlers
Inklusion ja, und ohne aber ...!

Ich möchte euch heute in der 2. Folge von „Inklusion ja, und ohne aber ...!“ meine Gedanken dazu mit euch teilen. 

Inklusion beschäftigt mich schon seit einigen Jahren. Besonders nach dem ich vor einigen Jahren in den USA bei der American Canoe Association während eines Workshops für adaptives Paddling erfahren konnte, was im Paddelsport mit Menschen mit Behinderungen möglich ist. Dieses auch hier in Wilhelmshaven umzusetzen hat mich gereizt. Ich hatte nicht bedacht, das ich auf dem Wege dahin derart viele Barrieren in den Köpfen der Menschen überwinden muss. 


Wofür steht Inklusion eigentlich oder ist sie in Wahrheit nur eine Illusion?!  

Viele Menschen mit Behinderung haben Jahrzehnte mit einer Behinderung gut gelebt, und auf einmal brauchen sie von oben verordnet Inklusion? Aber wofür brauchen wir Inklusion? Um Aufmerksamkeit zu erzeugen? Bewusstsein zu schärfen? Besser miteinander leben zu können? Ein Miteinander zu erreichen? Achtsam mit jedermann umzugehen? Oder?

In unserem aller Leben spielen Kontakte und Beziehungen eine wichtige Rolle. Wir sind nicht allein - wir stehen alle miteinander in Beziehung, sitzen alle in einem Boot! Ein respektvoller Umgang miteinander kann nur geschehen, wenn man sich selbst respektiert, auf sich achtet und sich selbst gut behandelt, dann kann man es auch bei seinen Mitmenschen anwenden. Das ist so klar und einleuchtend. Leider vergessen wir dies häufig! Aber…wenn wir alle miteinander verbunden sind, warum brauchen wir dann Inklusion – eine von oben verordnetes Verbessern von Beziehungen zwischen normalen und Menschen mit Behinderungen?! Ist es denn so, dass beiden Gruppen getrennte Wege gehen oder sich aus dem Wege gehen? Oder haben wir es nicht gelernt miteinander umzugehen? 

Sicherlich werden auf beiden Seiten Fehler im Umgang miteinander gemacht, aber das geschieht doch auch im Dialog unter Nicht-Behinderten. 

Bis vor einigen Jahren ging ich davon aus, dass die Teilhabe von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft einiger maßen gut gelingt. Doch im Sport, zum Beispiel im Wassersport und hier als erlebtes Beispiel im Paddelsport werden viele Menschen mit Behinderungen ausgegrenzt und ausgeschlossen. So musste ich hören: „Du bist doch behindert, du kannst nicht paddeln, du gehörst nicht in ein Kajak aufs Wasser; ich übernehme für dich keine Verantwortung; hier im Sportverein haben behinderte Menschen nichts zu suchen“. Wer so etwas sagt, der hat sich noch nie in einen Sportler mit Behinderungen hineinversetzt. Sie müssen weitaus mehr Energie aufwenden um am Sport teil zu nehmen, wie andere Menschen. 

Inklusion und Leistung schließen sich nicht aus – im Gegenteil. Das ist besonders im Para-Sport sowie bei den Special-Olympics bei Menschen mit einer mentalen Einschränkung zu sehen.  
Viele von uns vergessen oder schieben es beiseite, dass Behinderungen oder chronische Erkrankungen zum Menschsein dazu gehören, da sie uns im Laufe unseres Lebens selbst treffen können. 
Doch woher kommen die unterschwelligen Vorbehalte gegenüber dem Behindert sein in unserer Gesellschaft? Vor dem Anderssein? Hat es mit unserer individuellen Komfortzone zu tun?

Eine Komfortzone ist bequem, vertraut, und man fühlt sich in ihr sicher und geborgen. Alles was außerhalb der eigenen Komfortzone liegt erzeugt Angst. Ein Unfall oder eine chronische Erkrankung, und plötzlich ist die eigene vertraute Komfortzone Vergangenheit. Man gehört auf einmal nicht mehr zur Norm und muss plötzlich akzeptieren, dass man nie wieder zur Norm dazu gehört. Es bedarf viel Zuversicht und Mut das zu kompensieren. Neue Werte, neue Ziele, Schritt für Schritt ein neues Bewusstsein aufbauen. Wer das schafft gewinnt, wer nicht zerbricht. Das Ablehnen von Sportlern mit Behinderungen oder gesundheitlichen Einschränkungen im Regelsport bzw. in einem Sportverein ist letztendlich der Offenbarungseid für ein System, das wahre menschliche Leistung nicht erkennt und wertschätzt. Gerade in der heutigen Zeit wäre es ein wichtiges Zeichen zu zeigen, dass wir alle in einem Boot sitzen, und wir alle mitnehmen. 

Sein wir mal ehrlich. Die Fortschritte bei der Schaffung einer Kultur der Inklusion für Menschen mit Behinderungen hinken hinter immer noch den meisten anderen sozialen Veränderungen unserer Zeit wie Gleichstellung, Gleichbehandlung u.a. hinterher, leider. 

Das Erkennen der Notwendigkeit und das Verstehen, eine Kultur der Inklusion in Deutschland zu schaffen, stellt eine der größten Herausforderungen auch in der Ära des adaptiven Paddelsports dar. Man mag es kaum glauben.
Eine nicht-integrative Kultur in Wassersportvereinen ist ein großes Hindernis für die Integration von Paddelsportprogrammen, das entmutigender ist als alle andere Barrieren. 

Keine moderne Technologie vermag diese Barriere zu überwinden, und entsprechende Rezepte scheint es hierfür nicht zu geben. Barrieren sind oft das Ergebnis von Unwissenheit und mangelndem Interesse vieler Menschen in unseren Paddelvereinen Menschen mit Behinderungen oder (sichtbaren) chronischen Erkrankungen aufzunehmen. 
Durch einfache umzusetzende Maßnahmen, wie der Einsatz unterstützende Adaptionen, die Verwendung einer auf die Person ausgerichteten Terminologie, die Betonung der Fähigkeiten, die Vermeidung des Wortes "behindert", und andere leicht anwendbare Regeln, können einen großen Beitrag zum Aufbau einer integrativen und inklusiven Vereinskultur auch bei uns im Paddelsport geben.  


Diese einfachen Regeln sind jedoch nur ein Teil einer Gleichung für Inklusion. 

Wenn es sich vermeintlich nicht lohnt, sich vor Beginn eines Kajaktrainings Zeit für Adaptionen zu nehmen und die zusätzliche Stunde Zeit nicht wert ist umgesetzt zu werden, wird dieser Inklusionsgedanke aus den Poren des Vereins sickern. Wenn z.B. ein Trainer ernsthafte Zweifel daran hat ob eine Person ihre Beinprothese ausziehen sollte um Kanu zu fahren, wird der Mangel an Ausbildung unweigerlich offensichtlich sein. Eine Vereinskultur, die ein einladendes, integratives Gefühl schafft, geht von den Herzen und Köpfen der Menschen aus. Ein Lächeln, Aufregung und positive Energie scheinen immer durch. Wenn jemand wirklich integrativ sein möchte, aber gelähmt ist durch die Angst, das "Falsche" zu sagen oder zu tun, wird der Mangel an Erfahrung offensichtlich sein, aber, was noch wichtiger ist, auch der zugrundeliegende Drang zur Selbstverbesserung. Ein zugrundeliegender Drang gepaart mit einem Lächeln, Begeisterung und positiver Energie macht "etwas Falsches zu sagen oder das Falsche zu tun" leicht verzeihlich. 
Vereinsvorstände und ihre Trainer müssen nicht nur bereit sein, sondern auch wirklich wollen, zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen, um Barrieren abzubauen. Sie müssen es stark genug wollen, um kleine Zeit zu opfern, bereit zu sein, die Peinlichkeit zu riskieren, das "Falsche" zu sagen oder zu tun, bereit zu sein, die Kosten für ein paar zusätzliche Personalstunden pro Jahr in Kauf zu nehmen, und sie müssen ein gutes Gefühl dabeihaben, wenn sie diese Entscheidungen treffen. 

Wir wollen mit unserer zukünftigen Arbeit im Paddelsport ein Umdenken in den Köpfen einleiten, so dass die Menschlichkeit in den Sportvereinen in Deutschland nicht weiter erodiert und der Sportler mit Behinderung nicht nur in einer sportlichen Nische eine wirkliche Chance bekommt, sondern in allen Bereichen des Paddel-Sports. Wir wollen Inklusion mit Inhalten füllen, und im Sinne der UN-Charta umsetzen. Und das bedeutet Teilnahme und Teilhabe im Sport auf allen Ebenen. Inklusion im Sport kann langfristig nur erfolgreich sein, wenn wir alle begreifen, dass jeder mit jedem in Beziehung steht, und wir die Vielfalt und dass anders sein zur Norm machen.   


 

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